Niedersachsens Ministerpräsident: „Das BSW ist schon ein Stich ins Fleisch der SPD“

Wird das noch was mit der Ampel? Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil spricht im stern-Interview über die Lage seiner SPD, das Ansehen der Bundesregierung – und seine berufliche Zukunft. 

Herr Weil, Sie sind gerade kurz in Berlin. Froh, bald wieder weg zu sein?

Ich bin gern in Berlin, aber ich freue mich immer darauf,  zurück nach Niedersachsen zu kommen. 

Die Hauptstadt hat den Ruf eine Art Raumschiff zu sein. Hatten Sie auch schon mal diesen Eindruck?

Ja. Es gibt in Berlin eine spezielle politische Kultur, die sehr auf den eigenen Betrieb bezogen ist. Da sitzen ein paar Tausend Politikerinnen und Politiker, ihre Mitarbeitenden und noch ein paar Tausend Journalistinnen und Journalisten auf sehr engem Raum zusammen. Es findet ein permanenter Wettbewerb statt, viele sind auf Dauersendung. Das ist eine andere Gemengelage als wir sie in den Landeshauptstädten haben. 

Die Stimmung in der Bundesregierung ist seit Monaten schlecht. Beschäftigen Sie sich überhaupt noch mit der Ampel?

Natürlich. Ich bin leidenschaftlicher Sozialdemokrat und in meinem Amt als Ministerpräsident ist die Bundespolitik eine entscheidende Größe.

„Die Ampel könnte es uns in den Ländern leichter machen“

Wie schwer macht es Ihnen die Ampel?

Sagen wir mal so: Die Ampel könnte es uns in den Ländern leichter machen. Es wäre hilfreich, wenn die Ampel kalkulierbarer wäre und wir früher wüssten, woran wir sind. Bei einer ganzen Reihe von Vorhaben hat es unnötige Schwebezustände gegeben, die es den Ländern und Kommunen schwer gemacht haben.

Was meinen Sie konkret?

Es ist kein Geheimnis, dass manche Entscheidungsprozesse in der Ampel sehr lange dauern. Das macht sich auch im Bundesrat bemerkbar, wo Bund und Länder zusammentreffen. Dort ist die Zahl der Bitten der Bundesregierung um Fristverkürzungen in die Höhe geschnellt. Wir Länder müssen oft sehr kurzfristig auf das reagieren, was in Berlin entschieden wird. 

Die Bundesregierung hat sich nach monatelangem Ringen nun auf einen Haushalt für 2025 verständigt. Wie schauen Sie nun auf die Zukunft der Ampel?

Immerhin hat die Ampel diese Hürde genommen. Nun hoffe ich, dass die Ampelkoalition es auf dieser Grundlage schafft, in einem guten Arbeitsmodus miteinander diese Legislaturperiode zu Ende zu bringen. Der Eindruck der Zerstrittenheit muss beendet werden, das gebietet die politische Vernunft und das wünschen sich die Menschen in unserem Land.

Die SPD ist mächtig angefressen von den Liberalen, die sich in Sachen Schulden keinen Millimeter bewegen wollten. Sie auch?

Ja, die Schuldenbremse muss reformiert werden. Wir haben derzeit an allen Ecken und Kanten einen massiven Investitionsbedarf des Staates. Damit werden auch Weichen für die Zukunft gestellt. Deswegen fordern inzwischen auch viele Ökonomen eine Reform. 

FEATURE Haushalt 16.00

Die SPD steckt in einem massiven Tief. Was ist aus Ihrer Sicht der Hauptgrund dafür?

Die SPD ist die größte Regierungspartei, die öffentliche Präsentation der Koalition wird sehr stark mit unserer Partei verbunden. Zwar wissen die Leute, dass die Ampel eine Dreierkonstellation ist. Aber an den größten Partner werden auch die größten Erwartungen geknüpft.

Und das erklärt die Abwanderung von Wählermilieus, die mal SPD-Kernklientel waren?

Die Abwanderung ist ein Ergebnis dieses Dilemmas. Nehmen Sie mal die Arbeiterschaft. Unter den Bedingungen der aktuellen Koalition ist kein ‚SPD pur‘ in Arbeitnehmerfragen möglich, obwohl sich das viele sicher wünschen würden. Ein Ziel der SPD muss daher sein, auch und gerade hier wieder deutlich schärfer Profil zu zeigen. 

Der Kanzler plädiert ja für einen Mindestlohn in Höhe von 15 Euro. Sie auch?

Ja. Wenn wir über Abstände zwischen Lohn und Transferleistungen sprechen, dann ist auch die Höhe des Mindestlohns mitentscheidend. Zumal die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt viele Branchen sowieso dazu bringen werden, die jeweils niedrigsten Löhne zu erhöhen. Die SPD sollte die Lohnpolitik durchaus zu den wichtigsten Themen des nächsten Bundestagswahlkampfs stellen.

Nach dem desaströsen Ergebnis bei der EU-Wahl will die SPD wieder mehr für die „arbeitende Mitte“ da sein. Was muss das aus Ihrer Sicht heißen?

Zum Beispiel braucht es beim Klimaschutz unbedingt einen „Sozial-Check“. Viele Menschen leben nun mal in einer sozialen Lage, die ihnen keine großen Sprünge erlaubt. Trotzdem ziehen wir diese Menschen in einem Maße für Klimaschutzmaßnahmen heran, die sie finanziell schlichtweg zu überfordern drohen. Stichwort: Heizungsgesetz. Vor allem auf dem ländlichen Raum hatten die Menschen zunächst das Gefühl, hier völlig auf sich allein gestellt zu sein.

Und wozu nun der „Sozial-Check“?

Damit wir einerseits wissen, wem wir was zumuten, und andererseits, wie man übermäßige Belastungen verhindern kann. Förderungen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten. Aber spürbare Unterstützungen für diejenigen, die sie wirklich brauchen, müssen wir sehr wohl leisten. 

„Eindeutiger Wink mit dem Zaunpfahl an die SPD“

Ist es nur die Klimapolitik, oder muss die SPD auch das Bürgergeld oder die Innere Sicherheit neu denken?

Wir sind die Partei der Arbeit, das muss deutlich werden. Deswegen ist ein höherer Mindestlohn wichtig. Und wenn wir über das Bürgergeld reden: Die Leute müssen sicher sein können, dass sich Arbeit lohnt. Genauso wichtig ist die innere Sicherheit. Ein großer Teil der Gesellschaft ist verunsichert. Aktuell wird vielleicht besonders sensibel auf Regelverstöße und Straftaten reagiert. Die SPD ist gut beraten, sich an einer Gruppe zu orientieren, die Bill Clinton einmal so beschrieben hat: „People who work hard and play by the rules“, also Menschen die hart arbeiten und sich an die Regeln halten. Das sind unsere Wählerinnen und Wähler.

Aber das macht ja schon Sahra Wagenknecht, oder?

Sahra Wagenknecht irrlichtert herum. Mir ist es jedenfalls noch nicht gelungen, den programmatischen Kern von ihr zu identifizieren. Und sie grenzt sich nicht wirklich ab gegen fremdenfeindliche Strömungen. 

Trotzdem ist das BSW aus dem Stand ins EU-Parlament eingezogen, erzielt in bundesweiten Umfragen solide Ergebnisse…

Das will ich auch nicht bestreiten. Aber wie nachhaltig das BSW ist, muss sich noch zeigen. Frau Wagenknecht ist gerade die Projektionsfläche für viele Menschen, die sich von der Politik nicht vertreten fühlen. Das ist durchaus ein eindeutiger Wink mit dem Zaunpfahl an die SPD.

Abgeordnete verlassen Bundestag 15.44

Also ist die Wagenknecht-Partei mindestens so gefährlich für die SPD wie für die AfD?  

Ich habe große Zweifel,  ob es auf Dauer ausreicht, mit einem Vornamen und einem Nachnamen zu werben. Für den dauerhaften Erfolg einer Partei ist doch sehr viel mehr notwendig. Aber ja: Das BSW ist schon ein Stich ins Fleisch der SPD. Darauf müssen wir reagieren.

Halten Sie eine Koalition der SPD mit dem BSW für denkbar?

In Niedersachsen wüsste ich gar nicht, mit wem ich darüber reden sollte. Es gibt wohl einen kleinen Landesverband, der aber bisher null Komma null in Erscheinung getreten ist. Das ist aber auch nicht notwendig.

Und auf Bundesebene?

Auf Bundesebene sehe ich riesige Diskrepanzen, etwa in der Außenpolitik. Die SPD unterstützt die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg – während das BSW so tut, als sei das alles nicht unser Problem. Das geht komplett an der Realität vorbei und ist zynisch.

Die EU-Kommission hat zusätzliche Einfuhrzölle auf chinesische E-Autos eingeführt. Die deutsche Autoindustrie fürchtet eine harte Gegenreaktion aus Peking. Fürchten Sie einen Handelskrieg?

Das Risiko ist groß, dass wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Auch deswegen überzeugen mich Einfuhrzölle nicht. Und die europäische Autobranche, die mit der Maßnahme eigentlich geschützt werden soll, sagt: Bitte, bitte nicht. Da gibt es große Bedenken.

Welche Bedenken?

Schon jetzt bauen chinesische Automobilhersteller in Osteuropa nennenswerte Produktionskapazitäten auf. Diesen Trend würden wir befeuern, wenn wir Einfuhrzölle auf Fahrzeuge aus China erheben. Damit steigt also die Konkurrenz auf die europäische und deutsche Autoproduktion. Und nicht zuletzt: Das deutsche Wirtschaftsmodell beruht auf Export. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass europäische Einfuhrzölle zu chinesischen Gegenmaßnahmen führen werden.

„Deswegen ist 2027 Schluss“

Zum Schluss nochmal konkret zur Ampel: Ist Olaf Scholz eigentlich noch der richtige Kanzler?

Klipp und klar: Ja.

Und warum?

Olaf Scholz kennt sich in vielen Bereichen extrem gut aus, er ist klug und besonnen und hat schon in vielen Situationen eine ausgesprochene Nervenstärke bewiesen. Ich wünsche mir, dass Olaf Scholz diese Stärken in der nächsten Legislatur in einem politischen Umfeld zur Geltung bringen kann, das leichter ist als das der letzten eineinhalb Jahre.

Der Kanzler braucht mehr Beinfreiheit?

Der Begriff ist in meiner Partei historisch etwas belastet, aber es ist doch völlig klar, dass der Bundeskanzler die Möglichkeit haben muss, für seine Regierung überzeugend aufzutreten – und nicht ständig mit koalitionsinternen Streitigkeiten befasst sein darf.

Sie haben Scholz die „unangefochtene Nummer eins“ bezeichnet, damit praktisch als alternativlos. Wäre Boris Pistorius nicht kanzlerfähig?

Boris Pistorius ist ein herausragender Verteidigungsminister. Die Planstelle „Bundeskanzler“ ist besetzt und bleibt es auch: mit Olaf Scholz.

Sie sind jetzt 65 Jahre alt. Wie lange wollen Sie Ministerpräsident bleiben?

Das ist meine letzte Legislaturperiode, in Niedersachsen wird 2027 wieder gewählt.

Werden Sie Ihr Amt schon vorher an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin abgeben, so wie es Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz getan hat?

Wenn ich gesund bleibe und alles passt, nein. Mir macht das Amt unverändert sehr viel Freude. Aber natürlich weiß ich auch, dass ich nicht jünger werde. Deswegen ist 2027 Schluss.

Wer könnte auf Sie folgen?

Warten Sie es ab, wir werden eine gute Entscheidung treffen. Die niedersächsische SPD hat erfreulicherweise viele gute Leute.

Wie Boris Pistorius, zum Beispiel.

Boris Pistorius wäre auch ein guter Ministerpräsident von Niedersachsen. Ich glaube aber, dass wir ihn an die Bundespolitik verloren haben. Da sieht man mal die große Solidarität Niedersachsens mit dem Bund: Wir waren bereit, einen unserer Besten abzugeben.

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