Eigentlich wollen die Grünen in Biberach bei ihrem politischen Aschermittwoch pointiert debattieren. Weil aber vor der Halle eine Protestaktion eskaliert, kommt es dazu nicht.
Der Lärm vor der Biberacher Stadthalle ist ohrenbetäubend, dutzende Traktoren hupen um die Wette, Musik schallt über den Platz – so laut, dass nicht einmal mehr zu verstehen ist, was die Hunderte Demonstrierenden eigentlich genau rufen. Vor der Treppe zur Halle haben Landwirte einen Misthaufen abgekippt, darauf Grünen-Wahlplakate, die die Demonstranten mit „leere Versprechen“ gekennzeichnet haben. Immer wieder skandiert die Menge in Richtung Halle „Haut ab, haut ab.“ Die Stimmung ist aggressiv, Journalisten werden als „Lügenpresse“ beschimpft. Wenig später wird der politische Aschermittwoch der Grünen abgesagt. Der Grund: Sicherheitsbedenken.
Wer dort genau steht, lässt sich nicht klar sagen. Die Proteste sind laut Polizei nicht angemeldet, wer dazu aufgerufen hat, können die Beamten nicht sagen. Auch zu möglichen extremistischen Kräften darunter hat ein Polizeisprecher keine Erkenntnisse. Zu sehen sind zum Beispiel auch Flaggen des Königreichs Preußen.
Die ersten Demonstranten sind schon früh unterwegs: Bereits am frühen Morgen um 3.30 Uhr hätten die Hupkonzerte begonnen, immer wieder seien auch Böllerschüsse zu hören gewesen, sagte der parteilose Oberbürgermeister Biberachs, Norbert Zeidler. Einsatzkräfte werden nach seinen Worten an der Durchfahrt gehindert, Helfer angepöbelt. Auch vor der Stadthalle werden Feuer entzündet, Bengalos abgebrannt, Pflastersteine aus dem Gehweg genommen. „Die Stimmung war sehr aufgebracht, feindselig und aggressiv“, sagt Zeidler später. „Da ging es nicht um Diskussion oder Protest, da ging es nur um Tumult.“
Die Wut der Demonstranten richtet sich gegen die Gäste des politischen Aschermittwochs, zu dem die baden-württembergischen Grünen seit Jahren traditionell nach Biberach einladen. In diesem Jahr haben sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Bundeschefin Ricarda Lang, Urgestein Jürgen Trittin und Ministerpräsident Winfried Kretschmann angekündigt.
Einzig zur Halle kommen sie bis auf Trittin nicht durch, auf den Zufahrtsstraßen stehen dutzende Traktoren. Kretschmann dreht etwa noch auf der Anreise wieder ab, Özdemir diskutiert bei einer nahegelegenen angemeldeten Demonstration mit Landwirtinnen und Landwirtinnen, nimmt die Stimmung dort als fair und anständig wahr. „Dass es da mal lauter wird, gehört dazu, das muss man aushalten“, sagt er später.
Dabei bleibt es im Umfeld der Biberacher Stadthalle aber nicht. Als eine Limousine und ein Begleitfahrzeug der Polizei von der Halle wegfahren wollen, strömen Dutzende Demonstranten aus, blockieren die Straße und werfen Pflastersteine und Sandsäcke auf die Fahrbahn. Polizeibeamte drängen die Menge zurück, werden dabei mit Gegenständen beworfen und setzen Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Mehrere Beamte werden leicht verletzt, sagt ein Polizeisprecher später. Auch eine Scheibe des Begleitfahrzeugs geht zu Bruch. Mindestens eine Person wird festgenommen.
In der Halle selbst ist nur eine Handvoll Menschen, viele Besucher warten noch vor der von der Polizei abgeriegelten Halle. Wer zum Aschermittwoch will und wer zu den Demonstranten gehört, lässt sich nicht so einfach sagen. Etwa eine halbe Stunde nach dem eigentlich geplanten Beginn, sagt der Vorsitzende des Kreisverbands Biberach, Michael Gross, die Veranstaltung dann ab. Als Grund nennt er die aggressive Stimmung der Demonstranten. Aus der Partei heißt es, eine ordnungsgemäße Durchführung des politischen Aschermittwochs sei nicht möglich.
Die Grünen-Landeschefin Lena Schwelling kritisiert kurz nach der Absage das Verhalten der Demonstranten. „Vor der Halle ist niemand bereit zu einem Dialog. Da geht es nur darum, die Veranstaltung zu verhindern – mit Methoden, die jenseits der Grenze sind“, sagt Schwelling. Wenn Scheiben von Autos eingeschlagen würden, sei das problematisch. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne), der nicht in Biberach dabei ist, schreibt auf X (ehemals Twitter): „Für diese Art Protest darf es keine Toleranz geben, dafür aber rechtsstaatliche Konsequenzen.“ Bundeschefin Ricarda Lang, die gar nicht erst zur Halle gekommen war, warnt am Nachmittag vor Gewalt: „Wenn Menschen eingeschüchtert, das Stadtleben massiv gestört und Einsatzkräfte der Polizei angegriffen werden, wird eine Grenze überschritten.“
Auch aus anderen Parteien kommt deutliche Kritik. CDU-Landeschef Manuel Hagel ruft die Landwirte etwa zu friedlichen Protesten auf. „Dass der politische Aschermittwoch der Grünen in Biberach heute nicht wie geplant stattfinden konnte, ist inakzeptabel“, sagt Hagel in Fellbach. Die Unzufriedenheit etwa der Landwirte, der Handwerker oder der Logistiker mit der Bundesregierung sei legitim, er schränkt aber auch ein: „Bei Protesten gilt immer Maß und Mitte. Es muss immer friedlich und gewaltfrei bleiben.“ SPD-Landeschef Andreas Stoch nennt die Absage in Biberach ein absolutes No-Go. „Dissens gehört zu unserer Demokratie, Diskussion auch. Nur wer keine Argumente hat, wirft mit Steinen. Das ist die Sprache derer, die unsere demokratischen Prinzipien missachten“, sagt Stoch.
Trittin sagt der „taz“ (Donnerstag), die Polizei in Baden-Württemberg müsse sich ernste Fragen stellen lassen, „warum sie nicht in der Lage war, eine Veranstaltung des eigenen Ministerpräsidenten so abzusichern, dass sie durchgeführt werden kann“. Innenminister Thomas Strobl bietet dem Innenausschuss am Nachmittag an, in der nächsten Sitzung über die Vorkommnisse zu berichten. „Wer Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge bewirft und eine demokratische Partei in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert, überschreitet ganz klar eine Grenze“, lässt der CDU-Minister mitteilen.
Landwirtschaftsminister Özdemir nimmt später die Landwirtinnen und Landwirte in Schutz. „Die, die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben“, sagt der Grünen-Politiker nach einem schon vorher geplanten Gespräch mit Vertretern von Bauernverbänden. Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten der Landwirtschaft und den Anliegen der Landwirtschaft so keinen Gefallen getan.
Auch der Bauernverbände distanzieren sich von den Protesten. Diese hätten nichts mit dem Kreisbauernverband Biberach zu tun, sagt dessen Vorsitzender Karl Endriß. Es sei schade, dass die Grünen deswegen ihre Veranstaltung hätten absagen müssen.
Landwirte in ganz Deutschland protestieren seit Wochen gegen die Sparpläne der Bundesregierung, insbesondere gegen die geplanten Kürzungen beim Agrardiesel. Bei einer Protestaktion Anfang Januar hatten Bauern Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach seiner Rückkehr von einer Privatreise zur Hallig Hooge daran gehindert, eine Fähre zu verlassen. Nach Angaben der Reederei wäre das Schiff beinahe gestürmt worden. Hintergrund der Proteste waren geplante Streichungen von Subventionen.