Präsident Deutscher Lehrerverband: AfD-Parolen im Klassenzimmer: Wählen Kinder wie ihre Eltern, Herr Düll?

Lehrkräfte sollen Kinder zu demokratischen Bürgern erziehen. Aber wie damit umgehen, wenn AfD-Parolen im Unterricht fallen? Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, meint: Wenn Schüler abdriften, sind die Eltern gefragt.

Wie politisch sind die Jugendlichen heute, Herr Düll?
Die sind im Moment sehr diskussionsfreudig. Der Krieg im Nahen Osten, der Überfall Russlands auf die Ukraine, die mögliche Kandidatur Donald Trumps, die Proteste für die freiheitliche Demokratie – das sind alles Themen, die junge Menschen bewegen und über die sie sich austauschen möchten. Dafür gibt es Fächer wie Geschichte, Politik, Ethik oder Deutsch.

Ihr Vorgänger sagte einst, dass Schülerinnen und Schülern politisch informierter sind als man denkt. Sehen Sie das auch so?
Viele junge Leute bilden sich über das Internet eine Meinung. Es gibt so viele Informationen im Netz, aber es kommt natürlich immer darauf an, wie man sie nutzt: ob man sich über Instagram oder Tiktok zu politischen Themen bildet oder eben Quatsch konsumiert. Aber je älter Kinder werden, desto eher nutzen sie die Plattformen, um sich gezielt zu informieren. 

Stefan Düll ist seit 2023 Präsident des Deutschen Lehrerverbands
© Andreas Gebert / bpv

Was halten Sie davon? Über die sozialen Medien verbreiten sich auch schnell radikale Meinungen.
Das Risiko gibt es. Lehrkräfte merken nicht unbedingt, wenn jemand komplett abdriftet. Dagegen lässt sich nur schwer vorgehen. Das hängt aus meiner Sicht stark mit den Eltern zusammen – viele Jugendliche sind politisch zumindest ähnlich eingestellt wie ihre Eltern.

Kinder wählen wie Mama oder Papa – ist es tatsächlich so einfach?
In Teilen Deutschlands liegt die AfD bei 25 bis 30 Prozent – dort müssen wir davon ausgehen, dass auch 25 bis 30 Prozent der Jugendlichen zur AfD tendieren. Wenn die Eltern AfD wählen, prägt das die Kinder. Auf der anderen Seite wird gegen Rechtsextremismus und die AfD protestiert. Das für sich in Einklang zu bringen, ist nicht einfach für Jugendliche. IV Sind die Weimar-Vergleiche auf den Anti-AfD-Demos gerechtfertigt? 20.36

Dem stern berichten Eltern und Lehrkräfte, dass populistische Aussagen bei Kindern zugenommen hätten. Beobachten Sie das auch?
Das ist möglich, aber ich kann es nicht beweisen, und es gibt auch keine Studie dazu. Aber nicht alles, was ein Schüler von sich gibt und was zum Beispiel im AfD-Wahlprogramm stehen könnte, ist per se verfassungsfeindlich. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Aussagen immer kürzer gefasst und populistischer werden. Auch unter demokratischen Politikern.

Wie gut sind Kinder und Jugendliche dagegen gewappnet?
Jungen Menschen fehlt die Lebenserfahrung. Hat ein 12-Jähriger Erfahrung mit Politik? Natürlich nicht. Für den ist es schwer, Falschinformationen zu erkennen. Wichtig ist, dass das Elternhaus den Kindern Werte vermittelt: leben und leben lassen, Achtung vor dem Gegenüber. Dann merken Schülerinnen und Schüler auch, wenn gewisse Aussagen nicht in Ordnung sind.

Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen Sie die unsäglichen Aussagen der AfD zur Remigration. Da merken Schüler sofort, wen in der Klasse das betreffen würde und dass Freunde auf einmal das Land verlassen müssten.

Suchen die Schülerinnen und Schüler bei diesen Themen den Austausch mit Lehrkräften?
Das haben Schüler immer schon gemacht. Ich würde aber sagen, dass sie mehr diskutieren als noch vor ein paar Jahren. Nehmen Sie das Heizungsgesetz: Das hat viele Familien verunsichert und geht deshalb auch an den Kindern nicht spurlos vorbei. Die kriegen mit, wenn Eltern Existenzsorgen haben – etwa wenn der Jahresurlaub kleiner oder ganz ausfällt. Das beschäftigt Kinder.

Machen die Schüler und Schülerinnen jemanden dafür verantwortlich?
Das kommt oft darauf an, wie zu Hause darüber gesprochen wird. Sprechen Eltern zum Beispiel von „Herrn Scholz“, vom „Bundeskanzler“ oder von „dem Scholz“? In den meisten Familien wird mit viel Anstand über Menschen gesprochen. In anderen wird in deutlichem Jargon über Politiker hergezogen, dann ist von „den Ärschen“ die Rede. Das können Kinder nicht abschütteln. Da sollten Lehrkräfte widersprechen und sagen: „So spricht man nicht übereinander, auch nicht über Politiker.“

Mein Sohn würde die AfD wählen 11.24

Wo endet die Verantwortung der Lehrkräfte für die politische Bildung der Kinder?
Sie endet nie. Aber man kann einem Menschen nicht alles vermitteln.

Das heißt?
Wir können versuchen, Kinder zu Demokraten zu erziehen – das gelingt nicht immer. Für Lehrkräfte ist es das Schlimmste, wenn sie dabei an ihre Grenzen stoßen. Aber man kann niemanden zwingen etwas zu lernen. Wir Lehrer können informieren, aus dem Leben anderer schildern. Deshalb sind zum Beispiel die Zeitzeugen des Holocaust so wertvoll. Aber davon gibt es nicht mehr viele.

Was bedeutet das?
Wir haben eine Generation junger Menschen, die haben keine Eltern oder sogar Großeltern mehr, die direkt mit dem Dritten Reich zu tun hatten. Andere haben das nicht, weil ihre Großeltern zu der Zeit überhaupt nicht in Deutschland gelebt haben. Da fehlen Grundlagen oder Möglichkeiten zur Auseinandersetzung und zum Entwickeln einer bestimmten Haltung – das kann man mit der Schule allein nicht auffangen.

Sollten Eltern einschreiten, wenn sie merken, dass ihre Kinder populistische oder desinformierende Podcasts oder Kanäle auf sozialen Medien konsumieren?
Es gibt immer Dinge, die wir als Eltern nicht mitbekommen. Aber wir können uns so äußern, dass den Kindern auffällt: Meine Eltern reden anders als die Menschen in diesen Podcasts. Die meisten Kinder haben ein recht gutes Verhältnis zu ihren Eltern und werden mit ihnen über die Inhalte sprechen. Im besten Fall ergibt sich dann eine Diskussion.

Was fordern Sie von der Bundesregierung?
Verfassungsfeindliche Inhalte in sozialen Netzwerken müssen gesperrt werden. Dazu müssen auch die Plattformbetreiber angehalten werden. Dann sollten Eltern aber auch darauf achten, was gerade jüngere Kinder alles zu sehen bekommen. Die müssen nicht alles sehen. Es hat einen Grund, dass manche Plattformen erst ab einem gewissen Alter offiziell erlaubt sind.

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