Fashion Week: Granny Models: Warum ältere Frauen jetzt die Laufstege erobern

Alt, aber sexy: Bei den Designerschauen in London und New York liefen eine Vielzahl älterer Frauen. Wird die Modewelt etwa endlich divers? Nicht ganz, aber der Granny Style ist dennoch angesagt

Dame Maggie Smith sitzt auf dem Sofa, als warte sie am Bahnsteig 9 3/4 auf den Zug nach Hogwarts. Aufrechte Haltung, skeptischer Blick, die Handtasche auf dem Schoß. Den weißen Tellerrock hat sie fein säuberlich neben sich ausgebreitet, fast so, als wolle sie vorgeben, ein Muggel zu sein. Doch die Schauspielerin, die in den berühmten Harry Potter-Filmen mitspielte und Professor McGonagall mimte, ist diesmal nicht an einem Drehort, sondern am Set von Starfotograf Jürgen Teller. Denn Smith, mittlerweile 89, ist in diesem Frühjahr das Werbegesicht der spanischen Modemarke Loewe. 

Jung, frisch, makellos – dieser Dreiklang der Schönheitswelt scheint zurzeit ausgehebelt. In Kampagnen und Magazinen tauchen immer öfter Frauen älteren Semesters auf. So auch im vergangenen Herbst, als Charlotte Rampling mit 78 für die Modekette Massimo Dutti modelte, Catherine Deneuve kurz vor ihrem 80. Geburtstag noch das Cover der französischen „Haper’s Bazaar“ zierte, und die philippinische „Vogue“ im März die damals 106-jährige Tätowiererin Apo Whang-Od auf den Titel hob. 

Granny Models: mehr als ein One-Season-Hype?

Von Hogwarts zur High Fashion: Dame Maggie Smith ist das Kampagnengesicht der Luxusmarke Loewe
© Jürgen Teller / Loewe

Endlich divers? Auf dieses Mode-Märchen fällt wohl niemand mehr herein. Zu oft poppten vereinzelt ältere Models auf den Laufstegen auf und dienten am Ende nur einem Zweck: dem diverseren Image von Luxusmarken. Und doch könnten „Granny Models“, also Frauen im Großmutter-Alter, in dieser Saison mehr als nur ein One-Season-Hype zu sein. Denn bei den Modenschauen, die jüngst in New York und London stattfanden, sah man so viele Frauen mit grauen oder weißen Haaren wie selten. Sie waren weder blutjung noch faltenfrei, und doch zogen sie mit ihrer Eleganz und Lässigkeit alle Blicke auf sich. 

Echte Frauen – danach suchte auch die New Yorker Designerin Batsheva Hay nur wenige Wochen vor ihrer Show Anfang Februar. Bei Wind und Wetter lief sie durch die Straßen, tummelte sich vor Supermärkten, Cafés und Sportstudios. Dort wartete sie, bis sie auf Frauen stieß, die sie im Gespräch darum bat, bei ihrer Modenschau mitzulaufen. Viele waren vom Straßencasting so überrascht, dass sie zusagten. Einzige Bedingung: Sie mussten über 40 sein. 

„Ich merke, dass das Altern eine große Sorge für mich und meine Freunde darstellt“, sagte Hay kürzlich in einem Beitrag der „New York Times“. Nach ihrem 40. Geburtstag vor zwei Jahren habe sich ihr Blick auf die Mode – privat wie beruflich – verändert. Alles habe plötzlich „so jung“ ausgesehen, erinnerte sie sich. Das wollte sie ändern. Bei ihrer Show liefen deshalb Frauen wie die 67-jährige Brigitt Doss über den Laufsteg, ebenso die 65-jährige Gwen DeVoe mit ihren grauen Afrolocken. Hays Casting war tatsächlich so gut, dass manche Zuschauer nur die Frauen bewunderten – nicht aber ihre Klamotten.

Auch in London sah man zuletzt vermehrt ältere Models bei den Shows. Bei Erdem etwa tauchte eines in einem weißen Wuschelmantel auf, bei Roksanda verzichtete man sogar auf zusätzliches Makeup, um Falten und harte Konturen erst gar nicht zu kaschieren. Jonathan Anderson, Kreativchef von Loewe, castete für seine eigene Line JW Anderson zwar keine älteren Frauen, doch setzte er seinen jungen Models graue Lockenperücken auf und griff damit den „Granny Style“ zumindest spielerisch auf. Das umfangreichste Casting dürfte aber wohl das Designer-Duo Marques Almeida gehabt haben: Sie schickten viele Frauen unterschiedlichen Alters, Körperformen und Hautfarben über den Laufsteg.

Altersblind: Die Modewelt ignoriert eine zahlungskräftige Zielgruppe

Auf alt getrimmt: Designer Jonathan Anderson setzte seinen Models graue Lockenperücken für seine Show auf
© Nicky J. Sims

Für Anna Murphy, Moderedakteurin von „The Times“, ist die jüngste Entwicklung nur ein logischer Schritt. „Es ist eine bizarre Situation, denn viele Frauen und auch Männer, die sich Luxus leisten könnten, sind älter, doch die Branche ist von der Jugend besessen“, sagt sie. Es ist, als entwerfe sie gezielt an der Kundschaft vorbei. 

Umso besser sei es daher, dass sich nun immer mehr Designer für die Sichtbarkeit von älteren Frauen einsetzen. Ob sich das Phänomen der „Granny Models“ auch bei den kommenden Shows in Mailand und Paris fortführen wird? Wahrscheinlich nicht, zu sehr werden beide Modestädte noch immer von den Mechanismen und dem Kommerz der Schönheitswelt angetrieben. Wie oldschool. 

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