US-Wahlkampf: Bidens bittere Rede: Verehre Amt, aber liebe mein Land mehr

Diese Rede dürfte Joe Biden nicht leicht gefallen sein: Eigentlich wollte der Demokrat sich für eine zweite Amtszeit bewerben. Daraus wurde nichts. Nun äußert er sich erstmals zu seinem Rückzug.

In einer emotionalen Rede an die Nation hat US-Präsident Joe Biden das Ende seiner langen politischen Karriere eingeläutet und Tatendrang für seine verbleibenden sechs Monate im Amt demonstriert. „Ich verehre dieses Amt, aber ich liebe mein Land mehr“, sagte der 81-Jährige. Der beste Weg, das Land zu vereinen, sei es, „den Staffelstab an eine neue Generation übergeben“. Der Demokrat skizzierte in der bedeutenden Ansprache, die etwas von einer Abschiedsrede hatte, sein politisches Vermächtnis und pries seine Stellvertreterin Kamala Harris als Ersatzkandidatin an: „Sie hat Erfahrung. Sie ist zäh. Sie ist fähig.“

Der bedeutenden Rede aus dem Amtszimmer des Präsidenten, dem Oval Office, gingen chaotische Wochen im US-Wahlkampf voraus. Ende Juni versagte Biden in einem TV-Duell gegen seinen republikanischen Herausforderer Donald Trump kläglich. Für den Demokraten war es wohl der Anfang vom Ende seiner politischen Karriere. Der Auftritt war so desaströs, dass in den USA eine Debatte über seine Eignung als Präsidentschaftskandidat für die Wahl am 5. November entbrannte. Immer mehr Parteikollegen forderten seinen Rückzug aus dem Rennen ums Weiße Haus. Biden klammerte sich an der Macht fest. Das Land hielt kurz den Atem an, als Trump vor rund anderthalb Wochen bei einem Attentat verletzt wurde. 

Biden: Ehrgeiz darf Rettung der Demokratie nicht im Weg stehen 

Doch der Druck auf Biden war schließlich so groß, dass er am Wochenende die Reißleine zog und sich hinter seine Stellvertreterin Harris als Ersatzkandidaten stellte. Seine Rede war nun der erste richtige öffentliche Auftritt seit seinem Rückzug aus dem Rennen. Biden schlug in seiner Ansprache nachdenkliche Töne an. „Es ist das Privileg meines Lebens, dieser Nation seit über 50 Jahren zu dienen“, sagte er. Nirgendwo sonst auf der Welt könne ein Kind mit einem Stotter-Problem aus bescheidenen Verhältnissen zum höchsten Amt im Staat aufrücken. „Hier bin ich nun. Das ist es, was Amerika so besonders macht“, sagte Biden. 

„Wir sind eine Nation der Verheißungen und Möglichkeiten, der Träumer und Macher, der gewöhnlichen Amerikaner, die außergewöhnliche Dinge tun.“ Er habe sein Herz und seine Seele in den Dienst der Nation gestellt, wie so viele andere. Im Gegenzug sei er gesegnet worden mit der Liebe und Unterstützung des amerikanischen Volkes. „Ich hoffe, Sie haben eine Vorstellung davon, wie dankbar ich Ihnen allen bin.“ Gleichzeitig warnte er: „Nichts, gar nichts darf der Rettung unserer Demokratie im Wege stehen. Das gilt auch für persönlichen Ehrgeiz.“ Das Tolle an Amerika sei, dass hier keine „Könige und Diktatoren“ herrschten.

Ein schwerer Abschied

Reden zur besten Sendezeit aus dem Oval Office sind krisenhaften Momenten und großen Zäsuren im Land vorbehalten. Es war die vierte Ansprache dieser Art in Bidens Amtszeit seit Januar 2021. Zuletzt hatte er sich zehn Tage zuvor nach dem Attentat auf seinen Amtsvorgänger und langjährigen politischen Kontrahenten Trump auf diese Weise an die Nation gewandt. Auch das veranschaulicht, wie sehr der aktuelle Präsidentschaftswahlkampf mit seinen dramatischen Wenden hervorsticht.

Die Rede dürfte dem Vollblutpolitiker Biden nicht leicht gefallen sein. „Ich glaube, dass meine Leistungen als Präsident, meine Führungsrolle in der Welt und meine Vision für die Zukunft Amerikas eine zweite Amtszeit verdient haben“, gab Biden unverblümt zu. In US-Medien heißt es, dass Bidens Berater ihn letztlich mit Umfrageergebnissen konfrontiert hätten, nach denen die Demokraten bei der Wahl im November in Staaten verloren hätten, die ihnen eigentlich sicher sind. Das soll Biden schließlich zum Umdenken bewegt haben. In einem TV-Interview vor einigen Wochen hatte er noch gesagt, nur Gott könne ihn zum Rückzug bewegen. Nun waren es wohl doch nackte Zahlen.

Politiker mit Leib und Seele

Der Jurist begann seine Politiker-Karriere im Stadtrat von Wilmington im Bundesstaat Delaware. Schließlich vertrat er den Bundesstaat fast vier Jahrzehnte im US-Senat, bis er 2009 mit als Barack Obamas Vize ins Weiße Haus einzog. 1988 und 2008 hatte sich Biden selber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten beworben – ohne Erfolg. Im Jahr 2000 erfüllte sich schließlich sein Lebenstraum – er gewann die Wahl gegen Trump und wurde Präsident der Vereinigten Staaten. Sein Leben war von Schicksalsschlägen überschattet. Er verlor seine erste Ehefrau und die gemeinsame Tochter bei einem Autounfall. Sein Sohn Beau starb 2015 an einem Hirntumor. 

Biden machte nun deutlich, dass er zwar nicht für eine Amtszeit antrete, aber für die verbleibenden sechs Monate im Amt noch große Pläne habe. Er wolle weiter gegen Waffengewalt kämpfen, forderte eine Reform des Supreme Court und bekräftigte, sich darauf konzentrieren zu wollen, das Verteidigungsbündnis Nato stärker und geeinter zu machen. Der Regierungsalltag dürfte 81-Jährigen schon an diesem Donnerstag mit voller Wucht treffen. Es steht ein Treffen mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu auf dem Programm, der aktuell zu Besuch in den USA ist. Das Verhältnis ist während des Gaza-Kriegs auf einem Tiefpunkt angekommen. 

Tränen und Applaus

Am Mittwochabend (Ortszeit) versammelten sich aber erst mal zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Weißen Haus, um die Rede Bidens zu schauen. Es handle sich wohl um die wichtigste Rede, die Biden nie habe halten wollen, sagte CNN-Journalistin Dana Bash. Unter den Angestellten sollen Medien zufolge Tränen geflossen sein, am Ende habe es großen Applaus gegeben. 

Bei der Ansprache im Oval Office war auch Bidens Familie zugegen. Seine Angehörigen gelten als seine engsten Vertrauten und sollen ihn lange darin bestärkt haben, an der Kandidatur festzuhalten. Bidens Ehefrau Jill veröffentlichte einen handgeschriebenen Brief in den sozialen Medien. „Danke für das Vertrauen, das ihr in Joe gesetzt habt – jetzt ist es an der Zeit, dieses Vertrauen in Kamala zu setzen“, schrieb sie. 

Wahlkampf geht schmutzig weiter

Einen starken Kontrast zu Bidens ernster Ansprache bot Trump bei einem Wahlkampfauftritt in North Carolina. Der Republikaner nahm sich seine neue politische Gegnerin Harris vor und nannte sie eine „linksradikale Verrückte“, die das Land zerstören werde. Auch an Biden ließ der 78-Jährige kein gutes Haar. Das zeigte sich auch an der Reaktion des Republikaners auf Bidens Ansprache. „Die Rede des korrupten Joe Biden im Oval Office war kaum zu verstehen, und sooo schlecht!“, schrieb er.

Die US-Demokraten stimmten unterdessen am Mittwoch dafür, Harris bereits vor dem Parteitag Mitte August auf virtuellem Weg als Präsidentschaftskandidatin zu bestimmen. Falls sich nur eine Person zur Wahl stelle, könne eine elektronische Abstimmung frühestens am 1. August starten, teilte die Partei mit. Sollte es mehrere Anwärter geben, beginne die Abstimmung ein paar Tage später. Hintergrund sind Sorgen über Fristen in den Bundesstaaten, bis wann die Parteien ihre Kandidaten bestätigt haben müssen. 

 

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