Spatial Computing: Apple Vision Pro im Test: Mittendrin und doch allein

Die neue Apple Vision Pro bringt digitale Welten in das echte Leben. stern-Autor Malte Mansholt hat sie ausführlich getestet. Und sich dabei manchmal ganz schön einsam gefühlt.

Gebannt starre ich auf den riesigen Bildschirm, als meine Frau ins Wohnzimmer kommt und sich neben mich setzt. Kurz will ich fragen, ob sie mitschaut. Doch sie macht sich schon den Fernseher an. Der bombastische Film vor mir existiert in ihrer Welt gar nicht. Sondern nur in meiner Vision Pro.

Apples neuestes Produkt ist eigentlich eine herkömmliche VR-Brille – und dann doch sehr viel mehr. Das Prinzip ist einfach erklärt: Zwei extrem hoch aufgelöste Displays direkt vor den Augen sorgen dafür, dass ich als Träger einen dreidimensionalen Eindruck bekomme. Zusammen mit den Sensoren auf der Außenseite entsteht dann allerdings Magie: Die Brille gibt die Außenwelt nach innen weiter, legt virtuelle Elemente darüber. Für mich vermischen sich die beiden Welten.

Apple Vision Pro im Test: Ist das echt?

Wie realistisch das bei der Vision Pro wirkt, zeigt, dass ich immer wieder vergesse, dass die Welt eigentlich nur durch Bildschirme zu sehen ist. Instinktiv will ich mir meine reguläre Brille greifen, als ich sie auf dem Schreibtisch liegen sehe. Als ich den Elternzeit-Code eingebe, schaue ich wie sonst auch immer, ob mein Sohn auf das Fenster schaut – obwohl er es natürlich im echten Raum gar nicht sehen kann. Mehrfach erwische ich mich dabei, wie ich jemandem etwas zu zeigen versuche, was doch nur ich sehen kann.

Das Menü der Vision Pro wirkt für Apple-Nutzer vertraut. Es lässt sich jederzeit einblenden – und legt sich dann über das Sichtfeld
© Malte Mansholt

Tatsächlich überzeugt die Vision Pro hier wie keine andere VR-Brille vorher. Anders als Konkurrenzmodelle setzt Apple nicht auf einen Controller, sondern lässt mich das Interface direkt mit meinen Augen und den Händen steuern. Fokussiere ich ein Element, wird es hervorgehoben. Tippe ich dann Daumen und Zeigefinger zusammen, fungiert das als Mausklick. Das wirkt zunächst fast magisch, geht aber schnell ins Blut über. So sehr, dass es fast schon frustriert, wenn es ab und zu nicht klappt. Etwa, wenn die Beleuchtung im Raum zu gering ist.

Auch bei der Darstellung setzt Apple Maßstäbe. Durch die hohe Auflösung und die nur in Ausnahmen spürbare Verzögerung wird die Außenwelt nur mit minimalem Verlust ins Innere gespiegelt. Konkurrenz-Geräte wie die Meta Quest haben einen viel stärker sichtbaren Fliegengittereffekt, Bewegungen werden nur leicht verzögert übertragen. Das zerstört den realistischen Eindruck bevor er entstehen kann.

Apple Interview, 19.45

Virtuelle Welten

Bei der Vision Pro überträgt er sich dagegen auch auf die Inhalte: Durch die hohe Auflösung und clevere Tricks wie dezente Beleuchtungs-Effekte schweben die Fenster für mich im Raum, als wären sie wirklich dort. Eine von Apple angebotene Dinosaurier-„Erfahrung“ lässt gigantische Echsen in mein Wohnzimmer schauen. Das Beeindruckende: Je näher sie kommen, desto schärfer werden sie. Bis sie schließlich nach meiner Hand schnappen.

Meiner Frau war das schlicht zu viel: Dreimal versuchte sie die Dinos zu erleben – dreimal riss sie sich dann doch die Brille vom Kopf. Dabei wusste sie eigentlich, was auf sie zukommt. Über eine Spiegel-Funktion hatte ich meine Sicht in der Brille auf den Fernseher gebracht. Doch das flache Bild wird dem Erleben wenn man sie trägt einfach nicht gerecht.

Wie sehr man mit seinen Erlebnissen in der virtuellen Welt alleine bleibt, hatte ich schon vorher gemerkt. Dass man sie trägt, wird einem oft durch die Reaktion anderer Menschen bewusst gemacht. „Jetzt nimmt doch mal das Teil ab“, bekam ich von meiner Frau und auch den Kindern mehr als einmal zu hören, wenn ich im Gespräch die Brille aufließ. Zurecht vermutlich, denn wenn ich andere die Vision Pro tragen sehe, denke ich ja dasselbe, wenn sie mit mir sprechen.

Die Vision Pro zeigt anderen meine „Persona“, wenn ich sie während Videoanrufen trage
© Malte Mansholt

Digitale Augen und eine eigene Persona

Eigentlich versucht Apple diesen Eindruck des Abgeschottet-Seins zu mindern. Ein Display außen zeigt meine Augen an, wenn ich andere Menschen anschaue und kein Fenster die Sicht versperrt. Ich sehe dich, sollen die digitalen Augen vermitteln. In der Praxis funktioniert die Anzeige zwar meistens und die digitalen sehen meinen echten Augen erstaunlich ähnlich. Der Effekt ist aber trotzdem eher befremdlich. Als würde man am Telefon nur eine Computerstimme des anderen hören.

Noch skurriler wird es in Video-Telefonaten. Nutzt das Gegenüber ein klassisches Gerät wie ein Smartphone, sehe ich sie als ganz normales Videobild. Bei mir geht das aber natürlich nicht: Die Vision Pro verdeckt ja mein Gesicht. Apples Lösung: meine sogenannte Persona. Mit den 3D-Kameras an der Außenseite scanne ich einmal mein Gesicht und erstelle eine 3D-Kopie meiner selbst. In Video-Telefonaten wird meinen Gesprächspartnern nun nicht mehr mein Gesicht, sondern das digitale Antlitz gezeigt – das Dank der Sensoren im Innern der Brille aber live meine Gesichtsausdrücke spiegelt. Auch gemischte Gruppen-Anrufe mit mehreren Personas und herkömmlichen Videos sind möglich. Toll: Die Technologie funktioniert nicht nur für Apples Dienste wie Facetime, sondern auch für die Angebote der Konkurrenz.

Der Effekt ist allerdings etwas gewöhnungsbedürftig: Der Scan fängt ja nur einige wenige Gesichtsausdrücke ein, der Rest wird KI-berechnet. Gerade bei Menschen mit einer ausdrucksstarken Mimik geht dadurch viel verloren. In der aktuellen Version sind die Personas deshalb gleichzeitig beeindruckend und irgendwie unnatürlich. Ich persönlich telefoniere dann doch lieber per Video-Call.

Vision Pro im Großformat: Der kleine Fernseher rechts ist mit 65 Zoll eigentlich ziemlich groß
© Malte Mansholt

Kino auf kleinstem Raum

Die Kern-Funktion der Vision Pro ist dann doch eher die Nutzung alleine. Und hier liefert sie richtig ab. Ob es die Kino-Leinwand ist, die ich auf engstem Raum aufziehen kann, das Konzert von Alicia Keys, das Apple mich in seinem Streamingdienst Apple TV+ hautnah erleben lässt oder 3D-Spiele wie „Cityscapes“: Als Entertainment-Maschine für eine einzelne Person hat die Vision Pro wirklich enorm viel zu bieten.

Das fängt schon beim Fernsehen an. Als am Freitag Deutschland gegen Spanien spielte, wollten wir natürlich alle das Spiel sehen. Bei einem Anstoß um 18 Uhr und zwei langen Arbeitstagen knurrte aber allen der Magen. Also wurde flugs das Spiel in die Brille geholt. Und ich konnte mit zwei freien Händen Gemüse schnippeln – und dabei einen virtuellen Großbild-Fernseher über der Küchenzeile platzieren.

Küchenhilfe mal anders: Mit der Vision Pro kann man auch beim Gemüse-Schnippeln Fußball schauen
© Malte Mansholt

Überhaupt macht die Vision Pro plötzlich viel größere Bilder möglich. Im Wohnzimmer wird plötzlich die ganze Wand zur Kinoleinwand. In der Disney-App kann ich mir dazu sogar den passenden Kino-Hintergrund dazu holen. Und in 3D-Filmen wie „Avatar“ Hunderte Meter in den Raum hineinschauen. Gerade auf einem Flug oder einer Zugfahrt dürfte das mehr als Willkommen sein. Allerdings: Solange man sich keine zweite Brille kauft, bleibt man auch hier wieder alleine.

Teilen als Achillesferse

Das Teilen miteinander ist aktuell ohnehin eine der größten Schwächen der Brille. Anders als etwa beim Smartphone kann man Inhalte nicht einfach dem Gegenüber hinhalten, um sie teilhaben zu lassen – sie sind ja in der Brille. Zwar gibt es die oben genannte Spiegel-Funktion auf den Fernseher, die kann aber den 3D-Eindrücken einfach nicht gerecht werden. Die sogenannten räumlichen Fotos und Videos fangen Aufnahmen etwa dreidimensional ein, beim Betrachten fühlt man sich regelrecht in den Moment zurückgeworfen. Dieser Effekt fällt beim Spiegeln einfach flach. Sie werden zu normalen Aufnahmen.

Die Vision Pro einfach weiterzugeben, funktioniert aber auch nicht so leicht, wie man es gerne hätte. Der einfache Grund: Die Brille muss sich an jeden Menschen erstmal anpassen, um Augenbewegungen und Hand-Tracking perfekt hinzubekommen. Sie einfach nacheinander anzuziehen, funktioniert also nicht. Startet man den sogenannten Gast-Modus, beginnt der deshalb erstmal mit der Kalibrierung von Händen und Augen – selbst, wenn dieselbe Person die Vision Pro gerade erst abgenommen hat. Das macht auch die Nutzung in der Familie oder einer Firma unnötig kompliziert.

Keine für alle

Hinzu kommt: Apple behandelt die Vision Pro wie ein iPhone – und erlaubt nur einen angemeldeten Nutzer. Selbst wenn immer wieder dieselben Personen das Gerät teilen, kann nur eine von ihnen ihre Kalibrierungs-Daten auch dauerhaft speichern. Alle anderen müssen als Gäste immer wieder die Prozedur durchmachen. Auch eine Trennung der auf dem Gerät gespeicherten Daten ist nicht vorgesehen. Kontakte, Fotos oder andere persönliche Dateien werden also nur für den angemeldeten Nutzer gespeichert. Im Gastmodus kann man immerhin auswählen, ob alle Apps und Daten oder nur die gerade geöffneten geteilt werden. Letzteres ist zu empfehlen. Schließlich hat man keinen Weg zu prüfen, welche Apps der Tester nun aufmacht.

Ab Herbst entschärft sich das Problem immerhin teilweise: Mit dem kommenden Update des Betriebssystems auf VisionOS 2 wird die Kalibrierung auch für Gäste gespeichert. Das Problem mit den nicht getrennten Daten bleibt aber bestehen. Dabei wäre gerade für Familien oder Unternehmen eine geteilte Nutzung mit eigenen Profilen offensichtlich – so, wie es seit Jahrzehnten bei Desktop-Rehnern möglich ist.

Panorama-Fotos lassen sich in der Vision Pro als Rundum-Sicht ausbreiten
© Malte Mansholt

Arbeitsplatz für unterwegs

Die Vision Pro lässt sich nämlich auch zum Arbeiten benutzen. Weil sie Schrift knackscharf darstellt und Apps wie Teams oder Excel zur Verfügung stehen, kann man auch mit der Brille alleine schon wunderbar arbeiten. Vor allem, weil sich auch Maus und Tastatur damit verbinden lassen.

Noch mächtiger ist allerdings die Kombination mit einem Apple-Rechner. Schaue ich mit der Brille auf mein Arbeits-Macbook, taucht über dem Display ein „Verbinden“-Button auf. Einmal ausgewählt holt er meinen Desktop direkt in die Brille und stellt ihn als gigantischen Monitor vor mir dar, der ganz normal mit Maus und Tastatur des Rechners bedient werden kann.

Das ist nicht nur praktisch, wenn man sich im Großraum-Büro oder einem geschäftigen Cafe mal ausklinken will. Das Abgeschottet-Sein ist dann sogar ein Feature: Der Bildschirm des Notebooks wird in diesem Modus schwarz, alles passiert in der Vision – und ist damit vor neugierigen Blicken geschützt.

Nackentraining

Als Dauerlösung ist es vermutlich aber nur für wenige geeignet. Die Vision Pro über längere Zeiträume zu tragen, kann ganz schön anstrengend werden. Dabei spielen vor allem zwei Faktoren eine Rolle: Die Bildschirme sind sehr nah an den Augen. Und die 600 Gramm Eigengewicht sind nach langem Tragen doch ganz schön spürbar. Und das, obwohl der Akku schon ausgelagert wurde und wie eine Powerbank per Kabel angeschlossen ist.

Beim Tragen merke ich das zwar weniger, wenn ich die Brille nach längerer Zeit absetze, ist es aber doch eine spürbare Erleichterung. Dann merkt man erstmal, wie sehr sie doch auf das Gesicht drückt, die Augen anstrengt. Und auch das Genick: Nach einem besonders langen Tag spürte ich das Ziehen im Nacken sogar am nächsten Morgen noch. Und entschied, sie erstmal einen Tag lang etwas weniger zu tragen. So lange wie in einem kurzfristigen Test muss man die Vision Pro aber vermutlich eher selten tragen. 

Sie wie eine Brille auf Dauer zu tragen, ist ohnehin nicht vorgesehen. Apple setzt auf eine Nutzung in überschaubaren Räumen. Fenster und Menüs bewegen sich nicht mit den Tragenden, sondern werden im Raum fixiert. Wenn ich mit der Brille herumlaufe, muss ich sie immer wieder zu mir holen. In Promo-Materialien des Konzerns sind ebenfalls nur Menschen in ihrem Zuhause oder etwa im Büro zu sehen. Für den Einsatz im Gehen oder gar draußen ist die Vision Pro schlicht nicht gedacht.

Kurze Laufzeit

Dass man nicht ständig damit herumlaufen kann, verhindert aber ohnehin schon der Akku: Je nach Nutzung ist der Saft nach zwei bis vier Stunden aufgebraucht, dann muss man ab ans Kabel. Die gute Nachricht: Das externe Akku-Pack erlaubt es, die Vision Pro auch dann zu benutzen, wenn sie am Kabel hängt. 
Wer also am Schreibtisch arbeiten oder auf der Couch einen längeren Film schauen möchte, kann sie einfach am Kabel benutzen, ohne über den Akkustand nachdenken zu müssen. Bei längeren Flügen ohne Steckdose könnte die Akkulaufzeit aber ein Problem werden.

Über Geld muss man reden

Das größte Manko ist aber ein anderes: der Preis. 3999 Euro verlangt Apple für die Vision Pro. Das ist was die Technik angeht vielleicht sogar angemessen – die schicke Hardware, die tollen Displays, die unzähligen Sensoren und der M2-Chip, der sonst auch Notebooks befeuert, haben schließlich ihren Preis. Für die meisten Menschen dürfte es aber trotzdem schlicht zu viel sein.

Vor allem, weil die Vision Pro die vielleicht wichtigste Frage nicht so richtig beantworten kann: Wofür brauche ich das eigentlich? Auch wenn die 3D-Erfahrungen, das Serienschauen im Kinoformat, Spiele oder sogar das Arbeiten in der Brille richtig Spaß machen: Der Anschaffungspreis dürfte sich vermutlich nur für eine kleine Gruppe von Enthusiasten oder für die berufliche Nutzung rechtfertigen lassen.

Vermutlich weiß das aber auch Apple: Die Vision Pro sei nur der Anfang der Ära vom Räumlichen Computer, erklärte der Konzern schon bei der Vorstellung. So wie das iPhone die Smartphone-Ära einläutete. Allerdings kostete es damals auch nur einen Bruchteil. Sollte Apple seine Vision tatsächlich Realtität werden lassen, dürfte das erst mit einem günstigeren Modell richtig klappen. Gerüchten zufolge arbeitet der Konzern bereits daran.

Fazit: Die Zukunft, aber nicht zu diesem Preis

Die Vision Pro macht ihrem Namen alle Ehre: Sie fühlt sich an wie eine Vision, wie die Zukunft aussehen könnte. Und schafft doch nicht ganz, diese Vision auch zu erfüllen. Bei der technischen Umsetzung und der Bedienung setzt Apple ohne Zweifel Maßstäbe: Keine andere Mixed-Reality-Brille fühlt sich so gut an, lässt sich so intuitiv bedienen. Und führt uns vor Augen, wie selbstverständlich sich unsere Welt mit der Digitalen verbinden lässt.

Gleichzeitig hadert sie aber mit den Hürden von Heute. Das Gewicht macht ein langes Tragen unangenehm, die herausragende Technik macht die Vision Pro viel zu teuer, um sie als Alltags-Unterhaltungsmaschine zu benutzen. Dass dann noch eine gemeinsame Nutzung für mehrere Personen verhindert wird und es immer noch keine Pflichtanwendungen gibt, macht eine Kaufempfehlung noch schwerer.

Auf lange Sicht kann sich das aber ändern. Auch beim ersten iPhone fragte ich persönlich mich etwa, warum man immer das Internet dabeihaben sollte. Dann kamen die sozialen Medien. Wenn die Preise sinken und die Brillen sich weiter verbreiten, dürften sich solche Pflicht-Anwendungen ebenfalls entwickeln. Und wenn wir die dann jeder mit einer eigenen Brille gemeinsam erleben, bin ich auch nicht mehr so alleine in der virtuellen Welt.

 

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