Schwächelnde Wirtschaft: Drei unbequeme Wahrheiten über den Weg aus der Krise

Deutschlands Wirtschaft steckt tief in der Krise, das hat diese Woche wieder gezeigt. Die wichtigste Erkenntnis dabei: Über Politiker lässt sich gut meckern, aber der Weg zur Besserung beginnt bei uns selbst

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Manchmal verdichtet sich die ganze aufgewühlte Lage eines Landes an einem einzigen Tag. So wie am Mittwoch dieser Woche. 

Der Morgen begann mit der Meldung aus den weiten Wäldern und Fluren hinter der Stadtgrenze Berlins. Eine Mehrheit von 3499 Bürgern des Örtchens Grünheide habe sich gegen den Ausbau der neuen Tesla-Fabrik auf dem (noch) kiefernbewaldeten Gemeindeboden entschieden – lediglich 1882 Bürger votierten dafür. Wenige Stunden später stellte der Bundeswirtschaftsminister seinen Jahreswirtschaftsbericht vor, der in Wahrheit eine Bankrotterklärung war. Und am späten Abend schließlich platzte eine Einigung zwischen den Regierungsparteien und CDU/CSU über das seit Wochen überfällige, aber inzwischen erheblich geschrumpfte „Mini-Wachstumschancengesetz“.  

Es war alles drin in diesem Tag: verhängnisvolle Fehlentscheidungen, der große Zusammenprall von Anspruch und Wirklichkeit, plus Intrigen und Ränkespiele – großes Drama. Nur leider keine Fiktion, sondern die Wirklichkeit.  

Zum Stil der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition, aber auch innerhalb der Regierung, hat mein Kollege Nico Fried – der sonst eigentlich nicht zu besonderer Grimmigkeit neigt –in dieser Woche alles gesagt, was dazu zu sagen ist: „Diesen Streit um des Streites willen, die Provokation der Schlagzeile wegen, das Sticheln und Nachkarten – das finde ich an dieser Koalition so zermürbend wie an keiner anderen zuvor.“ Lesen Sie seine aktuelle Kolumne im „stern“ – sie macht keine gute Laune, aber danach geht es einem besser.  

In Stil und Inhalt unwürdig

Inhaltlich war dieser Tag ein Fiasko. Das so genannte Wachstumschancengesetz, das fortan besser „Vertane-Chancengesetz“ heißen sollte, war schon viel zu mickrig, bevor sich die 16 Ministerpräsidenten der Länder im Bundesrat darüber beugten und jede einzelne Maßnahme aus dem Paket herauszupften und kleinklopften. Jetzt aber ist es ein Witz – wenn auch einer mit einer vielsagenden Pointe: Die Union, die pausenlos die trübe Stimmung beschreit, bleibt bei ihrem Nein, solange die Koalition weiter die Subvention des Agrardiesels für die Landwirte kürzen will. So viel zu ihrer Forderung, die Koalition solle endlich sparen, neue Prioritäten setzen und vorhandene Mittel besser einsetzen.

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Wenn wir so weiterwurschteln, werden uns in sechs Monaten auch die 0,2 Prozent Wachstum, die die Bundesregierung jetzt noch für dieses Jahr erwartet, vorkommen wie heute die 1,3 Prozent, die sie im Oktober prognostizierte: geradezu paradiesisch. Läuft es einigermaßen gut, dann steht Deutschland vor einer langen Phase der Stagnation, in der große Teile der Bevölkerung mit ihren Jobs zwar irgendwie durchkommen, im Vergleich zu Menschen in anderen Industrienationen aber deutlich an Wohlstand verlieren werden. Wer das schon wenig erbaulich findet, dem sei gesagt: Es kann auch noch schlechter kommen.  

Drei unbequeme Wahrheiten

Auf die an dieser Stelle zwingende Frage, was gegen diese Malaise zu tun wäre, gibt es drei Antworten – die für alle Beteiligten unbequem sind.  

Die erste führt noch mal nach Grünheide, in jenes Örtchen östlich von Berlin, an dessen Westflanke, eingepfercht zwischen Bahntrassen und Autobahn, wiederum Elon Musk vor drei Jahren die ersten Teile seiner Tesla-Autofabrik aus dem sandigen Boden stampfte. Sicher muss man es als örtlicher Anwohner nicht mögen, dass aus diesem beschaulichen Waldfrieden plötzlich ein neues Wolfsburg werden soll. Aber wenn nun 3499 Anwohner beschließen können, was aus einem Projekt wird, das über eine der wichtigsten Industriebranchen Deutschlands und über hunderttausende Jobs bei Zulieferfirmen im ganzen Land entscheidet, dann brauchen wir in den kommenden Wochen weder Geld noch Mühe in das Mini-Wachstumschancengesetz oder irgendein anderes Wachstumspaket für die Wirtschaft zu stecken. 

Immerhin, das Votum von Grünheide ist nicht bindend. Aber nicht nur die oft gescholtenen Politiker müssen sich entscheiden, was sie mit diesem Land noch anstellen wollen. Vielmehr müssen wir alle die Frage beantworten, wie viel Neues und wie viel technischen Fortschritt wir in diesem Land noch zulassen wollen.  

Die zweite Antwort führt zur Ampel-Koalition, die momentan ihre Balance in einem Gleichgewicht des Schreckens sucht. Nach zwei oder drei Wochen sind sich vordergründig alle Beteiligten einig, dass das Land und die Unternehmen einen dringenden Schub brauchen: Entlastungen bei Steuern und Bürokratie, außerdem endlich Planungssicherheit und mehr Investitionen. Doch statt nun eine Einigung zu suchen, beharken sich die Beteiligten mit Nichtigkeiten wie Koalitionsoptionen in zwei Jahren und Sticheleien, wer wann was zuerst gedacht, gesagt oder nicht zuvor mit irgendwem abgestimmt hat. 

Weit mehr ist peinlich als nur die wirtschaftliche Lage  

Ja, die wirtschaftliche Lage mag dem FDP-Finanzminister „peinlich“ sein, wie er es selbst die Tage ausdrückte. Aber da die Misere zu einem ganz erheblichen Teil und innerhalb nur eines Jahres tatsächlich durch Missmanagement dieser Koalition verursacht wurde, ist es vielmehr diese Regierung, die peinlich ist – und dazu gehört auch eben dieser Finanzminister.  

Angesichts der brenzligen wirtschaftlichen Lage und der Bedrohung durch Russland müsste Deutschland ab diesem Jahr (und dann dauerhaft jedes Jahr) 30, besser sogar 50 Mrd. Euro mobilisieren, um damit einerseits die Unternehmen zu entlasten und Investitionen anzuschieben, andererseits die Bundeswehr weiter zu ertüchtigen. Das entspricht acht bis zwölf Prozent des heutigen Bundeshaushalts. Man kann den Bundeswirtschaftsminister für vieles kritisieren, doch er ist der Einzige, der dafür bislang einen konkreten Finanzierungsvorschlag skizziert hat. Alle anderen, zuvorderst der Kanzler und der Finanzminister, verstecken sich in einer Zwischenwelt des Konjunktiv irrealis: Man müsste, man könnte, man hätte.

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Zwei Jahre nach Beginn des Krieges in der Ukraine, zwei Jahre nach der berühmten Zeitenwende von Olaf Scholz, ist das viel zu wenig. Wenn Scholz und Christian Lindner Ideen haben, wie sie ein solches Paket ohne neue Schulden auf den Weg bringen können, her damit! Ansonsten sind sie ihren Aufgaben einfach nicht gewachsen.  

Und dann ist da, drittens, eine Opposition, der kleine taktische Vorteile momentan wichtiger sind als ein Fortschritt in der von ihr ansonsten ach so beklagten Sache. Man kann eine Opposition führen, wie Friedrich Merz es gerade tut, man kann damit auch eine Regierung zermürben, was sein gutes Recht ist als Oppositionsführer. Aber zum besseren Regierungschef qualifiziert ihn das nicht. Bis zum Beginn des eigentlichen Bundestagswahlkampfs sind es immer noch gut zwölf Monate – zwölf Monate, die viel zu lang sind, um einfach so weiterzumachen.   

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