Bald sollen sich auch Normalverdiener ein Elektroauto leisten können – nach Tesla und BYD ziehen europäische Autobauer nach. Damit beginnt die eigentliche Zukunftsschlacht der Autoindustrie.
Bevor der Designer Boris Reinmöller den Vorhang zur Halle in der Nähe von Paris beiseite zieht, holt er ein Bild aus den frühen Tagen der legendären Ente heraus. In den neuen elektrischen Citroën, den er hier gleich zeigen will, musste nämlich etwas von dieser Ente, die eigentlich 2CV hieß, rein. „Es ist darin immer noch etwas Ikonisches zu finden“, erklärt Reinmöller, der das Auto entworfen hat. Nein, der neue ë-C3 durfte nicht retro aussehen, das hatte ihnen der Oberchef verboten. Carlos Tavares, Patron des Autokonzerns Stellantis, will keine Nostalgie und keine runden Autos.
Die Verantwortlichen meinen mit ihrem Bezug auf den 2CV etwas anderes: Der Wagen hatte nach dem Krieg das Autofahren für die Massen erschwinglich gemacht. Die Konstruktion des Wackelautos hatte den Einsatz kostbaren Stahls so sehr auf das Wesentliche reduziert, dass er vom Windschutzscheibenrahmen bis zum Heckabschluss durch eine rollbare Textilabdeckung ersetzt wurde, die Generationen von Autofahrern als coole Klimatisierung zu schätzen wussten. Das Auto war für industrielle Großproduktion geschaffen. Und trotz seines Billigpreises war es in Sachen Komfort, Platz, Zuverlässigkeit seiner Zeit voraus. Was die Ente für die Mobilisierung der Massen war, soll der ë-C3 für die E-Mobilisierung der Massen leisten. So das Versprechen.
Denn die müsste dringend losgehen, wenn Europas Autoindustrie die gesetzlichen CO2-Grenzen nicht reißen will, wenn sie ihre Chancen auf den Zukunftsmärkten wahren will. Wenn endlich der Verkehr etwas gegen die Klimakrise tun soll.
Da steht dieser ë-C3 im gleißenden Licht einer Halle, in der die Designer normalerweise dem Konzernchef Prototypen vorführen. Das neue Modell, das die französische Marke im Frühjahr erstmals an Kunden ausliefern will, ist tatsächlich das erste erschwingliche Elektroauto eines europäischen Herstellers. Es steht mit 23.300 Euro in der Liste. Vor nicht langer Zeit hat selbst Konzernboss Tavares ein E-Auto zu einem solchen Preis aus europäischer Produktion (der ë-C3 entsteht in der Slowakei) zum Ding der Unmöglichkeit erklärt. Zum Vergleich: Ein Verbrenner-Polo ist bei VW ab knapp 22.000 Euro zu haben. Aber das Durchschnitts-E-Auto in Deutschland kostete laut ADAC im vergangenen Jahr fast 53.000 Euro. Unter 40.000 wurde es schwer, Brauchbares zu finden – wenn, dann aus China. Zwar hat etwa VW gerade die Preise der E-Modelle um etliche Tausender gesenkt, aber der deutsche Konzern kann sich das auf Dauer kaum leisten, weil die Produktion zu teuer ist. Stellantis hingegen versichert, man werde mit dem neuen Auto ordentlich Geld verdienen.
Bloß nicht retro: Citroën-Designchef Pierre Leclercq gab klare Vorgabenfür den neuen ë-C3
© Patrick Wack
Umfragen zufolge suchen Privatkäufer in Europa ein Auto zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Deshalb rollten die meisten E-Autos bislang am breiten Markt vorbei. Experten behaupten, dass die eigentliche Schlacht um die Zukunft der klassischen Autobauer in Europa auf diesem Feld stattfinden werde. „Der Markt verteilt sich jetzt zu einem gewissen Grad“, sagt Daniel Arand, Autoexperte bei der Beratungsfirma AlixPartners. „Die Hersteller müssen sich sputen, wenn sie sich Standing im Markt verschaffen wollen.“ Denn die Konkurrenz steht am Start. Relative Newcomer wie Tesla wollen den klassischen Autobauern im E-Geschäft ihre Position streitig machen. In China wächst der Markt für E-Autos rasant, die Hersteller dort sind bei Technik und Kosten oft voraus. Bald könnten sie ihre Exportwelle starten.
Eine neue Batterietechnik macht die Elektroautos günstiger
Das ist der Unterschied zu den Zeiten der Ente: Für die europäische Autoindustrie ist Massenmobilisierung nicht mehr notwendigerweise ein Wachstumsmotor. Die Branche steckt im Überlebenskampf. Tesla-Chef Elon Musk hat schon bei teuren Modellen die alte Autowelt herausgefordert. Nun bereitet er den Angriff bei den Volks-Wagen vor. „Wir wollen Ende 2025 mit der Produktion starten“, sagte Musk Ende Januar. Das neue Auto soll Model Q oder Model 2 heißen und weniger als 25.000 Euro kosten. Mit ihm will Musk erneut die Autowelt „revolutionieren“ und ins Kerngeschäft von Konzernen wie VW, Stellantis, GM und Toyota eindringen. Tesla plant ein neues Produktionsverfahren, bei dem das Fahrzeug nicht mehr Schritt für Schritt am Band, sondern gleichzeitig an einem Ort zusammengesetzt wird.
Ankündigungen sind bei Musk immer riesig, und im Augenblick müht er sich wegen des mittelprächtigen Börsenkurses besonders um Wachstumsfantasie. Sollte es gelingen, würde Tesla im Vergleich zu den alten Autobauern mit der Methode nicht mehr nur 30 Prozent billiger produzieren, sondern 40 bis 50 Prozent, schätzen Experten. „Sie wird mit Abstand besser sein als jede Produktionstechnologie, die es in der Welt gibt“, tönte Musk. Die Entwicklung in Texas sei schon im Gang. Auf fünf Millionen Autos pro Jahr schätzt er das Absatzpotenzial. Im Herbst schon hatte Musk angekündigt, dass er das Auto auch in seinem deutschen Werk in Grünheide bauen wolle.
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Der zweite Großangriff kommt von BYD. Der chinesische Konzern ist jetzt schon größter E-Auto-Bauer der Welt. Ende des Jahres kündigte er an, eine Fabrik in Ungarn hochzuziehen, die vielleicht 2026 fertig sein könnte. Welches Auto die Chinesen dort produzieren, steht noch nicht fest. In der Heimat haben sie das Modell „Seagull“ im Angebot, einen modernen Kleinwagen, der 305 Kilometer weit kommt und mitunter für weniger als 10.000 Euro verkauft wird. Ganz so billig ginge es „Made in Europe“ nicht, aber auch mit Preisaufschlag wäre es ein verführerisches Angebot.
Die Verteidiger bleiben nicht tatenlos. Renault präsentiert Ende Februar den neuen R5, der vom Herbst an ab 25.000 Euro verkauft werden soll. Dieses E-Remake des Klassikers darf retro sein, ist „Fabriqué en France“ und kommt, wie auch der ë-C3, pünktlich zu neuen Subventionen, die die Regierungen in Frankreich und Italien für E-Auto-Käufer angekündigt haben.
2026 soll von Spanien aus der VW ID.2 an Kunden gehen, auch er unter 25.000 Euro. Das sei nur unter Mühen zu erreichen, hat Chefentwickler Kai Grünitz neulich bekannt. VW stellt für den Einstiegspreis eine Reichweite von 350 km in Aussicht, der Akku soll in 20 Minuten geladen werden können (von 10 auf 80 Prozent). Viel wird davon abhängen, ob es dem Konzern dieses Mal gelingt, die Kostenvorteile der Konkurrenz auszugleichen.
E-Autos: Der Kampf um den niedrigsten Preis ist noch nicht vorbei
Dennoch sollen 25.000 Euro auch bei VW nicht die Untergrenze bleiben. Der Hersteller hat für Ende des Jahrzehnts ein Einstiegs-E-Modell unter 20.000 Euro angekündigt. Um das zu realisieren, verhandeln die Wolfsburger derzeit über eine Kooperation mit Renault. Die Franzosen haben dank ihrer Schwestermarke Dacia Erfahrung mit Low-Budget-Entwicklung und -Produktion.
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Manche Skeptiker hatten in der Vergangenheit prophezeit, das E-Zeitalter bedeute das Ende des Autofahrens für kleine Leute. Solche Warnungen waren offenbar verfrüht. Dass günstigere Autos möglich werden, verdankt sich den Fortschritten der Batterietechnik. Akkus werden durch Massenproduktion günstiger. Zudem sind in höherem Maß Lithium-Eisenphosphat-Akkus verfügbar, kurz LFP genannt. Diese Akkus haben zwar den bisher dominierenden Nickel-Mangan-Kobalt-Akkus (NMC) in der Lade- und Speicherleistung nichts voraus, aber ein paar unschlagbare Vorteile: Sie kommen ohne Problemstoffe wie Kobalt und Seltene Erden aus und weisen kaum Erhitzungsgefahr auf, müssen daher nicht so aufwendig abgesichert werden. Das macht sie erheblich günstiger. Langlebiger sollen die LFP-Akkus außerdem sein.
Eine neue Batterietechnik macht die Elektroautos günstiger
© Patrick Wack
Ohne China geht es auch hier nicht: Als erster europäischer Hersteller hat sich Stellantis für den ë-C3 die Lieferung von LFP-Akkus von SVolt gesichert, einer Tochter des chinesischen Konkurrenten Great Wall.
Damit steht das Auto nun hier, in der Halle bei Paris: Mit voller 44-kWh-Batterie soll es 320 Kilometer weit kommen und in 26 Minuten laden können (von 20 auf 80 Prozent). Ein bisschen Enten-Nostalgie ist doch erlaubt: Das sanfte Hellblau, in dem eines der drei Modelle lackiert ist, sei auch vom blassen Blaugrau der ersten 2CV inspiriert, behaupten die Verantwortlichen. Eine Reminiszenz stellt auch das neue Markenlogo dar, das wie früher in einem Oval gefangen ist. Aber so revolutionär wie einst der 2CV sieht der ë-C3 nicht aus. Er bietet Platz auf wenig Standfläche (was Parkplatzsuchende erfreut), und in der Bauform zeigt er ein paar SUV-Anklänge. Seine Bauhöhe ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Batterie unter den Unterboden passen muss.
Anders als es die E-Autos von Tesla und von VW sind, ist das neue Stellantis-Modell noch ein Kompromiss aus alter und neuer Autowelt. Das erkennt man beim Blick in den Motorraum. In dessen Mitte ist eine silberne Kiste festgeschraubt, aus der zahlreiche Hochvoltkabel kommen, aber an allen Seiten bleibt ungenutzter Platz. Notfalls passt hier noch ein Verbrennungsmotor rein. Genau den will Stellantis auch einbauen in ein paar Monaten. Damit dürfte der neue C3 ohne ë noch einmal vielleicht 8000 Euro billiger werden. So ist es das Prinzip bei Stellantis. Gleiche Fahrzeugarchitekturen für alle Antriebe, die Autos kommen vom gleichen Band – das erlaubt Flexibilität. Das Neue: Bisher wurden bei Citroën und den Schwestermarken Peugeot, Opel, Fiat und Jeep Verbrennerplattformen genutzt, unter die man, mit Abstrichen, auch eine Batterie schrauben konnte. Beim C3 ist es erstmals eine Batterieplattform, in die, wenn’s sein muss, auch noch ein Verbrennermotor passt.
„Disruptiv“ will Citroën sein, sagt Markendesignchef Pierre Leclercq, der sich jetzt vor dem Auto postiert. Einen technischen Bruch markiert die Konstruktion nicht. Aber der Preis, wie konnte der so niedrig ausfallen? Leclercq zeigt ins Cockpit: Man hätte gern ein Head-up-Display gehabt, das Tacho- oder Navigationsdaten in die Windschutzscheibe spiegelt. Das war zu teuer. Also haben sie sich diese elegante Anzeigenleiste direkt unter der Scheibe ausgedacht, die horizontal die Fahrzeugbreite einnimmt. Oder, sagt Leclercq, noch ein Beispiel: Bestimmte Kunststoffteile für die Karosserie brauchen nicht mehr lackiert zu werden, das Plastik kommt in Originalfarbe aus der Spritzgussmaschine. „Das bringt enorme Einsparungen“, sagt er. Dafür sind nur noch fünf Farben im Angebot. Ein bisschen vom Pragmatismus des Citroën-Ahnen steckt doch im neuen Modell.