Gerüchte um Michelle Obama: Warum die Republikaner so sicher sind, dass Trumps Herausforderer am Ende nicht Joe Biden heißt

Michelle Obama scheint eine Art Urangst bei Konservativen auszulösen. stern-Autor Jan Christoph Wiechmann wunderte sich bei seiner Fahrt durch die USA über die republikanische Obsession mit der ehemaligen First Lady.

In der Kleinstadt Derry gibt es einen Diner mit Namen Mary Ann’s, wo der Kalorienbedarf des Tages schon nach dem Frühstück aus Rührei, Bacon, Bratkartoffeln und gebuttertem Toast gedeckt ist. Ich fragte eine Frau aus Massachusetts nach ihrer Meinung zu den Kandidaten der Republikaner, als sich ihr Mann nach nicht mal zehn Sekunden einmischte und darauf hinwies, dass er mal Abgeordneter in der Region war. Er sagte, dass Biden keine Chance gegen Trump habe, weil er im November schon senil sei, aber dass die Demokraten ihn durch Michelle Obama ersetzen würden. „Michelle ist der einzige Star, den die haben.“ 

„Das sehe ich wie mein Mann“, sagte die Frau. 

Es sollte in den Interviews im Diner eigentlich um die Favoriten der Republikaner gehen. Aber nach nur zehn Sekunden waren wir bei Michelle Obama.   

Michelle erzeugt den Enthusiasmus, der den Demokraten fehlt

40 Kilometer weiter nördlich in Manchester, in einer Warteschlange vor einem Trump-Event, sagte ein Krankenpfleger, der extra 300 Kilometer aus Connecticut angereist war, auf dieselbe Frage: „Biden ist ein leichter Gegner. Aber die Demokraten deichseln das irgendwie hin und ziehen vor der Wahl Michelle Obama aus dem Hut. Die ist formidabel. Die bringt den Enthusiasmus, der ihnen fehlt.“ 

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Das ist die Haltung bei vielen Trump-Anhängern: Biden ist kein Problem für Trump. Der ist bis November im Altersheim. Aber sie haben eine Art Obsession mit der starken Michelle Obama, so ähnlich wie mit der starken Taylor Swift.  

Die Freundin des Pflegers sagte, sie bete als Republikanerin dafür, dass Biden bis zur Wahl nichts zustößt und er nicht stürzt – über eine Stufe oder seine Worte –, damit Trump ihn dann im November vernichtend schlägt. „Sonst steigt noch der junge Gavin Newsom ins Rennen ein oder Michelle Obama, und dann ist alles wieder offen.“  

Es gibt keinerlei Anzeichen, dass Michelle Obama antreten könnte. Aber durch die sozialen Medien und rechten Radio-Talkshows geistern allerhand Gerüchte, befeuert von Amerikas oberstem Verschwörungstheoretiker und Trump-Intimus Roger Stone: „Ich sage weiterhin voraus – wie ich es schon seit mehr als zwei Jahren tue –, dass Michelle Obama 2024 die Kandidatin der Demokratischen Partei sein wird.“ 

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Unterwegs auf den Highways höre ich gern rechtes Talk-Radio, es ist um einiges unterhaltsamer als das Talk-Radio der Linken, weil es so viel absurder ist. Neulich, mitten in Massachusetts, sagte die ultrarechte Moderatorin Megyn Kelly in ihrer Show: „Keine Frage, dass Michelle Obama mehr politisches Talent hat als Joe Biden. Sollte sie eine Kandidatur erwägen, würde es das ganze Rennen auf den Kopf stellen.“ 

Am nächsten Tag war das Thema wieder überall. Von der rechten Talkshow gelangte es in die rechte Boulevardzeitung „New York Post“ und auf die rechte Newssite Newsmax und in die rechten Facebook Feeds. Michelle Obama scheint eine Art Urangst bei Republikanern auszulösen. So wie Trump bei Demokraten.  

Mit Michelle Obama lässt sich zudem gut Quote machen. So wie mit Trump.  

Absurd: Demokraten wählten Trump, damit Biden gewinnt

Meinungsumfragen scheinen das sogar zu stützen. Am beliebtesten unter Demokraten ist Michelle Obama. Laut Wettbüros sind ihre Chancen auf das Weiße Haus größer als die von Vizepräsidentin Kamala Harris oder Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom oder jedem anderen Demokraten außer Biden. 

Bei den Demokraten spielt sich etwas Ähnliches ab. Die besten Chancen habe Biden gegen Trump, sagen fast alle Demokraten, mit denen man spricht. Die schlechtesten Chancen habe er gegen Nikki Haley.  

Das führt zu allerhand Absurditäten. In Pittsburgh erklärte mir ein Ortsvorsteher der Demokraten, dass er alles dafür tue, dass Trump die Vorwahlen bei den Republikanern gewinne, weil nur dann Biden im November eine Chance auf den Sieg habe. 

„Sie setzen als Demokrat also auf einen Autokraten?“, fragte ich. 

„Damit wir die Demokratie erhalten“, antwortete er. 

Infobox US-Wahl-NL

Es ist wohl so: Am meisten Angst hatten die Demokraten bis zu ihrem Rücktritt vor Nikki Haley, einer starken Frau, Tochter indischer Einwanderer, die eher pragmatisch ist. Und am meisten Angst haben die Republikaner weiterhin vor Michelle Obama, einer starken Frau, Tochter afroamerikanischer Kleinbürger, die eher pragmatisch ist. 

Es wäre nicht das schlechteste Duell. Nikki versus Michelle. Keiner will wirklich das Duell Trump versus Biden. 

Im Autoradio, inzwischen bei Lexington, Massachusetts, dort wo einst der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg seinen Anfang nahm, lief Annie Lenox‘ großer Song „Sisters are doin‘ it for themselves“, und man konnte für einen Moment wieder gute Laune kriegen. 

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