Taylor Swift löst einen beispiellosen Hype aus. Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich spricht über die historischen Wurzeln des Fankults und erklärt, wie soziale Medien die Bindung zwischen Anhängerschaft und Stars verändern.
Herr Ullrich, um Taylor Swift, den derzeit größten Popstar der Welt, hat sich eine besondere Fangemeinde gebildet: die „Swifties“. Wie weit lässt sich das Phänomen des Starkults in der Geschichte zurückverfolgen?
Wolfgang Ullrich: Dass Menschen bestimmte Personen bewundern, verehren und sich zum Vorbild nehmen, dürfte in allen Kulturen der Welt verbreitet sein, und zwar seit jeher. Ein Vorläufer des Starkults im europäischen Abendland findet sich in der christlichen Religionsgemeinschaft mit ihrem Heiligenkult: Gläubige versuchten, Jesus nachzuahmen, teils bis zur Selbstgeißelung. Auch im antiken Sport hatten Athleten Bewunderer. Das, was wir heute als Starkult bezeichnen, ist aber eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts.
Was unterscheidet denn die „Swifties“ von jenen Menschen, die im alten Rom Wagenlenker angefeuert haben? Fanartikel gab es damals bereits, etwa Statuetten mit dem Abbild der Idole.
Tatsächlich gehört eine gewisse Verausgabung seit jeher zur Fankultur: Das betrifft sowohl Geld, das Fans für ihr Idol ausgeben, als auch Zeit, die sie investieren. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen antiken Fangruppen und den heutigen. Der moderne Starkult konnte sich nur mit der Erfindung der Massenmedien entwickeln.
Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich ist Mit-Herausgeber der Buchreihe „Digitale Bildkulturen“ und betreibt den Blog „Ideenfreiheit“
© Neven Allgeier
Zeitungen, Radio, Kino, das Fernsehen?
Genau. Diese Medien erzeugten einen neuen Typus von Star, etwa Schauspieler und Musiker. Zeitungsberichte und Radioübertragungen erreichten ein Massenpublikum. Man musste nicht mehr im Publikum eines Konzerts, einer Theateraufführung oder eines Sportereignisses sitzen, um etwas darüber mitzubekommen. Die Zeitung, das Radio, der Fernseher brachten die jeweiligen Stars quasi nach Hause. Gleichzeitig wurde auch die Anhängerschaft immer sichtbarer, zum Beispiel durch Berichte über Fan-Aufläufe.
Wobei es aber auch bereits vor der Erfindung des Radios Musikstars gab?
Natürlich. Franz Liszt etwa löste Mitte des 19. Jahrhunderts das „Liszt-Fieber“ aus und sorgte für Begeisterungsstürme. Vor allem aufgrund seiner Virtuosität, seinem Habitus und seinem Aussehen wurde er zu einem umjubelten Frauenschwarm. Der Geigenvirtuose Niccolò Paganini hatte ebenfalls zahlreiche Fans, genau wie frühe Opernstars. Damals wie heute reisten deren Anhängerinnen und Anhänger ihren Idolen zu Konzerten von Stadt zu Stadt hinterher, allerdings verfügten die frühen Stars über vergleichsweise kleine Fangruppen. Selbst das „Liszt-Fieber“ zog nur einen kleinen Publikumskreis in seinen Bann. Erst ab der Zeit um 1900 wird das Fantum zu einem Massenphänomen.
Der Virtuose, der für Ekstase sorgte: Mitte des 19. Jahrhunderts löste Franz Liszt das „Liszt-Fieber“ aus – vor allem unter weiblichen Adeligen
© Franz Liszt / Lebrecht Music Arts / Bridgeman Images
Das war die Zeit, in der sich auch das Wort „Fans“ verbreitete: Belegt ist es erstmals im Jahr 1889 in einer US-amerikanischen Tageszeitung im Zusammenhang mit Baseball-Fans.
Das Wort „Fans“ geht auf das lateinische „fanaticus“ zurück und beschrieb jemanden mit extremen Gefühlen gegenüber einer anderen Person. Zunächst wurde das Fantum – wie „Hysterie“ – vornehmlich als weibliches Phänomen abgewertet, ja als emotionale Verausgabung einer Person pathologisiert, die sich selbst nicht mehr unter Kontrolle hat und nicht zurechnungsfähig ist. Spätestens mit dem Aufkommen auch männlicher Fußballfans hat sich diese Vorstellung gewandelt. Jedenfalls ging die Verbreitung des Begriffs „Fans“ mit der Professionalisierung von Sport- und Musikevents einher: Diese immer größeren Veranstaltungen wurden wiederum von den Massenmedien aufgegriffen. Daneben gab es zwei weitere Voraussetzungen für die Entstehung des modernen Starkults: Zeit und Geld.
Inwiefern?
Die Liszt-Konzerte im 19. Jahrhunderten waren eine elitäre Angelegenheit. Ein Dienstmädchen konnte so einen Konzertbesuch nicht bezahlen. Erst die Wohlstandsgewinne breiter Gesellschaftsschichten im 20. Jahrhundert ermöglichten es einer immer größeren Zahl von Menschen, es sich leisten zu können, Fan zu sein. Und schließlich benötigen Anhänger Zeit und Energie für ihr Idol: Ein Industriearbeiter, der im 19. Jahrhundert 14 Stunden schuften musste, hatte den Kopf voller Pflichten und existenzieller Sorgen. Für die Mehrheit der Gesellschaft in Westeuropa wurden Kategorien wie Freizeit und Freizeitgestaltung erst im Laufe des 20. Jahrhunderts immer bedeutsamer.
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Wer waren dann die Vorläufer der „Swifties“? Welcher Starkult der Moderne erwies sich als wegweisend?
Ein Meilenstein war sicherlich die Beatlemania in den 60er-Jahren. Damals waren erstmals alle Voraussetzung für die Entstehung eines Fankults erfüllt, der eine ganze Generation umfasst hat. Massenmedien wie Zeitschriften, Radio und zunehmend das Fernsehen haben quasi im Verbund gespielt. Zudem war die Beatlemania ein wirklich internationales Phänomen.
Und heute? Wie haben die sozialen Medien die Fankultur verändert?
Die sozialen Medien markieren in vielerlei Hinsicht einen Umbruch des Fantums: Lange waren Fans zu einer gewissen Passivität verurteilt gewesen. Man musste auf die nächste Zeitschrift warten, um darin vielleicht ein neues Foto seines Idols zu sehen. Es hat ewig gedauert, bis man Neuigkeiten seines Stars erfahren hat. Man war als Fan im Modus des Schmachtens. Heute dagegen füttern Prominente ihre Fans auf Social Media ständig mit neuem Material. Mehr noch: Früher konnte man nur Briefe an sein Idol schreiben, heute kann man quasi mit dem Star interagieren. Er wirkt nicht mehr so unendlich weit weg, wodurch eine neue Wechselseitigkeit entsteht. So nennen sich die Fans der südkoreanischen Musikgruppe BTS „Army“: Sie verstehen sich als Mischung aus Anhängerschaft, Bodyguards, Seelenverwandten und Co-Produzenten. Gleichzeitig ist die Bekenntnisqualität des Fan-Seins gestiegen: Hatte man früher in seinem Zimmer ein Poster seines Lieblingsstars, bekennt man heute vor der ganzen digitalen Welt seine Anhängerschaft zu dieser Persönlichkeit.
Kreischalarm: Die Beatles lösten in den 1960er-Jahren die „Beatlemania“ aus, hier bei einem Auftritt in den USA
© William Lovelace
Wie wirken sich soziale Medien auf die Fanszene aus?
Die Fan-Community ist viel transparenter geworden. Jeder kann heute sehen, wie andere Fans sich ausleben und hinterfragen: „Wie bereiten sich andere „Swifties“ auf das Konzert vor? Muss ich nachlegen und noch mal in die Bastelkiste greifen?“ Insgesamt schaffen soziale Medien eine engere Bindung zwischen Fans und Star, als das früher möglich war.
Wie schätzen Sie die Zukunft des Fankults ein?
Sehr interessant finde ich die vielen Formen von Fan-Fiction, die ihrerseits vor allem im Internet entwickelt werden, oft zu fiktionalen Figuren wie „Harry Potter“ oder „Star Treck“, von denen man ja genauso Fan sein kann. Ich gehe davon aus, dass Fan-Fiction durch den Einsatz von KI weiter boomen wird, Fans dann also die Biografien ihrer Heldinnen und Helden gewissermaßen fortschreiben und so selbst gestalten. Auch sogenannte Virtual Influencer, computergenerierte fiktive Figuren, werden jetzt schon immer relevanter, weil sie mit bestimmten Eigenschaften und Ansichten versehen werden können, die Personengruppen gezielt ansprechen. Außerdem rechne ich damit, dass das Fantum politisiert wird: Im Falle Taylor Swifts diskutieren Medien und Politikwissenschaftler bereits darüber, ob der Popstar mit einer Empfehlung die US-Wahlen beeinflussen könnte. Gleichzeitig etablieren Politiker wie Donald Trump regelrechte Fankulturen, was die Frage aufwirft, ob Parteien und politische Bewegungen zunehmend selbst „Politik-Stars“ benötigen, um gewählt zu werden.