Abhörskandal: Pistorius‘ bester Mann in Turbulenzen: Wer ist Ingo Gerhartz?

Im Abhörskandal der Bundeswehr schien Verteidigungsminister Boris Pistorius zunächst ein erfolgreiches Krisenmanagement zu gelingen. Nun gerät ausgerechnet einer seiner wichtigsten Männer in den Fokus: Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz

Schmallippig wirkte Boris Pistorius, als der Verteidigungsminister am Montagabend im Bundestag vor die Presse trat. Gerade hatte er vor dem Verteidigungsausschuss eine der peinlichsten Pannen in der Geschichte der Bundeswehr erklären müssen: die Veröffentlichung eines Gesprächs von vier hochrangigen Bundeswehrmilitärs zur Frage der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Geleakt hatte es der russische Propagandasender RT. 

„Gibt es neue Details?“, wollte ein Journalist von Pistorius wissen. „Keine neuen, und die, die es gibt, wurden in geheimer Sitzung besprochen.“ Ein Oxymoron nennt man das in der Rhetorik, wenn man Dinge zusammenfügt, die sich widersprechen. In diesem Fall geschah es ungewollt.

Denn ein neues Detail gab es sehr wohl. Das räumte Pistorius aber erst auf Nachfrage ein. Ja, es habe nicht nur einen, sondern noch einen weiteren Teilnehmer gegeben, der sich über eine unsichere Leitung in die abgehörte WebEx-Konferenz eingewählt habe. Es bedurfte noch einer weiteren Nachfrage, bis er den Namen nannte: Ingo Gerhartz. Das trifft einen Mann, der bislang als nahezu makellos galt.

Der „Top-Gun-General“

Selbst in der an Heldenerzählungen nicht armen Bundeswehr nimmt Gerhartz noch einmal eine besondere Position ein. Nicht nur formal – als Inspekteur der Lufwaffe ist er der Chef einer der drei großen Teilstreitkräfte der Bundeswehr (neben Heer und Marine) und damit zuständig für fast 27.000 Soldatinnen und Soldaten.

Der 58-Jährige hat den Spitznamen „Top-Gun-General“, weil er es sich nicht nehmen lässt, immer noch selbst ab und zu im Kampfjet Eurofighter zu fliegen. Er sei der einzige Luftwaffenchef in ganz Europa, der dies noch tue, heißt es in der Bundeswehr. Denn für die Flüge muss man gesundheitlich topfit sein, immerhin lastet während eines solchen Fluges ein Mehrfaches des eigenen Körpergewichts auf einem. 

Gerhartz ist eine imposante Erscheinung, groß, muskulös, kahl rasiert – kurz: ein echter Kerl.

Ein Image, das er selbst pflegt, indem er gern häufig in Fliegermontur auftritt, auch wenn er gerade einmal nicht fliegt. Bei den Soldatinnen und Soldaten ist er aber auch deshalb beliebt, weil er als nahbar gilt und als einer, der nicht den hierarchischen Rang betont. Das hat er mit seinem derzeitigen Chef, Verteidigungsminister Pistorius, gemeinsam.

11: Pistorius will Putin «nicht auf den Leim gehen» – 08866f84279daf85

Aber auch fachlich erzählt man sich in der Bundeswehr viel Gutes über Gerhartz. Seit er die Führung der Luftwaffe übernommen hat, stieg deren Einsatzbereitschaft. So erhöhte sich die Zahl der Eurofighter, die in der Lage sind, zu starten, von circa 35 auf fast 80 Prozent. Möglich war dies, weil Gerhartz im engen Austausch mit der Rüstungsindustrie ist. 

Vergangenen November reiste er nach Israel, um nach den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober seine Solidarität mit der israelischen Luftwaffe zu demonstrieren, spendete Blut im Sheba Medical Center bei Tel Aviv. 

In Israel wird Gerhartz besonders geschätzt. Bereits im April war er dort gewesen, um an der Feier zum 75. Jahrestag der Gründung des jüdischen Staates teilzunehmen. Damals durfte einer seiner Eurofighter an der Militärparade der Luftwaffe teilnehmen, beklebt mit einer israelischen und einer deutschen Fahne. Das hatte es zuvor noch nie gegeben.

Ursula von der Leyen förderte ihn

Seine Karriere bei der Bundeswehr hatte Gerhartz 1985 mit dem Grundwehrdienst begonnen. Zur Luftwaffe brachte ihn nicht „Top Gun“, sondern eine Kindheit im rheinland-pfälzischen Büchel, wo sich ein Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe befindet. Schon als Fünfjähriger habe er am Zaun gestanden und davon geträumt, dort einmal selbst zu fliegen, erzählt Gerhartz gern. 

Nach seiner Kampfpilotenausbildung und diversen Stationen wurde er 2003 Referent im Verteidigungsministerium und militärischer Beauftragter für den Eurofighter. Den Berliner Journalisten ist er aus seiner Zeit als einer der Sprecher des Ministeriums bekannt, damals noch unter der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Die schätzte ihn so sehr, dass sie ihm eine „Sprungbeförderung“ ermöglichte, also eine, die nicht dem Tempo der üblichen Laufbahn entspricht. Seither hat Gerhartz auch viele Neider in der Bundeswehr.

Als Generalinspekteur im Gespräch

Im Juni 2018 übernahm er die Führung der Luftwaffe. Als Boris Pistorius nach seinem Amtsantritt einen neuen Generalinspekteur suchte, war dafür dem Vernehmen nach auch Gerhartz im Gespräch. Der Posten ging an Carsten Breuer, aber für den Luftwaffenchef wurde eine neue Perspektive gefunden: Er soll ab dem kommenden Jahr das Nato-Hauptquartier im niederländischen Brunssum leiten, eines der beiden operativen Hauptquartiere des Bündnisses in Europa. Damit verbunden: die Beförderung zum Vier-Sterne-General. 

Doch genau dieser Posten ist jetzt in Gefahr. Dass auch Gerhartz sich per unsicherer Leitung einwählte (oder vielmehr von einem Mitarbeiter eingewählt wurde), hat seinem Ansehen international geschadet. Vor allem die Briten höhnten über die Spionageanfälligkeit der Bundeswehr. Für Gerhartz gefährlicher ist, dass auch die Amerikaner not amused darüber waren, dass deutsche Generale sich so leichtsinnig abhören lassen. Sie könnten die Nato-Personalie verhindern.

Boris Pistorius hält an seinen Offizieren fest

Es wäre der erste Streifschuss für Gerhartz in einer sonst makellosen Karriere. Und auch für Pistorius wäre es eine Blamage.

Vorerst hält er weiterhin an seinen Leuten fest. Seine Aussage, dass er keinen seiner besten Leute „Putins Spielen“ opfere, gelte nach wie vor, beschied er am Montagabend den Journalisten: „Wir warten die weiteren Ermittlungen ab.“

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