Irritierter Abgeordneter: „Lieber Norbert“ statt „Herr Röttgen“: Wer darf wen im Bundestag duzen?

Siezen oder duzen – diese Frage stellt sich nicht nur im Alltag, sondern auch im Bundestag. Vor Beschimpfung schützt allerdings auch ein Sie nicht. 

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen war vergangene Woche sichtbar irritiert: Plötzlich sprach ihn Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Regierungsbefragung im Bundestag nicht mehr als „sehr geehrten Abgeordneten“, sondern als „lieben Norbert“ an. Zuvor war Scholz von Röttgen mit einer Frage nach Taurus-Lieferungen für die Ukraine in die Enge gedrängt worden. Darf der Kanzler das?

Zwar kennen sich beide gut aus der Zeit, als sie während der ersten Merkel-Regierung die Parlamentarischen Geschäftsführer ihrer Fraktionen waren. Trotzdem blieb Röttgen im Plenarsaal auch nach dem Duz-Vorstoß beim „Sie, Herr Bundeskanzler“. Weil er’s muss? Weil er als einfacher Abgeordneter den Kanzler nicht einfach zurückduzen kann?

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Keine festen Regeln im Bundestag

Theoretisch könnte er das sehr wohl: Feste Regeln zum Siezen gibt es im Bundestag nicht. Wie sich Abgeordnete an einen Kollegen oder an ein Regierungsmitglied wenden, hängt vor allem von der persönlichen Beziehung ab. Doch ist das Siezen in den parlamentarischen Debatten „die durchaus üblichere Form“, sagt eine Sprecherin des Bundestags. Schließlich seien die Debatten vor allem für die Öffentlichkeit bestimmt.

Es ist eine Frage der Gepflogenheiten, für manche dürfte es eine der Höflichkeit sein. Sollte ein Duzen in der Plenardebatte „in einer despektierlichen Weise“ erfolgen, könne die Sitzungsleitung dies „als Verletzung der Ordnung oder Würde des Bundestags“ werten, so die Sprecherin – der Duzer könnte einen Ordnungsruf kassieren. Mancher aber mag sich erinnern: Vor Beschimpfung schützt auch das Siezen nicht. „Mit Verlaub, Herr Präsident“, rief 1984 der Grüne Joschka Fischer im Bundestag: „Sie sind ein Arschloch.“

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