Die Stahlindustrie zählt mit den klimaschädlichsten Sektoren. Jetzt soll sie grün werden und der Bund will helfen. Nur mit Geld allein ist es nicht getan.
Es summt und brummt im Bremer Warmwalzwerk. Dann öffnen sich die Schotten, es knallt und rattert, als eine glühende Bramme über das Rollband saust. Selbst aus sicherer Entfernung ist die Hitze des zwölf Meter langen und 1000 Grad warmen Metall deutlich zu spüren. Dann wird das massive Stück gewalzt, gepresst und gekühlt bis der Leuchtblock nicht mehr an einen Goldbarren erinnert, sondern an das, was er wirklich ist: Eine graue Stahlplatte, hergestellt, um in Autos und Brücken verbaut zu werden oder als Aschenbecher oder Besteck im Haushalt zu landen.
In Bremen entstehen jährlich 3,5 Millionen Tonnen des Rohstoffes. Das sind zehn Prozent der gesamten deutschen Produktion – die extrem klimaschädlich ist. In der Hansestadt geht die Hälfte der CO2-Emissionen auf das Konto des Stahlwerks.PAID 29_22 Forschungsprojekt Wetterextreme Hitze 17.02
Mehr als ein Viertel der deutschen Emissionen kommen aus dem Sektor. Die Bundesregierung hatte angekündigt, die deutsche Stahlindustrie mit rund sieben Milliarden Euro begrünen zu wollen. Bereits im Dezember 2023 hatte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck deshalb den Drillinger Hüttenwerken im Saarland eine Finanzspritze zugesagt, nachdem die Europäische Kommission die Förderung genehmigt hatte. Rund 2,6 Milliarden Euro erhält die saarländische Stahlindustrie bis zum Jahr 2027. Zuvor hatte die EU-Kommission schon eine Genehmigung für die Stahlhersteller Salzgitter AG, Thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg erteilt.
Nun hat Habeck auch den Werken von Arcelor Mittal in Bremen und Eisenhüttenstadt die Förderung zugesagt. Mit dem Bescheid reiste der Wirtschaftsminister in die Hansestadt. „Es ist alles geklärt“, sagte der Grünen-Politiker bei einer Betriebsversammlung des Konzerns. Noch fehle mit der Notifizierung der letzte Schritt aus Brüssel, doch die Belegschaft könne sich auf die Förderung verlassen.
Grüner Wasserstoff gleich grüner Stahl
Bremen wartete mehr als zwei Jahre lang auf den Bescheid. Pläne für den Umbau des Werkes gibt es seit einigen Jahren. 2021 gab Arcelor Mittal bekannt, dass die beiden Hochöfen stillgelegt und durch eine sogenannte Direktreduktions-Anlage (DRI) ersetzt werden sollen. Diese Anlage arbeitet mit umweltfreundlichem Wasserstoff. Außerdem sollen elektrisch betriebene Schmelzöfen die herkömmlichen Stahlkonverter ablösen. Dafür braucht es aber finanzielle Hilfe aus Berlin und Brüssel.
Internationaler Spitzenreiter beim grünen Stahl sind derzeit die Vereinigten Staaten. Die Industrie setzt dabei vor allem auf Recycling. Viel Stahlschrott wird dort wiederverwertet, sagt Rainer Quitzow, der am Institut für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Zentrum Potsdam zu klimafreundlichen Industrien forscht. Beim weltweit größten Stahlproduzenten China haben Staatskonzerne erste grüne Pilotprojekte gestartet. In Europa sind die Ambitionen in Spanien groß. Die Grundlagen für erneuerbare Energien stehen, allerdings fehlt das Geld, um die Transformation der Stahlindustrie zu fördern. Besser läuft es dagegen in Schweden, wo sich genug Windräder drehen, um CO2-freien Wasserstoff herzustellen – eine Herausforderung, der sich auch Deutschland künftig stellen muss.
Denn Stahl wird erst dann richtig grün, wenn auch der Wasserstoff grün ist. Dafür müsste der gesamte Strom für die Wasserstoffherstellung aus Wind- oder Solarparks kommen – „und das ist im Moment noch nicht der Fall“, sagt Quitzow. Aber: „Wenn man glaubwürdig produzieren möchte, muss man auch diese Vorkette in den Blick nehmen und sicherstellen, dass nur emissionsfreier Wasserstoff eingesetzt wird.“29: «Stahlallianz» Länder wollen Umbau vorantreiben – ad9df506adcbd725
Die klimaneutrale Stahlproduktion steht hierzulande deshalb noch auf etwas wackligen Beinen. Auch, weil das Vorhaben teuer ist. Allerdings galt das vor 20 Jahren auch für die erneuerbaren Energien, räumt der Industrieforscher ein. „Je nachdem, wie die Sonne steht und der Wind weht, sind die Erneuerbaren heute vielfach günstiger als Strom aus Kohle und Gas geworden. Und genau das müssen wir jetzt auch im Bereich Wasserstoffproduktion anstoßen.“
Alternativ könnte die deutsche Stahlindustrie auch den Schrott wiederverwerten. Rund 70 Prozent des Stahls werden in den Hüttenwerken erschmolzen, die verbleibenden 30 Prozent recycelt, heißt es bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Ob neu verwertet oder mit Wasserstoff hergestellt: Ein Patentrezept für grünen Stahl gibt es nicht. Wie sich die Produzenten aufstellen, hängt von der Marktsituation ab. Und auch vom Produkt selbst, denn die Wasserstoff-Produktion bietet sich nicht für jede Stahlform an. „Wichtig ist nur, dass die gesamte Produktion dekarbonisiert wird. Denn die Alternative ist der Klimawandel – und der ist volkswirtschaftlich gesehen deutlich teurer“, betont Quitzow.
Debatten um günstige Importe und CO2-Preis
Sollten sich die Hersteller hierzulande vollständig vom Koks verabschieden, könnten die Preise steigen – und Abnehmer abspringen. Daran ändern möglicherweise auch die Subventionen von Bund und Ländern wenig. Wem die Kosten zu teuer werden, importiert günstiger aus China. Dort wurde 2020 ungefähr die Hälfte des weltweit produzierten Metalls hergestellt. Wirtschaftsexperten fürchten angesichts der Massenproduktion eine Art Dumping chinesischer Stahlprodukte. „Das ist natürlich auch für die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Stahl ein Problem“, bestätigt Quitzow.
Um das zu verhindern, hatte der damalige US-Präsident Donald Trump 2018 Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahlimporte verhängt und dies mit einem Gesetz von 1962 begründet. Demnach dürfen Präsidenten Einfuhren beschränken, wenn sie die nationale Sicherheit bedrohen. Die Welthandelsorganisation (WTO) hatte dies für unrechtmäßig erklärt. Für europäische Produkte wurden die Zölle wieder zurückgenommen. Für China und andere Staaten gelten sie noch – sehr zum Missfallen der WTO und Pekings. Zusammen mit Brüssel ringt Washington derzeit um eine andere Lösung.
Die Europäer hatten sich zuletzt auf einen Grenzausgleichsmechanismus geeinigt. Das Instrument soll den Kohlenstoffpreis für Importe an die Preise für CO2-Zertifikate europäischer Stahlproduzenten angleichen. Die Maßnahme wird schrittweise eingeführt. Europäische Handelspartner „sehen das teilweise eher als protektionistische Maßnahmen, um den europäischen Stahlsektor zu schützen. Ich würde das nicht so sehen. Ich denke, es ist ein Schutz für die Stahlwerke, die wirklich dekarbonisiert werden“, sagt Quitzow.Trump lässt höhere Zölle auch auf fast alle übrigen China-Importe vorbereiten
„Noch wichtiger ist aber die gezielte Schaffung einer ‚grünen Nachfrage‘, zum Beispiel könnte man Quoten für grünen Stahl bei der öffentlichen Beschaffung einführen“, schlägt er vor.
Wie lange die Umstellung auf grünen Stahl in Deutschland dauert, ist bisher aber noch schwer zu sagen. Es hängt am politischen Willen, den Maßnahmen und am Geld. Sinnvoll sei es aber zunächst „schrittweise Projekte zu starten, um Lerneffekte zu generieren und die Kosten der Technologie zu reduzieren. Innerhalb der nächsten 20 Jahre wäre das machbar“, schätzt Industrieforscher Quitzow. „Also genau die Zeitspanne, die uns gerade noch so bleibt.“
Quellen: Bundeswirtschaftsministerium, Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien, Bremer Senat für Umwelt, Klima und Wissenschaft, Arcelor Mittal, Wirtschaftsvereinigung Stahl, Statista, Europäisches Parlament, Buten un Binnen