Es ist die größte Trinkwassertalsperre Deutschlands. Jetzt wird die Staumauer auf 460 Metern Breite und 75 Metern Höhe zur Leinwand. Das Kunstwerk im Harz hat auch eine ökologische Botschaft.
Der Plan, den Künstler Klaus Dauven in den Händen hält, sieht aus wie eine Vorlage für „Malen nach Zahlen“. 1.400 kleine Punkte deuten auf dem kleinen Zettel die Umrisse von Flügeln an. Dauven, 58 Jahre alt, steht mit Schiebermütze und Sakko auf einer mehrere hundert Meter langen Hängebrücke vor der Staumauer, die im Wind und Regen hin und her wackelt. Auf der Mauer schält sich langsam seine Idee hervor: Elf riesige Schmetterlinge, mit Hochdruckreinigern von Industriekletterern aus Schmutz gespritzt. Es ist sein bisher größtes Werk in Deutschland.
Die Rappbodetalsperre ist die größte Trinkwassertalsperre in Deutschland. Die Staumauer ist 460 Meter lang und 75 Meter hoch – und derzeit die Leinwand für die Ideen von Klaus Dauven. Der Künstler aus Nordrhein-Westfalen ist für seine riesigen „Reverse Graffiti“ bekannt, die schon Staumauern in Frankreich und Japan zieren. Reverse, weil er nichts aufbringt, sondern den Schmutz einer Fläche entfernt und dadurch seine Motive freilegt. Die Rappbodetalsperre ist die siebte Staumauer, die Dauven als Leinwand nutzt.
Motiv mit ökologischer Botschaft
„Die Idee entsteht auf einem DIN A3 großen Blatt. Zu sehen, wie das dann groß aussieht, ist jedes Mal ein Erlebnis“, sagt Dauven. Hunderte kleine Punkte wurden per Laser von der Zeichnung auf die Staumauer projiziert, leuchtend gelb und rosa. Sie geben für die Industriekletterer die Richtung und die Linien an, die sie mit Hochdruck auf der Staumauer zeichnen.
Allmählich ist auch das Motiv zu erkennen: Schmetterlinge. „Als ich das erste Mal hier an der Staumauer stand war mir klar, dass das Motiv etwas mit dem Fliegen zu tun haben muss“, sagt Dauven. Die Talsperre ist eine Touristenattraktion. Von der Hängebrücke davor springen Bungee-Jumper herunter, im Minutentakt sirren Touristen an einer Zipline hängend über mehr als 450 Meter Länge in die Tiefe – immer der Wasseroberfläche zu. Dauven entschied sich schließlich für die Schmetterlingsart „Kleiner Eisvogel“: „Die Art ist hier im Harz endemisch. Ich wollte der Mauer etwas Leichtigkeit geben.“ Gleichzeitig sei es eine ökologische Botschaft. Das Waldsterben habe auch Auswirkungen auf die Schmetterlinge. Der „Kleine Eisvogel“ steht auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten in Sachsen-Anhalt. Ein paar Kilometer von der Rappbodetalsperre entfernt im Nationalpark Harz ist zu sehen, was Dauven meint: Klimawandel und Borkenkäfer haben riesige Kahlflächen rund um den Brocken, den höchsten Berg der Region, entstehen lassen.
Vier Wochen Arbeit für fünf bis sieben Jahre Haltbarkeit
Seit gut einem Jahr arbeitet der Künstler mit dem Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt zusammen und bereitet das Projekt vor. Geschäftsführer Burkhard Henning erhofft sich durch das Kunstwerk natürlich noch einen weiteren Anziehungspunkt für den Harz. „Es ist einzigartig. So nah wie hier, mit der Hängebrücke davor, kommt man den Graffiti sonst nie.“
Dauven malt nicht selbst. Vier Industriekletterer hängen bis zu acht Stunden am Tag an Seilen an der Staumauer. Auch für sie sind die vier Wochen Arbeitszeit eine Herausforderung, erklärt Projektleiter Nick Heyden vom Unternehmen Kärcher, welches das Projekt sponsert. „Was einmal weg ist, kommt nicht mehr zurück.“ Es müsse sich genau an die Vorlage gehalten werden. Die Tiere werden schließlich nicht nur einfach als Linien eingezeichnet, der komplette Dreck auf der Staumauer wird entfernt. „Da muss man die Ruhe bewahren.“
Insgesamt vier Wochen dauert es, die Schmetterlinge auf die Staumauer zu malen. Fünf bis sieben Jahre rechnet Dauven, dann seien sie wohl wieder durch die Witterung verschwunden – vergänglich, wie die Natur selbst.