M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Ein Hoch auf die Alten: Erinnerungen an meinen Oppa

Der Großvater unseres Kolumnisten baute ein Gartenparadies und viel zu rasante Seifenkisten. Erinnerungen an einen Alten, der jung blieb.

Da sich gerade wieder eine junge Frau bei Instagram rührend mit einer Fotostrecke von einem sympathischen älteren Mann verabschiedet hatte, den sie „mein lieber Opa“ nannte, ein kurzes Innehalten: Die Alten werden uns zahlenmäßig bald überlegen sein. Zeit, ihnen mit Zuneigung zu begegnen. Selbst wenn man während des Abzählens der Münzen des Vorderrentners an der Kasse einen kompletten Film von Christopher Nolan auf dem iPhone gucken kann.

Der sehr gute Musiker Gregor Meyle erzählte mir, dass er seine erste Gitarre von seinem Großvater geschenkt bekommen habe. Mehr noch: Das, was im heimischen Garten aussah wie ein Gewächshaus, sollte sich als etwas anderes herausstellen: Sein Opa hatte ihm seinen ersten Proberaum gebaut. Wofür ihm Meyle und seine Schrammellanten vermutlich dankbarer waren als die Nachbarn.kurzbio beisenherz

Das, was mein Großvater einst bei uns in Henrichenburg im Garten gebaut hatte, sah auch aus wie ein Gewächshaus – und es war eines. Und da unser Oppa (im Ruhrgebiet immer mit mehreren Konsonanten auszusprechen) handwerklich begabt war, verfügte sein Treibhaus über eine Sprinkleranlage für feuchtwarmen Nebel. Ein Geruch von Erde, frischen Tomatenstauden, Schnittlauch. All das technische Geschick half Oppa aber nix, wenn es darum ging zu verhindern, dass die Enkel ihm die halb reifen Tomaten und Gurken wegfressen. Ähnlich sollte es sich mit den Birnen, Äpfeln und Pflaumen aus dem Garten verhalten.

Patriarch einer Gas-Wasser-Scheiße-Dynastie in Castrop-Rauxel

Wir haben zu diesem Mann aufgeblickt, der körperlich nicht besonders groß war, aber so ziemlich alles geschaffen hatte, auf dem dieses Vier-Generationen-Haus fußt. Bis hin zur Begründung des elterlichen Handwerksbetriebes, den er lange führte und wo er immer noch ehrfürchtig „der Meister“ genannt wurde, als mein Vater dort längst Geschäftsführer war. Der pepitabehütete Patriarch einer Gas-Wasser-Scheiße-Dynastie in Castrop-Rauxel. Als mittelloser Sudetendeutscher zwei Häuser gebaut. Eine Firma. Ein Altgeselle erzählte uns Kindern die halbgottgleiche Geschichte, wie er als Lehrling einst zu schwach war, einen Heizkörper in den vierten Stock zu tragen, woraufhin „der Meister“ diesen kurzerhand schulterte und mit ihm obendrauf sitzend die Treppen hochtrug. Ob’s stimmt?

STERN PAID Altersdiskriminierung14.59

Wahr ist, dass mein Oppa meinen Bruder und mich gern mitnahm. Auf dem Abenteuerspielplatz Betriebsgelände sammelten wir alte Schrauben, schauten ihm beim Reparieren der VW Bullis zu. Verbrieft ist, wie wir mit ihm auf das Gelände des Nachbarn im Industriegebiet, eines Schaustellers, gingen, um für ein paar Mark die Karosserie eines ausgemusterten Autoscooter-Autos zu erwerben. Die baute er auf ein Chassis aus alten Schubkarrenreifen, zusammengelöteten Wasserrohren und einer Seifenkistenlenkung. Angetrieben wurde das Kart von einem Rasenmähermotor, der so kraftvoll war, dass mein damals 13-jähriger Bruder mit 50 km/h durch die Industriestraße kachelte (mein Bruder behauptet, es seien 80 gewesen). Natürlich ohne Helm. Es war 1984.

Da meine Eltern nicht komplett begeistert davon waren, wurde zwar der Motor gedrosselt, nicht aber der Tatendrang meines Oppas, der, wie sollte es anders sein, Jahre später mit Anfang 70 beim Schleppen eines wasser-getränkten Heuballens einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Dabei wollte er doch gerade beginnen, Pilze zu züchten. Etwas Neues anfangen. Neugierig bleiben: Das lässt einen manchmal nicht alt werden.

Eine Autorität, ein Komplize. Ich denke manchmal an ihn.

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