Lieferkettengesetz: Blockade in Brüssel: Die Victor-Orbán-Strategie der FDP

Wie ein quengeliges Kind blockiert die FDP zurzeit ein europäisches Gesetz nach dem anderen. Und der Kanzler? Lässt es geschehen.

„Retten Sie das Lieferkettengesetz, Herr Scholz.“ So ist eine Protestaktion der Zivilgesellschaft unterschrieben, die an diesem Dienstag vor der SPD-Parteizentrale stattfinden soll. Olaf Scholz, so fordert es unter anderem die Menschenrechtsorganisation Oxfam, soll sich endlich zum möglichen Scheitern eines der wichtigsten europäischen Gesetze der Legislatur äußern: dem Lieferkettengesetz.

Es geht darum, ob sich europäische Unternehmen künftig für Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in ihren Wertschöpfungsketten verantworten müssen. Und ob sie für Schäden künftig haften werden.  

Tatsächlich fragt man sich in Brüssel immer öfter, wer die Geschicke der Bundesregierung leitet. Olaf Scholz scheint es nicht zu sein. Ein Gesetzesentwurf nach dem anderen scheitert derzeit an deutschen Blockaden, in Brüssel heißt es dazu nur noch „German Vote“. Gemeint ist die FDP, die mal wieder mauert. Die Liberalen sind eigentlich Juniorpartner in der Koalition um den sozialdemokratischen Bundeskanzler. Doch sie haben wie keine andere Partei verstanden, wie sehr sich Gesetzesprojekte in Brüssel eignen, um eigene Ziele durchzudrücken oder sich auch nur im Gespräch zu halten.  

Der Streit um den Verbrenner machte den Anfang

Am Anfang war der Verbrenner-Motor, und die FDP wurde noch belächelt. Es war März 2023, das Aus des Verbrenners bis 2035 auf europäischer Ebene eigentlich beschlossene Sache. Die Triologverhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission waren längst abgeschlossen. Doch vor dem abschließenden Ratsvotum, eigentlich eine Formalität, blockierte auf einmal die FDP. Die Abstimmung wurde verschoben, der FDP versprach man in Brüssel eine kleine Ausnahme für E-Fuels. Das Verbrenner-Aus kam doch noch. Und die FDP lernte, was auch ein Victor Orbán so gut für sich zu nutzen versteht: Ist man in Brüssel zickig, so kann man zumindest kleine Zugeständnisse erreichen.  

Nun, ein Jahr später, lassen sich die Liberalen nicht mehr mit kleinen Ausnahmen abspeisen, und die Lieferketten sind nur ein Beispiel von vielen: CO2-Grenzwerte für LKW, Plattformarbeit, Verpackungsverordnung, immer wieder wackeln Abstimmungen bereits verhandelter Texte an einem Sinneswandel der FDP. Mit jedem kleinen Erfolg, und sei es nur das kollektive Medieninteresse, geht die Partei einen Schritt weiter. Im Falle der Lieferketten hat Justizminister Marco Buschmann gar ein kollektives Schreiben an die Mitgliedstaaten geschickt, wieso auch sie gegen das Gesetz stimmen sollten. Mit Italien hat sich die Partei auf einen Kuhhandel eingelassen. Wenn Rom die Lieferketten stoppt, dann hilft Berlin bei der Blockade der Verpackungsregeln. 

Lieferkettengesetz 12.33

Damit gibt die FDP bereits jetzt den Ton für die kommenden Europawahlen an. Das Credo lautet: weg von koalitionsbedingten Kompromissen, die das Profil der Liberalen schwächen. Hin zu einer möglichst industriefreundlichen Politik. Medienwirksam sind die Stunts der FDP, eindeutig. Kein Tag vergeht, an dem die FDP-Blockade nicht Thema von Leitartikeln, Protestaktionen oder Kommentaren ist. Diesem inklusive.

Wo ist der Kanzler?

Dabei ist die Macht der deutschen Verbände in Brüssel ohnehin spürbarer denn je. Zuletzt ließ auch CDU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen immer wieder wichtige Gesetze fallen, die von einflussreichen Lobbys besonders kritisch beäugt wurden. Sie verwarf beispielsweise die geplanten Reformen zu gefährlichen Chemikalien und zu nachhaltigen Pestiziden und setzte nach den starken Bauernprotesten der letzten Wochen die Pflichtbrache für 2024 aus. 

Die immer industriefreundlichere Politik beschert ihr nun die Spitzenkandidatur der Konservativen. Allerdings wird sie dafür womöglich eine rechtskonservative bis rechte Mehrheit brauchen. Die FDP sendet mit ihrem Verhalten klar das Signal, dass die Liberalen lieber dort mitziehen als eine grün-sozialistische Koalition zu befrieden.  

Auffällig ist, dass die FDP insbesondere jene Gesetzesprojekte kapert, die eigentlich als Aushängeschilder der europäischen Sozialisten dienen sollten. Das Gesetz um die Plattformarbeit zum Beispiel sollte zum Vermächtnis des Sozialkommissars Nicolas Schmit gehören. Er geht bei den Europawahlen im Juni als europäischer Spitzenkandidat der Sozialisten ins Rennen. Vergangene Woche aber scheiterte sein Gesetz im Rat. Auch das Lieferkettengesetz geht auf eine Forderung der Sozialisten im Europaparlament zurück. Deutschland hat sich im Koalitionsabkommen zum europäischen Gesetz bekannt, nun steht es auf der Kippe. 

SPD FDP Lieferkettengesetz

Und doch findet die SPD anscheinend keine klaren Worte und Taten, um den Juniorpartner der Koalition in Schach zu halten. Olaf Scholz, der als Bundeskanzler eigentlich seine Koalition zusammenhalten sollte, bleibt größtenteils stumm. Nach Brüssel reicht sein Schatten jedenfalls nicht. Der seines Juniorpartners umso mehr. 

Verwandte Beiträge