Mit dem Jägernotprogramm wollten die Nazis die alliierten Bomber vertreiben. Das verrückteste Projekt war die „Natter“ – ein Selbstmordflugzeug, gemacht aus Sperrholz und gespickt mit Raketen. Die Natter schoss keinen einzigen Bomber ab, schaffte es aber in die Geschichte der Raumfahrt.
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in Deutschland an immer mehr „Zukunftsprojekten“ gearbeitet. Von Abwehrraketen über Stratosphärenbombern bis hin zu 200-Tonnen-Panzern. Diese Projekte hatten kaum Aussicht jemals gebaut zu werden. Häufig verfolgten die Konstrukteure diese Visionen nur noch, um ihre Mitarbeiter vor einem Fronteinsatz zu bewahren. Doch von der Bachem Ba 349 – besser bekannt als Natter – gab es sogar flugfähige Prototypen, der Abfangjäger war also weit über das Planstadium hinweggekommen. Das Projekt endete mit dem ersten Flug einer bemannten Rakete.
Vom Konzept her handelte es sich bei der Natter um eine Art von bemannter und bewaffneter Rakete. Entworfen allein zu dem Zweck, alliierte Bomber abzufangen. Ein ähnliches Modell existierte bereits. Die Me 163 Komet. Auch sie wurde von einem Raketenmotor angetrieben. Dadurch konnte die 163 schneller steigen als jedes herkömmliche Flugzeug und so in wenigen Minuten die Flughöhe der Bomber erreichen und übersteigen. Dann war der Treibstoff verbraucht und die Maschine ging in den Gleitflug über, um so die Bomber zu attackieren.
Wie die Komet Me 163 auf Steroiden
Dem gleichen Grundkonzept folgte auch die Natter. Sie wollte allerdings die Probleme der Komet vermeiden und vor allem musste sie auf Materialien verzichten, die man im zusammenbrechenden Reich kaum noch bekommen konnte. So kam es, dass die Natter einerseits sehr moderne Features wie einen Schleudersitz besaß, andererseits aber aus Sperrholz gefertigt wurde. Ähnlich wie der Volksjäger Heinkel He 162 sollte die Natter einfach und in großen Stückzahlen zu bauen sein. Beide Maschinen wurden im sogenannten Jägernotprogramm priorisiert.
Der Entwurf stammte von Erich Bachem. Der hatte sich schon vor dem Krieg in der Segelflugszene umgetan und dann bei der Flugzeugfabrik Fieseler gearbeitet. Aber er gehörte bei Weitem nicht zur ersten Garde der deutschen Konstrukteure. Ein renommierter Flugzeugkonstrukteur wäre wohl auch kaum auf die Idee einer bemannten Abfangrakete gekommen. Das ganze Gerät war nur sechs Meter lang und wurde von einem Gestell aus senkrecht nach oben gestartet. Wegen der geringen Reichweite war es nur für den Objektschutz geeignet. Beim Start halfen vier Boosterraketen, die später abgeworfen wurden. Das Gerät kam auf 1000 km/h und konnte auf 14.000 Meter steigen. Die Natter hatte keine Maschinengewehre oder -kanonen. Ihre ganze Nase bestand aus einem Starter für ungelenkte Raketen. Sie konnte entweder 33 55-mm-Raketen R4M „Orkan“ oder 24 73-mm-Raketen RZ 73 tragen. Damit konnte sie einen gewaltigen Schlag auf einen Bomberpulk ausüben.
Die Natter Bachem Ba 349: ein Sperrholz-Jäger
Im Vergleich zur Komet gab es mehrere Änderungen. Die Booster-Raketen waren einfach gebaut und dennoch kraftvoll. Die Komet sollte im Gleitflug landen. Das war aber überaus schwierig und auch für exzellente Piloten gefährlich. Selbst Hanna Reitsch verletzte sich dabei schwer. Die Natter hingegen war ein Verschleißjäger, eine Einmal-Waffe. Auf dem Scheitelpunkt der Bahn warf sie die Booster und die Kappe oberhalb der Raketennase ab. Dann setzte sie zum Angriff an.
Danach, sobald sie an Höhe verloren hatte, konnte die Natter an einem Fallschirm herab schweben. Nun sollte sie sich in zwei Teile aufteilen. Die Nase mit dem ausgebrannten Raketenstarter fiel zu Boden, der Pilot schleuderte aus dem nun offenen Cockpit und sollte mit einem eigenen Fallschirm zu Boden schweben.
Im Oktober 1944 übernahm die SS das Projekt. Nun überwachte General Hans Kammler das Projekt, er leitet auch die Produktion der V2-Rakete und war bereit, bedenkenlos Sklavenarbeiter für seine Ziele aufzuopfern.
Der Pilot Lothar Sieber verunglückte beim Teststart
Tatsächlich kam die Natter anders als der Volksjäger nie zum Einsatz. Es wurden zwar 30 Maschinen gebaut, aber zum ersten Teststart kam es erst am 1. März 1945. Ungefähr zwei Monate später war der Krieg in Europa beendet. Erich Bachem war gegen den Start, er hielt den bemannten Start nach nur einem Testlauf für verfrüht. Doch der Pilot Lothar Sieber ließ sich überreden. Der 23-jährige Sieber war ein außerordentlich kühner Mann. Er wurde ausgezeichnet, weil er mit einem Transportflugzeug deutsche Soldaten hinter den feindlichen Linien aufgenommen hatte. Er soll bei mehreren Kommandounternehmen dabei gewesen sein. Doch weil er im Wachdienst getrunken hatte, hatte er seinen Rang verloren.
Für den Start wurde ihm versprochen, ihn wieder zum Leutnant zu machen. Doch dazu kam es nicht: Direkt nach dem Start stürzte die Maschine ab, sie sei „mit großer Geschwindigkeit zur Erde hinunter geflogen und beim Aufschlag explodiert“ so der Bericht von Bachem. Lothar Sieber fand dabei den Tod. Über die mögliche Ursache gibt es verschieden Theorien. Dennoch schaffte es die Natter in die Geschichte: Der Todesflug war der erste bemannte Raketenstart überhaupt.
Konstrukteur baute später Wohnwagen
Im Nachhinein war das ganze Konzept abwegig und wurde nach dem Krieg auch von keiner Nation weiterverfolgt. Schon im Dritten Reich arbeitete man mit unbemannten Abfangraketen, teils einfacher Bauart, teils sogar mit Fernsteuerung. Hier war der Aufwand sehr viel geringer und man konnte einen weit schwereren Gefechtskopf in die Höhe bringen. Erich Bachem hatte mehr Glück als Sieber. Nach dem Krieg floh er nach Argentinien, vermutlich um der Verschleppung in die USA als Raketenspezialist zu entgehen. Er ließ von der Konstruktion von Waffen und Raketen ab und gründete eine Fabrik zum Bau von Gitarren. Später kehrte er nach Deutschland zurück und konstruierte Grubenlokomotiven. Zugleich widmete er sich dem Bau von Campinganhängern, sogar ein Wohnmobil wurde von ihm gebaut.