Hinter der Geschichte: Wieso ich von Amerikanern im US-Wahlkampf immer öfter auf die AfD angesprochen werde

Während Trump in Deutschland seit Jahren Thema ist, war die AfD in den USA lange ein unbekanntes Phänomen. Das hat sich geändert, wie stern-Reporter Jan Christoph Wiechmann feststellen musste.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich die AfD bis nach Amerika verfolgen würde, genauer gesagt bis nach Atkinson, New Hampshire, 7150 Einwohner. Ich war gerade mal 300 Kilometer weit gekommen auf der Reise durchs Wahljahr 2024 und hatte den ersten Schneesturm im Nordosten hinter mir, als der Besucher einer Trump-Veranstaltung fragte: „Sie sind also ein Reporter aus Deutschland? Seid ihr diejenigen, die so negativ über die AfD berichten?“ Er sprach „AfD“ akzentfrei aus, als sei es eine bekannte Marke in den USA. Wie BMW. Oder VW. 

„Durchaus kritisch“, antwortete ich.

„Mit solchen Leuten rede ich nicht“, erwiderte der glatzköpfige Mann, der etwa 50 sein mochte. Seine Frau war da schon abgezogen – voller Verachtung für den deutschen Reporter.  

STERN PAID Trump und Ich 9.20

Später auf der Bühne schwärmte Donald Trump von Victor Orbán und Javier Milei, so wie er früher schon von Putin und Bolsonaro geschwärmt hatte, seine Brüder im Geiste. Hätte nur noch gefehlt, dass er auch Björn Höcke nannte. Zwei Reihen vor mir saß eine Gruppe von etwa zehn jungen Männern, die deutsch miteinander sprachen. Sie trugen jenen ausrasierten Nacken und Seitenscheitel, wie es heute modern ist, aber mir geht bei dem Anblick der HJ-Scheitel nie aus dem Kopf.  

Ich fragte die jungen Männer auf deutsch, was sie hier machten, aber sie blickten sich nur untereinander an und wandten sich wortlos ab. Man kann sich gut vorstellen, dass sie sich etwas abschauen wollten von Trump, dem Godfather aller Ultrarechten. Wenn die AfD eines noch nicht hat, dann ist es ein Trump oder Orbán oder Wilders oder Bolsonaro oder Milei. 

Wenn man Trump dieser Tage live erlebt – im Vergleich zu den Wahlkämpfen 2016 und 2020 – dann sieht man einen radikalen alten Mann, der der AfD in nichts nachsteht – oder umgekehrt. Migranten gehören deportiert, Richter gefeuert, Drogenhändler erschossen, Journalisten zusammengetrieben, NATO-Staaten angegriffen. Mit solchen radikalen Forderungen käme die AfD wahrscheinlich nicht mal in ihren Hochburgen auf eine Mehrheit. 

Als Präsident hätte Trump seine eigene Mutter nicht ins Land gelassen

Und immer heißt es bei Trump: America First. Patriots First. Es klingt ein bisschen wie „Deutschland den Deutschen“ bei dem Mann, dessen Mutter eine arme Einwanderin aus Schottland war. Konsequenterweise müsste er über seine eigene Mutter und seinen deutschen Großvater das sagen, was er über alle verzweifelten Migranten heute sagt: „Sie vergiften das Blut unseres Landes.“  

Als Präsident hätte er seine eigene Mutter nicht ins Land gelassen. 

Vorwahl Michigan Biden16:31

Bei den letzten Wahlen 2020 wurde ich in Amerika noch nicht auf die AfD angesprochen und davor 2016 erst recht nicht. Das ist diesmal anders. Und zwar in beiden Lagern, bei Republikanern und Demokraten. Früher hieß es bei den Demokraten: Seid froh, dass so einer wie Trump bei euch in Deutschland nicht möglich ist. Heute heißt es bei Wahlveranstaltungen wie in der Kleinstadt Concord schon mal: Sind die Nazis nicht auch bei euch im Kommen?  

Wie soll man der Welt die AfD erklären, nur 80 Jahre nach Hitler?

Wenn es um Deutschland geht, wurde ich früher eher auf die großartigen, grenzenlosen Autobahnen angesprochen (wo es eigentlich Tempolimits geben sollte). Oder auf das großartige, vollmundige Bier (das in den hunderten Mikrobrauereien von Amerika inzwischen viel vollmundiger schmeckt). Oder auf den großartigen Jürgen Klinsmann (bei dem seit Jahrzehnten nichts mehr läuft). Oder auf den großartigen Arnold Schwarzenegger (der kein Deutscher ist). Oder auf Adolf Hitler. 

Jetzt also auf die AfD. 

Infobox US-Wahl-NL

Wie soll man der Welt die erstarkte AfD erklären – nur 80 Jahre nach Hitler? Das Gute als Journalist ist, dass man sich in Fragen flüchten kann, statt lange Erklärungen abgeben zu müssen. Also kam ich in Atkinson auf die Frage zurück, die wir bei dieser Tour durch Amerika vermutlich noch einige hunderte Male stellen werden: Wie kann es sein, dass ihr diesen nationalistischen Demagogen tatsächlich nochmal als Präsidenten wollt? 

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