Filmfestival: Cillian, Cillian! Wie Oscar-Star Murphy auf der Berlinale zum Liebling des Tages wurde

Seine blauen Augen machen uns so sentimental. Am Donnerstagabend wurde die 74. Berlinale eröffnet. Mit vielen deutschen und ein paar internationalen Stars. Im Zentrum ein schweigsamer Ire als Kohlenhändler: Cillian Murphy.

Und plötzlich wurde es dem ganzen Saal warm ums Herz. Eine Journalistin aus Georgien wollte eine Frage stellen, was man halt so macht auf einer Pressekonferenz für den diesjährigen Eröffnungsfilm der Berlinale. Vorher schüttete sie aber dem Liebling des Tages erst einmal ihr Herz aus. Schwärmte davon, dass selbst ihre 16-jährige Tochter nur seinetwegen die lange Anreise in Kauf genommen hat. Wie es ihm denn gelinge, mit seiner Kunst Mütter wie Mädchen gleichermaßen zu verzücken? fragte sie dann schließlich. Murphy schlug seine fast unheimlich blauen Augen nieder, fasste sich mit den Händen ins Gesicht und schwärmte zurück: „Sehr süß, dass Sie das sagen. Und schöne Grüße auch an ihre Tochter.“ Sein Publikum seufzte, kollektiv ergriffen. 

Über seinen kleinen, aber feinen Film „Small Things Like These“ kann man geteilter Meinung sein, der Auftritt von Murphy, Favorit sowohl bei den britischen Bafta-Filmpreisen sowie den Oscars, verlieh dem Starttag der 74. Filmfestspiele von Berlin den oft verzweifelt gesuchten Glanz. Er redete nicht wirklich viel auf dem Podium, aber allein seine Anwesenheit sorgte für Rummel. Fünfmal war er bereits zu Gast auf dem Festival, doch nur diesmal wurde der Titelheld von „Oppenheimer“ bereits beim Aussteigen aus seiner Limousine mit „Cillian, Cillian!“-Sprechchören empfangen. 

Cilian Murphy spielt die Hauptrolle in „Small Things Like These“

Ähnlich schweigsam gibt er sich auch in seinem Berlinale-Beitrag. Murphy spielt den fleißigen Kohlenhändler Bill, den Rücken schon leicht krumm vom Schleppen der Säcke und Briketts und offenbar mit nur einem einzigen groben Wollpullover ausgestattet. Wir sind mitten in den 80er Jahren, in seiner irischen Kleinstadt läuten ständig die Glocken, wie überhaupt der Einfluss der katholischen Kirche an allen Ecken spürbar ist. 

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Er hat gleich fünf Filmtöchter, seine Filmfrau sieht diesmal nicht aus wie Emily Blunt, sondern trägt geblümte Nachthemden, Föhnfrisur und könnte auch als seine Mutter durchgehen in ihrer Mischung aus biederer Bravheit und Traditionsbewusstsein. Als Bill bei einer Lieferung beobachtet, wie sehr die örtlichen Ordensschwestern, die ihnen anvertrauten „gefallenen“ Mädchen schikanieren, mahnt seine Frau ihn zur Zurückhaltung. Denk an deinen Job, denk an die Familie – lieber nimmt sie das weihnachtliche Schweigegeld der Oberin an, brillant dämonisch als Nonne aus der Hölle gespielt von Emily Watson. 

Eines strahlt der Film nicht aus: Glamour

Doch Empathie kann man nicht abschalten, so kann man im Verlauf des behutsam erzählten Dramas, inspiriert von den Geschichten von Charles Dickens, Bills Gewissen beim Wachsen zuschauen. Ob das alles gut endet oder im Desaster, muss jeder selbst für sich entdecken. Was der Film, den Murphy sechs Monate nach „Oppenheimer“ gedreht hat und als ein „Herzensprojekt“ bezeichnet, leisten kann? Er stelle eine Menge Fragen über Mitschuld, Schweigen und Scham, sagt Murphy. „Aber ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Kunst ist, diese Fragen zu beantworten, sondern sie irgendwie zu provozieren.“ 

Wenngleich der bedrückende, aber sehr empathische Film wenig Glamour ausstrahlt für eine Eröffnungsfeier, hat er zumindest noch einen weiteren echten Star im Schlepptau. Matt Damon hat den Film mit seiner eigenen Produktionsfirma koproduziert. Wie er zu dem Stoff kam? Nun, Murphy habe ihn darauf angesprochen, als die beiden zusammen in der Wüste von New Mexico „Oppenheimer“ drehten, berichtet Damon gut gelaunt bei der Pressekonferenz. Angeschwärmt hat ihn am Ende aber niemand. 

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