„Caren Miosga“: Geht im Osten bald die Sonne unter?

In Ostdeutschland ist dieses Jahr Superwahljahr, und die AfD kann vor Superkräften kaum gehen. Wie lassen sich Regierungsbeteiligungen der Rechtsextremen verhindern? Dazu fiel Caren Miosga und ihren Gästen nicht viel ein. Sie beließen es bei Demokratiebeschwörungen – anstatt die Populisten an ihrem wunden Punkt zu packen.

Bodo Ramelow leidet bekanntlich unter einer Lese-Rechtschreibstörung. Seine Schullaufbahn in den 1960er- und 70er-Jahren: ein Fiasko. Erst in der Berufsschule wurde die Legasthenie von einem Psychologen diagnostiziert. Eindrücklich schilderte der thüringische Ministerpräsident zu Beginn der Debatte seine schwierige Sozialisation. Doch leider gelang es weder ihm noch Caren Miosga, einen Link zur Gegenwart herzustellen. Den hätte es durchaus gegeben. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, der davon träumt, ab September seine braune Kameradschaft mit Posten und Staatsgeheimnissen versorgen, will u.a. die Inklusion an Schulen abschaffen. Alle Ramelows, die nicht ins Schema passen, wären damit raus. Selektion statt Chancengleichheit.

Bei Caren Miosga zu Gast waren:

 Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen (Die Linke) Katharina Warda, Soziologin mit den Schwerpunktthemen Ostdeutschland und Rassismus Thomas de Maizière, ehemaliger Verteidigungs- und Innenminister (CDU)

Bei 36 Prozent liegt die AfD in Thüringen in aktuellen Umfragen. CDU und Linke kommen auf einen ähnlichen Wert, zusammen. Wieso sich seine Partei halbiert habe seit der letzten Wahl, wollte Caren Miosga wissen. Ramelow nannte zwei Hauptgründe. Die Regierungskrise 2020 mit der gescheiterten Neuwahl. „Seitdem wird mir der Vorwurf gemacht, ich würde an meinem Sessel kleben.“ Sowie Corona und die damit einhergehende Spaltung der Gesellschaft. Miosga holte die Armutsstatistik hervor. Dort liege Thüringen nur auf Platz 12 von 16 Bundesländern. „Wie kann das einem linken Ministerpräsidenten passieren?“ Schmallippige Replik von Ramelow: „Ich kann nur das Geld ausgeben, das mir zur Verfügung steht.“

Brandanschlag Thüringen vor Ort 11.15

Rechtsruck würde ostdeutscher Automobilindustrie schaden

Auch Sara Wagenknechts neue Gruppierung gräbt der Linken Wähler ab. Katja Wolf, eine langjährige Vertraute Ramelows, wechselte jüngst zum BSW. In der Sendung erhielt sie einen üppigen Einspieler – Thomas de Maizière bezeichnete den Clip spitz als „Parteispot zu besten Sendezeit“. In der Tat echauffierte sich die amtierende Oberbürgermeisterin von Eisenach wortreich über die „etablierten Parteien“, von denen die Leute enttäuscht seien und denen sie und ihre Partei nun ein „neues parlamentarisches Angebot“ machen würden. Immerhin schoss sie auch gegen Höcke. „Ein Rechtsruck wäre für unsere Stadt eine demografische und wirtschaftliche Sackgasse.“ Bereits jetzt seien Führungsstellen in der hiesigen Automobilindustrie schwer zu besetzen wegen des rechtslastigen Images der Region.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Kluft zwischen Ost und West weiter vertieft. In der aktuellen Ausgabe des „stern“ spricht sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Er vertrete damit in der CDU einer Minderheitenmeinung, sagte de Maizière. „Das ist von ihm keine Wahltaktik, der ist wirklich davon überzeugt.“ Daran hat die Soziologin Katharina Warda ihre Zweifel. Das Thema sei rechts besetzt, und Kretschmer rechne sich damit sicher etwas aus. Für sie allerdings ein Fehlschluss. „Damit verschiebt man nur den Raum des Sagbaren und die Normalität weiter nach rechts. Und ermöglicht damit erst ein Klima, in dem es ganz leicht ist, rechte Parteien zu wählen.“

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„Tiefsitzender Anti-Amerikanismus“

Aber warum kommt Putin in den ostdeutschen Bundesländern vergleichsweise gut weg? Thomas de Maizière sprach von einer „Melange“. Es gebe eine Neigung, sich aus internationalen Konflikten möglichst raushalten zu wollen. Das gelte ganz stark für Konflikte mit Russland, gegen das Deutschland „ja immer irgendwie“ den Kürzeren gezogen habe. Dazu komme ein tiefsitzender Anti-Amerikanismus.

Warda findet solche Pauschalisierungen schwierig. In den öffentlichen Diskursen sei eine Idee des „Ostens“ gewachsen als eine Art böser Zwilling des „Westens“. Dieser sei mit Attributen wie plural, divers und kosmopolitisch verknüpft. Der Osten hingegen stehe für autoritär geprägt, ohne Vielfalt, ohne Migration, ohne Zivilgesellschaft. „Dieses Bild wird von der internationalen Rechten instrumentalisiert, wieder in den Osten getragen und ganz stark mit Stimmung gefüllt.“

Und was passiert jetzt am 1. September in Thüringen, wenn die AfD tatsächlich einen Erdrutschsieg einfahren sollte – schließen sich CDU und die Linke dann zu einer Brandmauer-gegen-rechts-Koalition zusammen? „Eine solche Diskussion zahlt nur auf das Konto der AfD ein“, sagte Bodo Ramelow. „Wir sollte eher darüber reden, welche Gefahr von Herrn Höcke für die Demokratie ausgeht.“

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