Unter Druck: Horror vor Tests: Was bei Prüfungsangst wirklich hilft

Blackout – wochenlang gelernt und in der Prüfung ist plötzlich alles wie ausradiert. Was gegen Prüfungsangst hilft und warum es sinnvoll ist, erst in anderen Lebensbereichen zu üben.

Der Schweiß rinnt über die Stirn, die Kehle wird ganz trocken und es ist schon der 700ste Gang zur Toilette, kurz vor der Prüfung. Jede Faser des Körpers sträubt sich dagegen, in den Bus zu steigen, der Richtung Uni fährt. Mit jedem Kilometer näher an das Blatt Papier, bedruckt mit Fragen, die jedes Nichtwissen anzuklagen scheinen. Fast jede*r in Deutschland dürfte sich in so eine Situation einfühlen können. 

Einer Umfrage der Internationalen Hochschule Erfurt (IU) zufolge haben neun von zehn der Deutschen schon einmal unter Prüfungsangst gelitten – fast zwei Drittel davon während Schule und/oder Studium. Für die Umfrage wurden 1600 Menschen in Deutschland zwischen 16 und 65 Jahren befragt. Doch Hilfe wegen der Prüfungsangst nimmt kaum jemand der Befragten in Anspruch. Die psychologische Beraterin Sabrina Fleisch weiß, dass Prüfungsangst auch mit Scham verbunden ist. Im Interview verrät sie, was hilft, wenn die Angst kurz vor einer Klassenarbeit überhandnimmt. 

Im Traum sitzt mein Freund oft in der Abiturprüfung und weiß plötzlich keine Antwort mehr. Dabei ist sein Schulabschluss schon Jahre her und er hat ihn bestanden. Warum hängen uns Prüfungen so lange nach?
Träume können auf Ängste und versteckte Bedürfnisse hinweisen. In Prüfungen werden wir bewertet. Wer häufig von ihnen träumt, kann Angst davor haben, von seinen Mitmenschen negativ bewertet zu werden. Eben die Angst zu versagen, ausgelacht, verhöhnt oder kritisiert zu werden. Aber auch eine dramatische Prüfungssituation, die Ihr Freund wirklich erlebt hat, kann hinter solchen Träumen stecken – eine schmerzhafte Erinnerung, die sich im Gehirn eingebrannt hat.

Nervös ist vor einer Klassenarbeit sicherlich jeder. Wann ist es Prüfungsangst?
Es gibt keine klare Grenze. Aber ein starkes Anzeichen für Prüfungsangst ist, wenn Menschen zum Beispiel gar nicht erst zum Test gehen können. Aus Angst vermeiden sie jegliche Prüfungssituation. Häufige Symptome sind Bauchschmerzen, Probleme mit dem Darm. Hat jemand bei der Klassenarbeit einen Blackout, ist das ein klares Indiz für Prüfungsangst – wer alles Gelernte vergisst, ist stark überfordert. Wir sollten uns aber auch bewusst machen, dass diese Angst zu versagen menschlich und in einem gewissen Maß wichtig für eine funktionierende Gesellschaft ist. Durch sie versuchen wir Fehler und Strafen zu vermeiden. Bei der Prüfungsangst geht es nicht nur um die reine Angst, sie ist sehr schambehaftet. 

Sabrina Fleisch lebt in Linz und ist psychologische Beraterin. Sie arbeitet als Angst- und Stressbewältigungstrainerin. Sie hilft Menschen in Coachings dabei, Lösungen für ihre Probleme zu finden
© Andrea Aichhorn

Warum können manche ihr gelerntes Wissen in Prüfungen gut abrufen, während es bei anderen wie gelöscht scheint? 
Wie wir uns in einer Prüfung fühlen, hängt stark damit zusammen, wie wir die Situation bewerten. Wer Angst hat, wird sich immer das schlimmstmögliche Szenario ausmalen. Es läuft ein Film vor dem inneren Auge ab. Auch wie ich mich selbst und meine Fähigkeiten bewerte, wirkt sich darauf aus, in welchem Gemütszustand ich in einer Prüfung sitze. 

Prüfungsangst: Das Ausmalen eines schlimmen Szenarios

Wer Prüfungsangst hat, ängstigt sich also vor einer Horrorvorstellung. Was läuft dabei genau in unserem Kopf ab?
„Wenn ich das nicht schaffe, dann bin ich unglücklich. Bekomme keinen großartigen Job und bin nicht erfolgreich“, das kann so ein Gedanke von Menschen mit Prüfungsangst sein. Sie neigen zum Perfektionismus, können sich schlecht Fehler erlauben oder werten diese als Totalversagen. Das erzeugt einen sehr großen Druck. Das wird gerne von sehr negativen Gedanken begleitet: „Die Prüfung wird eh viel zu schwer“ oder „Der Prüfer mag mich überhaupt nicht. Das wird meine Zukunft versauen“. Es läuft im Kopf eben dieser Horrorfilm ab.

Stress im Orchestergraben20h

Und wie kann ich ihn stoppen?
Läuft in der Prüfungssituation oder kurz davor ein solcher Horrorfilm ab, ist es hilfreich, sich abzulenken. Um die negativen Gedanken zu durchbrechen, kann es helfen, kurz aus der Situation herauszugehen. Und sich fragen, wie es auch schön ausgehen könnte. Denn: Was die Angst uns eintrichtert, ist ganz weit weg von der Realität. Wichtig ist es auch, den gedanklichen Fokus weg von dem großen Ziel – dem Bestehen des Tests – zu lenken. Die Prüfung sollte in kleine Teilschritte zerlegt werden. Das erste kleine Ziel kann sein, überhaupt zur Prüfung hinzugehen.

Von manch einer Prüfung hängt aber sehr viel ab. Wer im Studium in Modulprüfungen landet, muss sie bestehen oder fliegt aus dem Studiengang. In so einer Situation fällt es schwer, nicht an das Ergebnis zu denken. Was kann hier helfen?
Auch wenn so eine Prüfung die letzte Chance für den Studiengang ist, würde ich versuchen, die Bedeutung herauszunehmen. Letztlich wird es einen anderen Weg geben, wenn die Prüfung nicht funktioniert. An dieser Stelle hilft es einfach, Vertrauen in sich und das Leben zu haben. Für Menschen, die spiritueller sind oder an Schicksal glauben, dürfte das etwas einfacher sein. Und auch hier gilt es die Prüfung kleiner zu machen: Eine mündliche Prüfung ist nur ein Gespräch und der schriftliche Test ist nur ein Blatt Papier mit aufgedruckten Buchstaben.

Psychohygiene 20.15

Ob Schule, Ausbildung oder Bewerbungsgespräch – im Leben können wir Prüfungen nicht immer vermeiden. Doch wenn die Angst groß ist, versuchen Betroffene genau das…
Wie gesagt steht hinter der Prüfungsangst die Furcht vor Bewertung. Um von den Horrorvorstellungen und dem Entweder-oder-Denken wegzukommen, sollten sich Betroffene in für sie unangenehme Situationen bringen und schauen, was passiert: Einmal mit ungekämmten Haaren vor die Tür gehen oder sich einfach mal in den Weg stellen – die ersten paar Minuten fühlt es sich schlimm an, aber dann merkt man, dass die anderen Menschen einen nicht so sehr beachten, wie vermutet.

Man fängt also nicht direkt mit der Prüfungssituation an, um die Angst zu bekämpfen?
Es ist wichtig, sich schrittweise dem Gefühl zu stellen und an seinem Selbstvertrauen zu arbeiten. Zunächst sollten Betroffene in ihrer Komfortzone bleiben. Dann können sie sich in die Lernzone begeben und erst ganz zum Schluss in die Angstzone – die Prüfung. Wir lassen uns also zunächst in anderen Lebensbereichen bewerten, bevor wir sofort in die Prüfung gehen. Und bei Situationen, die uns verunsichern, sollten wir unsere Mitmenschen um Feedback bitten, wie sie die Situation bewerten. Ich hatte zum Beispiel eine Situation, als ich in meine Wohnung eingezogen bin: Es hat geregnet, der Umzugskarton war klitschnass und die Pappe durchweicht. Die Kiste fiel mir direkt vor der Haustür aus der Hand, alles war matschig. Meine Nachbarin stand mit Hemden in der Hand da, sagte nicht viel außer „Hallo, du bist die neue Nachbarin.“, ich interpretierte das so, dass sie mich blöd fand und ablehnte. Als ich es später ansprach, erklärte sie, dass sie nichts gesagt hatte, um mich nicht zu stressen. Unsere eigene Interpretation trifft oft nicht zu.

Angst vor dem Test: Was Eltern für ihre Kinder tun können

Sabrina Fleisch: „Prüfungsangst loswerden. Mentale Strategien zur Vermeidung von Blackouts, Nervosität und Blockaden“, Ullstein, 320 Seiten, 13,99 Euro.
© Ullstein

Auch Kinder können Angst vor Klassenarbeiten entwickeln. Unterscheidet sich ihre Furcht von jener bei Erwachsenen?
Die Angst an sich unterscheidet sich bei Erwachsenen und Kindern nicht. Die Angst kann bei Kindern durch negative Erfahrungen mit Prüfungen herrühren oder durch extremen Leistungsdruck zu Hause erzeugt werden. Die Furcht vor Klassenarbeiten kann sich auch als eine Art Schutzfunktion bei Kindern ausbreiten, wenn sie schlecht über sich selbst denken und sich nicht viele Fähigkeiten zutrauen.

Und wie können Eltern ihren Kindern helfen?
Statt dem Kind einzureden, es bräuchte eine gute Note, sollten Eltern den Fokus auf das Bemühen legen. Für Kinder ist es wichtig, dass Eltern ihnen zeigen, was sie alles können und worin sie gut sind. Außerdem: Vor Dingen, die wir schon häufig gemacht haben, haben wir weniger Angst, eine Übungsprüfung zu Hause macht also durchaus Sinn. Eltern sollten an dem Tag der Prüfung mit den Kindern etwas Schönes machen – so wird der Tag für den Sohn oder die Tochter schön, unabhängig davon, wie die Prüfung lief.

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