Wieder einmal Bahnstreik, wieder einmal ist es ruhig an deutschen Bahnhöfen. Die Reisenden am Hauptbahnhof Hamburg erleben die erzwungene Entschleunigung sehr unterschiedlich.
„Es reicht jetzt wirklich mal“, ärgert sich Antje, die ihren vollen Namen nicht im Internet lesen will. Sie wartet am Hamburger Hauptbahnhof auf ihren Zug Richtung Süden. Der soll laut Notfahrplan gleich abfahren – hofft sie. Denn bei der Deutschen Bahn wird gestreikt. Wieder einmal. „Das ist zu einem unsäglichen Machtkampf geworden, der beendet gehört“, sagt Antje. Claus Weselsky habe zu hoch gepokert. Worauf sie anspielt: Neben der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), dessen Bundesvorsitzender Weselsky ist, gibt es noch eine zweite – und weitaus größere – Lokführervertretung: die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).
Der EVG-Vorsitzende Martin Burkert kämpft weniger lautstark für die über 180.000 Mitglieder, aber nicht weniger erfolgreich. Erst Ende August einigte man sich mit der Bahn auf eine Lohnsteigerung in zwei Schritten um 410 Euro pro Monat und einen Inflationsausgleich von 2.850 Euro. Würde Weselsky nun komplett scheitern, bekämen die fast 40.000 GDL-Mitglieder diese Konditionen – und die Relevanz der GDL würde sinken.
„Wir brauchen gerade alle mehr Geld“
Christian, der nach Lübeck will, wirkt entspannter. „Ich finde die Streiks okay. Wir brauchen gerade alle mehr Geld.“ Ihn habe der aktuelle Arbeitskampf zwar nicht gestört, er glaubt aber, die GDL solle vielleicht doch ein wenig kompromissbereiter sein. „36 Stunden im Vergleich zu 38 ist ja schon ein Riesenschritt.“ Der Knackpunkt bei den aktuellen Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Bahn: Die GDL will 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, auf dem Tisch liegt ein Angebot der Bahn mit 36 Stunden. Nicht annehmbar, meint aber Claus Weselsky.
Susanne*, die heute ihren freien Tag hat, findet den Arbeitskampf uneingeschränkt „gut“. „Die Leute brauchen doch immer irgendetwas, worüber sie sich aufregen können. Gestern war es das Heizungsgesetz, heute ist es der Bahnstreik.“ Sie finde es gut, dass die Leute für bessere Arbeitsbedingungen einstehen. „Die Bahnbosse gönnen sich Millionenboni, den Schichtarbeitern aber keine Stunde weniger. Das finde ich nicht fair.“
„Das ist das letzte Mal Deutsche Bahn“
Ein weiterer Reisender versucht den Ausfall seines Zugs mit zwei Bahnangestellten am Gleis wegzudiskutieren. „Ich muss nach Berlin“, erklärt er. „Die Züge sollen doch ab 13 Uhr wieder fahren.“ Seinen Ärger können ihm auch das geduldige Servicepersonal nicht nehmen. „Das ist das letzte Mal Deutsche Bahn“, droht er.
Die wenigen ausländischen Fahrgäste am Hamburger Hauptbahnhof scheinen den Streik gar nicht bemerkt zu haben. Ein junger Mann aus dem Irak wundert sich zwar, dass sein Zug nicht fährt, dass die Lokführer streiken, wusste er nicht. Ein Geschäftsreisender, der erst gerade in Deutschland angekommen ist, hat seinen Trip um die Ausfälle herumgeplant. Bullet Train Int 17.07
Zustimmung für Bahnstreiks gering
Einer Umfrage von Ende Januar zufolge stößt der Streik in der Bevölkerung überwiegend auf Ablehnung. 59 Prozent haben kein Verständnis dafür, wie eine Erhebung von YouGov ergab. 34 Prozent der rund 4000 Befragten haben demnach Verständnis für den Ausstand.
Die Zustimmung scheint aktuell eher gefallen als gestiegen zu sein. Oder aber es stellt sich bald eine Art Gewöhnungseffekt ein, der sowohl den Ärger als auch Wirkkraft des Streiks reduzieren dürfte. Während die ersten Züge am Hamburger Hauptbahnhof wieder anrollen, steht Claus Weselsky schon wieder vor den Fernsehkameras: „Wie während der gesamten Verhandlungsphase erlebt, zeigt die Deutsche Bahn AG erneut, dass sie keinerlei Interesse an der Verbesserung von Arbeits-, Einkommens und Lebensbedingungen Ihrer Mitarbeiter hat, sondern einfach nur ‚gewinnen‘ will.“ So sehe keine Tarif- und Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe aus. Der Arbeitskampf geht weiter.
*Name von der Redaktion geändert.