Berlinale: So hart trifft das Ende des Streaming-Booms die deutsche Filmbranche

Viele Produzenten sind zum Auftakt der Berlinale in schlechter Stimmung. Es geht, wie immer, ums Geld. Kulturstaatsministerin Claudia Roth verspricht Abhilfe, könnte aber an Finanzminister Lindner abblocken.

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Eine der größten deutschen Filmproduktionen seit Jahren entsteht, was prinzipiell ein Moment der Euphorie sein könnte. Stattdessen aber, jammern viele Branchenteilnehmer auf der Berlinale. Das Fantasy-Epos „Hagen“, das auch noch auf der deutschesten aller Sagen beruht, wird mit einem Budget von rund 50 Millionen Euro von der führenden hiesigen Produktionsfirma Constantin aus München nicht etwa in den bayerischen Wäldern gedreht – sondern in böhmischen. Da jault sogar Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf. Sie als Bayerin schmerze das besonders, beklagte Roth am Donnerstag bei einer Konferenz von Filmproduzenten zur Auftakt der Berlinale. „Wenn jetzt Constantin aus Bayern nach Tschechien geht, ist das ein rotes Warnzeichen und da müssen wir handeln“, rief die Politikerin.

Die Abwanderung des Nibelungen-Dramas ist kein Einzelfall. Die berühmten Filmstudios in Potsdam-Babelsberg stehen seit über einem Jahr weitgehend leer, weil auch keine internationalen Großproduktionen mehr nach Deutschland kommen. Anderen Produktionsdienstleistern geht es ähnlich. In der Herbstumfrage des Branchenverbands Produktionsallianz beschrieben Ende vergangenen Jahres 56 Prozent der Unternehmen die wirtschaftliche Lage beim Film als schlecht oder sehr schlecht. Die Kinozahlen des vergangenen Jahres, die die Filmförderungsanstalt FFA am Mittwoch vorstellte, zeigen zwar ein deutliches Plus – fast 30 Prozent mehr Kinokartenumsatz als im Vorjahr. Aber die Zahl der verkauften Tickets liegt immer noch fast 20 Prozent unter dem Vor-Corona-Wert und der Umsatz fast 10 Prozent. Der erfolgreichste deutsche Film in der Hitliste („Die drei ??? – Erbe des Drachen“) kam erst auf Platz 9. Der Marktanteil einheimischer Filme sank von 27 auf 24 Prozent. 

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Hauptursache für den Jammer ist dabei aber gar nicht das deutsche Kinogeschäft. Überall auf der Welt rutscht der Markt für Film und Entertainment ab. Dieser wirkt sich in Deutschland aus strukturellen Gründen besonders heftig aus. „Die besten Zeiten sind vorbei“, fasste der Berliner Branchenberater und -analyst Klaus Goldhammer Ende Januar bei einer Branchentagung zusammen. Der Grund, rechnete Goldhammer vor, ist die enorm heftige Marktbereinigung im Streamingmarkt. Nach den Erfolgen von Netflix hatten sich auf der ganzen Welt die „Streaming Wars“ entfaltet. Global agierende US-Konzerne wie Apple, Amazon, Disney, Warner Discovery, Universal, Paramount steckten infolge der Corona-Pandemie immer mehr Milliarden in Serien und Filme, um ihre Video-on-Demand-Plattformen gegen Netflix in den Kampf zu schicken. Lokale Player kamen noch dazu. 

Auch deutsche Produzenten und Produktionsstandorte profitierten von diesen Streaming-Kriegen. Eine Zeitlang waren Schauspieler, Autoren, Bühnenbauer, Maskenbildner kaum zu bekommen, Produzenten konnten ihre Honorare hochsetzen. Doch es war ein kurzer Boom. „Es hat sich schnell gedreht vom Fachkräftemangel zu den Fragen: Wo sind die ganzen Produktionen geblieben? Wie viele Insolvenzen werden wir sehen?“, berichtete der Kölner Produzent Jakob Weydemann auf oben erwähnter Tagung. 

Kleiner Streaminganteil kaschierte Probleme

Denn die Konzerne in den Streaming Wars merkten: „Alle haben ein Problem“, wie Analyst Goldhammer zeigte – alle außer Netflix natürlich: „Sie sind nicht profitabel“. Jedenfalls lange nicht. So schnell wie die Investitionen ausgeweitet wurden, werden sie jetzt wieder zusammengestrichen. 

Bei deutschen Produzenten landeten zwar nur Bruchteile der Streamingmilliarden. Aber diese konnten die Rückgänge und Probleme kaschieren, die die hiesige Branche ansonsten erlebt. Da ist das Kino, das nicht wieder zum Vor-Corona-Level zurückfindet. Da ist vor allem aber das Fernsehen, das traditionell ein Hauptfinanzier der Produzenten ist. Denn der Streamingboom (und nicht nur er) hat zwar neben dem Kino auch das Fernsehen unter Druck gesetzt. Das Ende des Streamingbooms bedeutet aber ebenso wenig wie beim Kino im Fernsehen, dass das Geld zurückkehrt. 

Streamingkunden merken bereits, dass die Plattformen in Sachen Filme und Serien gegenüber den Boomzeiten austrocknen und gleichzeitig mit Werbeschaltungen angereichert werden. Abogebühren steigen ohnedies, weniger für mehr heißt das Prinzip. Aber auch das lineare Fernsehen kann sich weniger und weniger teure Produktionen leisten. „In Deutschland wird das lineare Fernsehen eingeschrumpft“, stellte Goldhammer fest. Die öffentlich-rechtliches Sender stehen wegen der Inflation und politischen Vorgaben unter enormem Spardruck. 

Die kommerziellen Sender erleben nach Goldhammers Rechnung seit fünf Jahren – mit Ausnahme des Coronajahrs 2021 – Einnahmerückgänge von im Mittel 4,2 Prozent im Jahr. Das liegt vor allem am strukturellen Rückgang der Fernsehwerbung. Bert Habets, Vorstandschef des Fernsehkonzerns ProSiebenSat1 sprach bei der Konferenz der Produzenten zum Berlinale-Auftakt über seine eigenen Bemühungen, mit der (werbefinanzierten) Streaming-Plattform Joyn dem unter Druck geratenen TV-Werbemarkt zu entkommen: „Wir etablieren Joyn in einem ziemlich schwierigen Marktumfeld“. Dabei gilt – nur auf den ersten Blick paradox – „es wird so viel geschaut, wie noch nie“, wie Goldhammers Zahlen zeigen. Doch die Einnahmen aus dem Videoschnipselkonsum bei Tiktok oder Youtube landen in aller Regel nicht bei Filmproduzenten – sondern bei den Plattformen, die ihre Werbeeinahmen steigern.

Referentenentwurf pünktlich zur Berlinale

Zu all dieser Misere kommt noch hinzu, dass der Bund seine Mittel zur Branchenförderung im vergangenen Jahr um 30 Millionen Euro gekappt hat. Die Förderpolitik ist entscheidend, wenn die Branche aus der Krise kommen soll. Denn, darüber waren sich die Kultur- und Medienpolitiker der drei Ampelparteien und der CDU/CSU-Opposition bei der Produktionsallianz einig: Ohne andere Förderung würde es kaum mehr Filme und Serien aus Deutschland geben und ebenso wenig internationale Großproduktionen im Lande. Nicht nur die Landwirte, auch die Filmemacher im Land leben eben zum Teil von Subventionen, aber die Filmleute haben nicht so große Trecker zum Protestieren.

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Die grüne Staatsministerin Roth will nun das Fördersystem so stark umbauen wie seit Jahrzehnten nicht mehr, wie sie sagte. Roth hat pünktlich zur Berlinale einen Referentenentwurf für ein neues Filmfördergesetz fertiggestellt, zudem noch so genannte „Diskussionsentwürfe“ für weitere Maßnahmen. Nach dem Wunsch der Staatsministerin sollen sie ab Anfang 2025 gelten. Würden diese tatsächlich umgesetzt, wäre das eine in mancher Hinsicht revolutionäre Neuordnung der deutschen Filmlandschaft. Alle drei Maßnahmen haben es nämlich in sich.

Erstens will Roth künftig Filmproduktion aus Deutschland und in Deutschland mit Steuergutschriften fördern. Wer hier Geld ausgibt – egal ob heimischer Produzent oder Hollywood-Studio – soll 30 Prozent seiner Ausgaben gutgeschrieben bekommen. Seit Anfang 2021 ist eine EU-Richtlinie in Kraft, die dergleichen Steueranreize einfacher als vorher erlaubt. Viele internationale Filmstandorte, etwa in Nordamerika und Großbritannien nutzen längst solche Methoden, inzwischen auch 15 der 27 EU-Länder, darunter Spanien, Frankreich und eben auch Tschechien, das Land, in das zu Roths Bedauern die „Hagen“-Produktion der Constantin-Film abwanderte. Mit der 30-Prozent-Regelung, sagte Roth jetzt „soll Deutschland als international wettbewerbsfähiger Produktionsstandort nachhaltig gestärkt werden“. Aber nicht nur das, die Umsetzung soll nach ihrer Rechnung nicht Geld kosten, sondern bringen: Die Förderung sei „im übergeordneten volkswirtschaftlichen Interesse von Bund und Ländern“. Denn die Produktionen würden Folgeinvestitionen vom Sechsfachen der Fördersumme nach sich ziehen, so die Erfahrung anderer Länder, es flössen dadurch also am Ende mehr Steuern in die Kassen als heraus.

Bisherige Fördertöpfe untauglich

Nicht alle in der Politik wollen dieser Rechnung folgen. Das Bundesfinanzministerium und viele Haushaltspolitiker lehnen solche Art Steueranreize traditionell grundsätzlich ab. Schon weil der Staat dann nicht im Vorhinein weiß, was es kostet. Die bisherigen Fördertöpfe, um Produktionen ins Land zu holen, kamen wegen genau solcher Bedenken zustande, sie haben sich aber als untauglich erwiesen, weil die Töpfe gedeckelt waren und das Geld immer schon verplant, wenn Produzenten mit ihren Plänen kamen. Dennoch: Ob gerade Finanzminister Christian Lindner für das Modell zu haben ist, erscheint noch zweifelhaft. Roth erklärt bisher nur vage, dass sie mit Lindners Ministerium und auch mit dem Haus von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Kontakt stehe. Und schon am Freitag will sie Gespräche mit den Bundesländern beginnen, welche auch zustimmen müssten. Immerhin, FDP-Mann Thomas Hacker, der für seine Fraktion im Medien- und Kulturausschuss sitzt, erklärte zu den anstehenden Verhandlungen mit seinem Parteivorsitzenden als Herrn im Finanzministerium: „Den Kontakt zu Christian Lindner nutze ich natürlich“, versprach er. Und zur 30-Prozent-Idee: „Da stehe ich voll und ganz dahinter“.

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Mindestens genauso disruptiv und ebenso umstritten ist Roths zweite Maßnahme: Sie will Netflix & Co., aber auch TV-Sender wie Habets‘ ProSiebenSat1 dazu verdonnern, 20 Prozent ihrer heimischen Umsätze auch für heimische Produktionen auszugeben. Auch das Prinzip gibt es bereits anderswo, Vorreiter in Europa war Frankreich, wo die Streaming-Plattformen sogar 25 Prozent ihrer Umsätze investieren müssen. Filmproduzenten dort schwärmen vom Erfolg des Programms, inzwischen würden Netflix und andere die Quote sogar übererfüllen. „So können wir dauerhaft die Struktur der deutschen Filmwirtschaft stärken“, sagte Roth. Doch ihr Koalitionskollege aus der FDP zeigte sich bei dieser Maßnahme ziemlich reserviert. 

Auf die Barrikaden ging auch ProSiebenSat1-Mann Habets, den das Gesetz (das außer der 20-Prozent-Vorgabe noch eine Reihe von Unterquoten enthält, etwa für deutschsprachigen Content) betreffen würde. „Das ergibt keinen Sinn“, schimpfte er. „Es führt zur Überregulierung“, fürchtete er. Und die Unterquoten „begrenzen uns dabei, uns auf die Nutzerbedürfnisse zu konzentrieren“. Auch dass Streamer und Sender künftig nach fünf Jahren Verwertungsrechte wieder an die Produzenten zurückgeben sollen, anstatt sie für immer ausspielen zu können, passt vielen nicht. 

Das dritte Maßnahmenpaket ist am weitesten gediehen und wahrscheinlich weitgehend unumstritten: Direkte Filmförderzuschüsse des Bundes sollen künftig anders als bisher aus einer Hand vergeben werden (nämlich von der FFA). Ein großer Teil soll nicht mehr von Jurys abhängen, sondern vom künstlerischen und Publikumserfolg der Filmemacher. 

Die Staatsministerin drängte, „dass man ab dem Jahr 2025 die Zukunft der deutschen Filmförderung einleiten kann und muss“. Aber sie steht erst am Anfang.

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