In Frankreich bietet Premier Gabriel Attal nach der Wahl seinen Rücktritt an. Präsident Emmanuel Macron kann den annehmen – muss er aber nicht. Die Machtverhältnisse zwischen beiden sind relativ klar – und ganz anders als in Deutschland.
Am Tag nach dem überraschenden Ergebnis bei der Parlamentswahl muss Frankreich sich neu sortieren. Der Rechtsruck fällt schwächer aus als angenommen – in der neu gewählten Nationalversammlung hat das neue Linksbündnis nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis gewonnen. Es folgt das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron auf zweitem Platz sowie das nach der ersten Wahlrunde zunächst als Favorit gesehene Rassemblement National von Marine Le Pen auf Rang drei. Das teilte das Innenministerium in Paris mit, ohne für alle gewählten Abgeordneten eine Zuordnung zu einem der großen Lager vorzunehmen. Premierminister Gabriel Attal zog erste Konsequenzen und kündigte seinen Rücktritt an.Regierungsbildung Frankreich 22.54
Warum aber zieht der Premierminister Konsequenzen, nicht aber Präsident Macron?
Der französische Präsident hat gemäß der Verfassung einige Rechte, die er ohne Kontrolle durch andere Verfassungsorgane ausüben kann. Dazu gehören etwa die Ernennung von Premierministern, die Auflösung der Nationalversammlung und das Ausrufen des Notstandes. Zusätzlich hat Charles de Gaulle, der erste Präsident der V. Republik (ab 1958), die Rolle des Staatschefs geprägt und ging dabei weit über die Verfassung hinaus. In der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik und in jedem innenpolitischen Bereich, den er als wichtig erachtete, bestimmte de Gaulle – und nicht der Premierminister – die Politik. Daran orientieren sich Frankreichs Präsidenten bis heute. Dass das Staatsoberhaupt – anders als in Deutschland – direkt vom Volk gewählt wird, verleiht ihm zusätzliche Legitimation.
Die Rolle des Premiers in Frankreich
Dagegen leitet der Premierminister in Frankreich die Amtsgeschäfte der Regierung und schlägt dem Präsidenten die Ministerinnen und Minister vor, die der entsprechend ernennt. Der Premier ist dem Parlament gegenüber verantwortlich und auf das Vertrauen des Präsidenten angewiesen. Unter der Leitung des Premierministers bestimmt und lenkt die Regierung die „Politik der Nation“, fällt also hauptsächlich innenpolitische Entscheidungen.
Unklar ist, ob Staatschef Macron Attals Rücktritt annehmen und einen Linken zum Premier ernennen wird. In einer solchen Konstellation würde Macron an Macht einbüßen, der Premier, der die Regierungsgeschäfte leitet, würde wichtiger. Tatsächlich hat Macron Attals Rücktrittsgesuch „vorerst“ abgelehnt und ihn gebeten, im Amt zu bleiben, um „die Stabilität des Landes zu wahren“, hieß es am Montag im Elysée. Damit könnte Macron die Regierungsumbildung auf die Zeit nach dem Nato-Gipfel und den Olympischen Spielen verschieben. Denkbar ist auch, dass Macron anschließend einen unabhängigen Experten zum Premierminister ernennt, nach dem Vorbild von Mario Draghi in Italien. Die Lage in Frankreich bleibt also vorerst unklar – und spannend.
Hinweis: Dieser Artikel wurde nach der Ablehnung des Rücktritts aktualisiert.
Quellen:„bpb.de“ zu Frankreichs Präsident, „Elysee.fr“ zur Rolle des französischen Präsidenten, „Elysee.fr“ zum Premierminister von Frankreich, „Auswaertiges-amt.de“ zum politischen System Frankreichs.