Rückforderung von Wettverlusten: Vorerst keine Klagewelle: BGH bläst Tipico-Verfahren ab – warum das trotzdem ein positives Signal ist

Der Bundesgerichtshof sollte am Donnerstag eigentlich eine Grundsatzentscheidung zur Rückerstattung von Verlusten aus Sportwetten fällen. Doch die Entscheidung wurde fallengelassen. Trotzdem sehen Anwälte darin ein positives Zeichen für Spieler.

Der 7. März sollte der Tag werden, der Millionen von Menschen Hoffnung macht, die Geld mit Sportwetten verloren haben. Erwartet wurde eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Frage, ob Wettanbieter wie Tipico ihren Kunden Verluste aus Sportwetten erstatten müssen. Ein Kläger hatte argumentiert, dass Sportwetten in Deutschland bis 2021 unzulässig gewesen seien, weil bis zu diesem Zeitpunkt keine Lizenzen vergeben wurden. Demnach seien auch seine Wetten – und somit auch die Verluste – unrechtmäßig. Doch zwei Tage vor dem angesetzten Termin blies der BGH die Verhandlung ab, weil sich der Kläger mit Tipico nun außergerichtlich einigen wollte. Aufgehoben ist die Entscheidung aber nicht. 

Doch keine Grundsatzurteil zur Rückerstattung von Wettverlusten: „Tipico hat sich aus dem Urteil herausgekauft“

„Tipico hat sich aus diesem Urteil herausgekauft, das kann man schon so sagen“, erklären Nils Leidloff und Eik Aßmann, Rechtsanwälte von „Goldenstein Rechtsanwälte“ in Berlin. Die Kanzlei vertritt mittlerweile mehr als 4000 Kläger, die ihre Verluste aus Sportwetten zurückfordern. Hätte der BGH im aktuellen Fall ein Urteil zugunsten des Klägers gefällt, hätte er damit den Weg für eine ganze Klagewelle geebnet. „Gerichte in unteren Instanzen schauen immer nach oben. Wenn der BGH als oberstes Gericht ein solches Urteil gefällt hätte, hätten sich auch Amts- und Landgerichte daran orientiert“, so Leidloff. Für die Branche wäre das ein harter Schlag gewesen. Leidloff schätzt, dass es hundertausende Spieler wären, die im Anschluss rechtssicher auf Rückerstattung hätten klagen können. Der Streitwert würde dann schnell in die Milliarden gehen. Spielsucht Sportwetten: Er verlor 800.000 Euro 10.45

Hintergrund des geplanten Urteils ist eine von vielen Klagen gegen die Anbieter von Online-Sportwetten. Über Jahre hinweg bewegten diese sich in einem rechtlichen Graubereich. Ab 2012 war es möglich, sich in Deutschland auf Lizenzen für Sportwetten zu bewerben. Doch das Vergabeverfahren wurde unter anderem wegen mangelnder Transparenz gestoppt. Ab diesem Zeitpunkt wurde es kompliziert: Anbieter wie Tipico, Bwin und andere drängten auf den Markt. Eine deutsche Lizenz hatten sie nicht – denn die konnten sie nicht beantragen. Seither streiten Gerichte über die Frage: Ist es illegal ohne Lizenz Sportwetten anzubieten, wenn der Staat nicht in der Lage ist, die Bewerbungen abzuarbeiten und die entsprechenden Lizenzen zu vergeben? 

Die Anbieter argumentieren damit, dass ein Verbot von Sportwetten in Deutschland ohnehin nicht gültig sei, weil es im Gegensatz zum EU-Recht stehe. Auf Anfrage des stern erklärte der Wettanbieter: „Tipico war stets legal tätig. Tipico hat seit Gründung im Jahr 2004 stets mit einer gültigen EU-Lizenz Sportwetten auf Basis der europäischen Dienstleistungsfreiheit angeboten.“ 

Juristen sehen im Vorgehen Parallelen zum VW-Abgasskandal

Falsch ist das nicht. Tipico hält eine Lizenz aus Malta, die in der EU grundsätzlich gültig ist. Doch ob ein Unternehmen nur mit der EU- und ohne deutsche Lizenz seine Dienste anbieten durfte und darf, ist streitbar. Im vergangenen Juni urteilte das Oberlandesgericht (OLG) Dresden erstmals zugunsten eines Klägers, der Geld von einem Sportwettenanbieter zurückforderte, weil dieser zu dem Zeitpunkt, als er verlor, keine deutsche Lizenz hatte. Das OLG folgte der Argumentation und entschied, dass der Mann seine Verluste plus fünf Prozent Zinsen zurückerhalten muss. 

Das Urteil war ein Signal an die ganze Branche. Die Klagen häuften sich. Aßmann und Leidloff sehen in dem nun fallengelassenen Grundsatzurteil Parallelen zum VW-Abgasskandal, bei dem die Kanzlei ebenfalls zahlreiche Kläger vertrat. Wie auch der Autokonzern versuche Tipico in diesem Fall durch eine Vergleichszahlung ein allgemein geltendes Urteil zu umgehen, um eine Klagewelle zu verhindern.

„Tipico muss schon ein sehr, sehr gutes Angebot gemacht haben, damit der Kläger das Verfahren abbläst, vielleicht sogar ein Vielfaches des eigentlichen Streitwerts von 3700 Euro“, so Aßmann. 

Tipico bestreitet das. Auf Anfrage des stern erklärte das Unternehmen: „Das ist unzutreffend. Diese Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage. Im konkreten Fall handelt es sich beim Kläger um eine Prozessfinanzierungsgesellschaft, die dem Spieler seine Forderung abgekauft hat. Tipico hat sich aufgrund dieser Besonderheiten der Konstellation auf Gespräche zu einer außergerichtlichen Verständigung mit der Prozessfinanzierungsgesellschaft eingelassen.“ 

Auch dem Vorwurf, das Unternehmen wolle verhindern, dass ein Grundsatzurteil vom BGH gefällt wird, widerspricht Tipico energisch. Der Wettanbieter strebe „weiterhin eine höchstrichterliche Klärung der Rechtsfragen an.“  Man sei sehr zuversichtlich, dass der BGH „unsere Rechtsansicht teilen wird“, so ein Unternehmenssprecher. 

Auch ohne Urteil ein positives Signal für Kläger

Die Juristen von „Goldenstein Rechtsanwälte“ teilen den Optimismus von Tipico nicht – im Gegenteil. Sie sehen eine klare Tendenz zu „verbraucherfreundlichen Entscheidungen“ der Gerichte. 

Ob und wann ein Grundsatzurteil vor dem BGH gefällt wird, ist unklar. Dies könne aber jederzeit geschehen, so die Juristen, weil noch einige Verfahren beim obersten deutschen Gericht anhängig sind. Für die Spieler, die in der Vergangenheit teils hohe Summen bei Tipico oder den anderen Wettanbietern verloren haben, würde eine solche „verbraucherfreundliche Entscheidung“ des BGH eine Möglichkeit ihre Finanzen wieder in den Griff zu bekommen. Doch ob und wann das Unternehmen dann tatsächlich Rückzahlungen tätigen würde, steht auf einem anderen Blatt. Sportwetten Geld zurück 9.23

Mitte vergangenen Jahres verabschiedete die Maltesische Regierung das sogenannte „Bill No. 55“. Eine Gesetz, das maltesische Glücksspielunternehmen vor der Vollstreckung von ausländischen Urteilen schützen soll. Laut den Juristen von „Goldenstein Rechtsanwälte“ verstößt das Gesetz gegen Europäisches Recht und werde sicherlich in naher Zukunft aufgehoben. Ähnlich äußerte sich auch die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder. Wenn Tipico und Co. also tatsächlich zu Rückzahlungen verurteilt würden, müsste zunächst dieses Gesetz von der EU einkassiert werden. 

Auch wenn das „Bill No. 55“ eine weitere Hürde darstellt und das Grundsatzurteil des BGH vorerst vom Tisch ist: Die Vergleichsverhandlungen von Tipico im aktuellen Fall sehen die Juristen als positives Signal, weil der Sportwettenanbieter sich zahlungsbereit zeige und deshalb offensichtlich auch von einem verbraucherfreundlichen BGH-Urteil ausgehe. Zudem seien Klagen natürlich weiterhin möglich. Letztlich werde es nur eine Frage der Zeit, bis wieder ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof lande.

Quellen: Mitteilung Bundesgerichtshof, Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder

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