J. Peirano: Der geheime Code der Liebe: Mein Mann hat mich mit 35 Jahren verlassen – war es das dann mit meinem Kinderwunsch?

Bei Ärztin Nora R. setzt mit 35 Torschlusspanik ein: Sie möchte ein Kind und eine Familie, aber woher bekommt sie jetzt den Mann dafür? Selbst in diesem Fall hat Julia Peirano ein paar smarte Ideen.

Liebe Frau Peirano,

ich bin 35 und Ärztin in eigener Praxis. Im letzten Herbst hat mein Mann mich relativ plötzlich verlassen, weil er sich von meinem Kinderwunsch unter Druck gesetzt fühlte und wir viel Streit hatten. Nicht nur deswegen, aber es war ein großes Thema. Wir haben nicht an einem Strang gezogen, und das war sehr anstrengend. Ich bin mittlerweile eigentlich nur noch erleichtert darüber, dass wir getrennt sind, und fühle mich mittlerweile sehr wohl in meiner neuen Wohnung, treffe meine Freundinnen häufiger und unternehme viel mehr. Auch finanziell bin ich gut aufgestellt.

Peirano Mai 1

Was mich allerdings sehr beschäftigt, ist die Frage, wie ich jetzt noch einen Mann kennenlernen kann, mit dem ich eine Familie gründen kann. Die Zeit läuft mir einfach davon, und wie wir alle wissen, sind Männer bei Frauen in meinem Alter mit Kinderwunsch auch sehr vorsichtig.

Meine Freundinnen haben entweder schon Kinder oder sie sind auf der Suche nach einem Mann und erleben eine Enttäuschung nach der anderen. Es war immer mein großer Wunsch, eine Familie und Kinder zu haben und es ist eine schlimme Vorstellung, dass der Zug für mich vielleicht schon abgefahren ist.

Haben Sie einen Denkanstoß für mich?

Viele Grüße
Nora R.

Bio Julia Peirano

Liebe Nora R.,

das klingt nach einer sehr herausfordernden Situation, in der Sie sich gerade befinden. Sie sind als Frau in Ihrem Alter sozusagen an einer Weggabelung und müssen sich aktiv entscheiden, welchen Weg Sie jetzt einschlagen. Vielleicht bringt es etwas Klarheit in die Situation, wenn Sie sich gynäkologisch untersuchen und auch einen Hormonspiegel machen lassen. Möglicherweise haben Sie doch viel mehr (oder vielleicht auch weniger) Zeit, als Sie denken.

Jüngere Frauen können sich immer noch sagen, dass sie noch Zeit haben, und Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können, sind schon längst an der Abzweigung vorbei. Aber Sie stehen direkt davor und müssen Ihren Weg finden, und das ist natürlich eine große Verantwortung.

Peirano April 4 2100

Ich teile Ihre Sichtweise, dass es kompliziert werden könnte, jetzt den richtigen Mann zu finden, mit dem Sie eine Familie gründen können. Denn aus meiner Begleitung von Frauen in einer ähnlichen Situation habe ich beobachtet, dass es viele Männer gibt, die sich gar nicht fest binden möchten oder können. Der Großteil der anderen Männer möchte erst einmal die neue Frau in Ruhe kennenlernen und mit ihr eine Beziehung aufbauen, kinderlosen Alltag leben, vielleicht reisen, ausgehen, bevor man sich dazu entscheidet, mit dieser Frau jetzt ein Kind zu bekommen. 

Aus Sicht der Männer ist das verständlich, denn sie stehen nicht unter Zeitdruck, jetzt die Weggabelung in Richtung „Kinder bekommen“ zu nehmen und sehen oft nicht die Notwendigkeit, sich Zeitdruck zu machen, nur weil die Partnerin Zeitdruck empfindet. 

Ich kann mir vorstellen, dass Sie durch Ihren (völlig verständlicherweise empfundenen) Zeitdruck in einer Beziehung die schlechteren Karten in der Hand hätten. Dieses Szenario kennen Sie ja auch aus Ihrer Ehe, die letztlich auch daran zerbrochen ist. Deshalb würde ich Sie gerne einladen, einmal gedanklich Ihren Horizont so weit aufzumachen, wie Sie nur können, um sich Alternativen für Ihre Situation zu überlegen. Und ich meine damit wirklich erst einmal nur überlegen und dann erst bewerten, ob etwas davon für Sie infrage kommt.

Peirano Frau Krebs 21.16

Mein Vorschlag wäre, sich einmal gedanklich von der Idee zu befreien, dass ERST der richtige Mann da sein muss und DANN die Familie gegründet wird. In der gelebten Realität ist es ja oft ganz anders, nur oft sind diese Szenarien nicht geplant worden.

Eine Bekannte von mir wurde von einem Mann schwanger, mit dem sie eine kurze Beziehung hatte. Er verließ sie während der Schwangerschaft, und sie war eine Weile alleinerziehend, bis sie erst einen jüngeren Freund fand und dann einen anderen Partner, mit dem sie noch ein Kind bekam.Eine Freundin hat jung geheiratet, relativ früh zwei Kinder bekommen, um da auf Nummer sicher zu gehen, und dann festgestellt, dass es mit ihrem Mann extrem viele Kontroversen gab. Sie hielt es den Kindern zuliebe 10 Jahre lang aus, wurde dann von ihm betrogen und trennte sich. Mittlerweile lebt sie seit über zehn Jahren mit ihrem neuen Mann und dessen Kindern in einer sehr harmonischen Patchwork-Familie.Eine Kollegin lebte erst mit einem Mann zusammen und bekam ein Kind, verliebte sich dann aber in eine Frau. Jetzt ist sie mit ihrem Ex-Mann gut befreundet und lebt mit ihrer Freundin zusammen.

Bei vielen Frauen „klappt“ eine gelungene Beziehung also erst beim zweiten oder dritten Anlauf. Und der Weg dahin ist oft desillusionierend, anstrengend und verletzend.

Peirano April2 1955

Als meine Kinder klein waren, waren beim Ende der Kindergartenzeit ungefähr 25 Prozent der Elternpaare getrennt. Als die Kinder die Grundschule beendet hatten, waren es schon ca. 40 Prozent und um das Abitur und den Auszug der Kinder herum trennten sich noch viele weitere Elternpaare, die den Kindern zuliebe „durchgehalten“ hatten. Darüber hinaus gibt es sehr viele unglückliche Paare, die sich gegenseitig verletzen, einander das Leben schwermachen und oft auch ihren Kindern durch ihre Konflikte schaden. Auch Trennungskinder sind von der Situation oft belastet. 

Das ist natürlich ein sehr negatives Bild, das ich hier zeichne, und ich mache das absichtlich, um ihnen an der besagten Weggabelung mehr Differenzierung und Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen.

Es gibt an der Weggabelung nicht nur den Weg nach links in Richtung „glückliche Familie mit Traumpartner und Wunschkindern“ und den Weg nach rechts „kinderlos und unzufrieden“. Sondern es gibt auch viele andere Wege, ein Kind zu bekommen und Elternschaft bzw. Familie zu leben. Haben Sie über die Alternativen schon einmal gründlich nachgedacht? Machen Sie doch ein Brainstorming, gerne auch mit Freundinnen in einer ähnlichen Situation, und tragen Sie erst einmal wertfrei zusammen, welche Möglichkeiten es gibt, ein Kind zu bekommen und für es zu sorgen.

Dabei gibt es zwei Kernfragen 

Welche Möglichkeiten gibt es, an einen biologischen Vater für ein Kind zu kommen? Zum Beispiel ein Partner in einem homosexuellen Paar, Samenbank, Zufallsbekanntschaft mit einem Mann, der damit einverstanden wäre, Vater zu werden, bewusstes Co-Parenting. Auch eine Adoption oder ein Pflegekind sind weitere Möglichkeiten. Ebenso könnten Sie sich gegen ein eigenes Kind entscheiden, aber sich einen Partner mit Kindern suchen oder einer alleinerziehenden Freundin helfen.Mit wem würden Sie das Kind erziehen und betreuen? Welche Rolle würde der biologische Vater idealerweise dabei spielen (Samenbank: keine Rolle; homosexuelles Paar mit Kinderwunsch: wahrscheinlich große Rolle) und was vermuten Sie, wie es dem Kind damit gehen würde? Sammeln Sie doch auch Erfahrungsberichte von Kindern, die auf diese Art gezeugt wurden und aufgewachsen sind. Hier ist zum Beispiel ein Beitrag über die Kinder von Samenspendern: https://www.deutschlandfunk.de/kinder-von-samenspendern-das-gefuehl-in-der-falschen-100.html.

Wenn es um die Betreuung des Kindes geht und die Gemeinschaft, in der Sie und das Kind leben wollen: Welche Möglichkeiten fallen Ihnen ein? Zum Beispiel könnten Sie in der Nähe Ihrer Eltern oder Geschwister leben, falls diese dazu bereit sind, die Verantwortung für ein Kind mit Ihnen zu teilen. Oder mit einer anderen Mutter in einer Gemeinschaft zu leben und sich die Verantwortung zu teilen, eventuell auch unterstützt durch eine Haushaltshilfe oder Babysitterin.

Mein Vorschlag wäre, dass Sie diese Situationen erst einmal nur gedanklich durchspielen und erst dann bewerten. Die Bewertung sollte beinhalten, wie es einem Kind und auch Ihnen in diesem Lebensmodell gehen könnte. Gleichen Sie das doch auch ab mit der Situation und Gefühlslage von Kindern, die in einer ähnlichen Situation sind (z.B. vaterlos aufwachsen, weil der Vater unbekannt ist oder kein Interesse an dem Kind hat).

Peirano April    20.30

Was oder wen würden Sie brauchen, wenn Sie ein Kind in einem anderen Modell als der klassischen Kleinfamilie aufziehen? Was denken Sie, würde das Kind brauchen, um sich willkommen zu fühlen, sicher und geborgen zu sein, verlässliche Bezugspersonen zu haben und ein gutes Gefühl der eigenen Herkunft zu entwickeln? Was für einen Austausch oder was für Unterstützung würden Sie brauchen, um ein Kind aufzuziehen?

Führen Sie möglichst viele Gespräche mit Menschen, die alternative Modelle leben, und zwar unabhängig davon, ob die Menschen das von Anfang an geplant haben oder ob es durch eine Trennung oder einen Schicksalsschlag dazu gekommen ist.

Sie würden durch diese Überlegungen mehr Spielraum für eine Entscheidung schaffen und dadurch Druck aus Ihrer Situation nehmen. Und wenn Sie an dem Gedanken festhalten wollen, dass Sie gerne einen passenden Lebensgefährten und Vater für das Kind haben wollen, gewinnen Sie hier Zeit. 

Peirano März 4 2010

Anstatt jetzt Hals über Kopf einen Partner zu finden, der schnellstmöglich mit Ihnen ein Kind haben möchte, könnten Sie sich erst um das Kind kümmern und dann in Ruhe schauen, ob Ihnen ein passender Mann über den Weg läuft. Viele Frauen lernen zukünftige Partner und Stiefväter im Umfeld der Kinder kennen: Der getrennte Vater aus dem gleichen Kindergarten oder der Schule, der attraktive Mann, dessen Sohn im gleichen Fußballteam ist wie Ihrer, der engagierte Vater, der liebevoll seine Tochter tröstet …

Ich hoffe, dass Sie sich erlauben, erst einmal ganz weit zu denken und dann mit viel Achtsamkeit und Sorgfalt zu schauen, ob Sie sich eines dieser anderen Modelle für sich vorstellen können.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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