Geplatzter Investorendeal: „Unsere Kurve“-Sprecher: „Von der DFL kam gar nichts. Null Kontakt“

Der  Einstieg eines Investors bei der Deutschen Fußball-Liga ist vom Tisch – ganz zur Freude vieler Fans, die massiv dagegen protestiert haben. Thomas Kessen erklärt, warum es ein Sieg für Fans ist und warum er die Bundesliga dennoch nicht benachteiligt sieht.

Herr Kessen, müssen Sie die Tennisbälle für den Stadionbesuch am Wochenende wieder rausholen aus Ihrer Jackentasche? 
Muss ich nicht. Ich hätte auch keine Schokotaler oder ferngesteuerten Autos mitgenommen. Das sollte man nicht machen als Sprecher eines Fanverbandes. Da ist Zurückhaltung geboten.

Auch wenn Sie selbst ein braver Stadiongänger gewesen sind in den vergangenen Wochen: Der Sieg ist Ihrer. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat Abstand genommen vom geplanten Deal mit dem Private Equity-Unternehmen CVC – und das mit Verweis auf die Fanproteste. Wie groß ist Ihre Überraschung?

Dass der Deal so schnell zu Grabe getragen wird, damit habe ich nicht gerechnet. Die Freude ist groß, denn viele Fans in Deutschland haben eine Menge Arbeit und Herzblut investiert, um den Deal zu verhindern. 

DFL Investoreneinstieg18.41

Spüren Sie so etwas wie Genugtuung?
Keine Schadenfreude oder Häme, wenn Sie das meinen. Es ist ein Sieg für alle Freundinnen und Freunde des Fußballs

Hat sich jemand von der Gegenseite bei Ihnen gemeldet? Gab es einen Anruf von der DFL?
Da kam gar nichts. Null Kontakt. Das war während des ganzen Prozesses in den vergangenen Wochen schon so. 

War die Schärfe der Proteste nicht Ausdruck eines generellen Unwohlseins der Fans mit dem deutschen Fußball? Zeichen eines weit fortgeschrittenen Entfremdungsprozesses? 
Die Kommerzialisierung des Fußballs hat ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen. Die Proteste in den vergangenen Wochen haben aber eine eindeutige Botschaft transportiert: Wir wollen keine Investoren. Wir wollen demokratische Teilhabe, und die 50+1-Regel (nach der die Mehrheit der Stimmrechte beim Verein liegen muss, Anm. d. Red.) ist der Wesenskern des deutsche Profifußballs. Das war alles klar adressiert. Die Proteste waren daher kein unspezifisches Dampfablassen.

Der Sieg der Fankurven kann auch so gedeutet werden: Die DFL kapituliert vor den Störern. Sind die Tennisball-Werfer letztlich erfolgreiche Erpresser?
Den Vorwurf der Erpressung weisen wir zurück. Es ging hier um demokratische Teilhabe in einem Multimillionengeschäft. Diese Teilhabe wurde uns verwehrt mit einer Reihe von Tricks seitens der DFL, und dagegen haben wir uns gewehrt. 

Thomas Kessen, 35, ist Sprecher von „Unsere Kurve“, einem Verein, in dem sich Fanorganisationen zusammengeschlossen haben. „Unsere Kurve“ repräsentiert mehr als 300.000 Fußballfans in Deutschland.
© Thomas Bartilla

Eine Schattenseite hat das Scheitern des Investorendeals womöglich für Sie: Die Zentralvermarktung der Liga wäre beim Deal mit CVC für 20 Jahren fixiert worden. Die Zentralvermarktung im Fußball funktioniert ähnlich wie der Länderfinanzausgleich in der Finanzpolitik: Die Kleinen partizipieren an den Einnahmen der Großen. Nun droht eine Zerreißprobe. Die Wohlhabenden wie Bayern oder Dortmund könnten den Solidarpakt aufkündigen. Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario?
Auch Bayern und Dortmund brauchen noch Gegner und wollen die Liga bis zu einem gewissen Grad spannend halten. Sonst leidet auch ihr Geschäft. Da wird also nichts kommen. Im Übrigen ist es aber auch nicht so, dass die Kleinen uneingeschränkt von den Einnahmen der Großen partizipieren – die TV-Gelderverteilung innerhalb der DFL ist hochgradig unfair, und auch bei einem Investorendeal hätten die Großen weitaus mehr profitiert als alle Vereine außerhalb der Top 5 oder Top 6 der Liga.

Der Streit um den Investoren-Einstieg wurde überwölbt von einer grundsätzlichen Frage: Wem gehört der Fußball? Wie lautet Ihre Antwort?
Der deutsche Fußball ist einzigartig. Er gehört allen Menschen, die Freude daran haben. Mit Sicherheit gehört er aber nicht denjenigen, die bloß eine Rendite für sich daraus ziehen wollen. 

Worin liegt die Einzigartigkeit des deutschen Fußballs begründet Ihrer Meinung nach?
In der ersten und zweiten Liga gibt es überwiegend Vereine, die von ihren Mitgliedern geführt werden. Sie sind es, die bei aller Kommerzialisierung mithilfe der 50+1-Regel immer noch die Entscheidungsgewalt inne haben. Das ist Basisdemokratie im besten Sinne. Die Mitglieder bestimmen, wer die Geschäftsführung kontrolliert, und sie werden auch zu Grundsatzfragen angehört. Das ist ein schützenswertes Gut. 

Das zentrale Argument der Befürworter eines Inverstoren-Einstiegs lautete: Ohne Fremdkapital verliert die Bundesliga weiterhin an Bedeutung im internationalen Vergleich. Der Abstand zur spanischen La Liga und der englischen Premier League, der finanzstärksten Fußball-Liga der Welt, wird nur noch größer. Streiten Sie das ab?
Ich sehe nicht, dass der deutsche Fußball an Attraktivität verliert. Im Gegenteil. Kürzlich waren an einem Spieltag mehr Zuschauer in den Stadien der zweiten Liga als in denen der ersten. Das zeigt, dass die deutsche Fußballkultur gar nicht so sehr auf internationaler Wettbewerbsfähigkeit basiert, sondern dass die Identifikation mit dem jeweiligen Verein entscheidend ist.

Trotzdem: Bis auf den FC Bayern kann schon jetzt kein Verein seine besten Spieler halten. Selbst Dortmund und Leipzig müssen ihre größten Talente ziehen lassen. Das kann Ihnen als Fußballfan auch nicht gefallen.
Warum gehen die Menschen in Deutschland ins Stadion? Doch nicht, weil sie einen Superstar sehen wollen. Da geht es um die Wechselbeziehung zwischen Mannschaft und Fans, ums Stadionerlebnis, um die Atmosphäre. Die soziale Kraft des Fußballs ist im Stadion zu spüren.

Presseschau DFL Investor6:33

Ist das nicht eine reichlich romantische Vorstellung? Im Fußball geht es um Erfolg. Das ganze System ist so programmiert, von der F-Jugend bis zu den Profis. Wie wollen Sie sich freimachen von dieser Logik?
Gegenfrage: Wer profitiert denn in der Bundesliga von internationalen Erfolgen? Doch nur Vereine, die eh schon oben sind. Die Verteilung der TV-Gelder aus den europäischen Wettbewerben ist maximal ungerecht. Die herrschenden Verhältnisse werden dadurch bloß zementiert.

Wie eine Liga in der Bedeutungslosigkeit verschwinden kann, ist in den Niederlanden zu besichtigen. Die Eredivisie war mal eine Liga, auf die man geschaut hat in Europa. Heute ist sie bloß noch ein Ausbildungsbetrieb für die Topligen. Sportlich reizlos. Viele Fans schauen nach England, Spanien oder Italien und haben dort neue Herzensvereine für sich entdeckt.
Das ist in Deutschland aktuell kein Thema. Ich werte es als Randphänomen, wenn jemand nebenbei noch Fan von Manchester City ist. Die hiesigen Fußballvereine sind lokal oder regional tief verwurzelt. Das wird auch erst mal so bleiben. Man muss nicht am deutschen Fußball rumschrauben und eine zweite Premier League bauen wollen. 

Der Investorendeal ist gescheitert. Aber das Verlangen der DFL nach Geld bestimmt nicht gestillt. Wie wird es weitergehen? 
Wir sind sehr entspannt. Als nächstes steht die Vergabe der TV-Rechte an. Mal gucken, wie die DFL diese zu Geld macht. Bis auf die Premier League hatten viele europäische Ligen zuletzt mit rückläufigen Einnahmen zu kämpfen. Auch deshalb kann es für den deutschen Fußball ein großes Glück bedeuten, dass keine Investoren im Boot sind. Ein Investor will Rendite. Geringere TV-Einnahmen hätten Druck erzeugt – womöglich hätten die Vereine die Rendite des Investors aus eigenen Mittel bestreiten müssen. Dieses Szenario ist jetzt vom Tisch.

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