Internationale Politik: Ratlos im „Bayerischen Hof“ – die Münchner Sicherheitskonferenz bleibt hinter ihrem eigenen Anspruch zurück

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist zu ihrem 60. Jubiläum hinter dem eigenen Anspruch zurückgeblieben, durch Dialog Bewegung in die großen Krisen der Welt zu bringen.

Garri Kasparow, der russische Schachweltmeister und Oppositionelle, brachte die Lage am wohl Schonungslosten auf den Punkt: „Ich habe die schreckliche Nachricht in München bei der Sicherheitskonferenz erhalten“, schrieb er auf X, als die Meldung vom Tod Alexey Nalwanys begonnen hatte, die Runde zu machen. „Die Stimmung hier ist jämmerlich. Die Nato und die Anführer der freien Welt treten auf der Stelle, während die Ukrainer ihr Blut vergießen.“

Diese Konferenz, in früheren Jahren ein Hochamt transatlantischer Einheit und westlicher Zuversicht, war geprägt von Zweifeln und Zaghaftigkeit. Symptomatisch dafür: die großen Reden dieser beiden Tage. Keine weckte auch nur annähernd Begeisterung oder Aufbruchsstimmung unter dem hochrangigen Publikum im Münchner Nobelhotel „Bayerischer Hof„.

US-Vizepräsidentin Kamal Harris versprach zum Auftakt, Amerika werde seine Führungsrolle innerhalb der Nato auch in Zukunft erfüllen. Dabei gelingt das schon jetzt nur noch unzureichend. Mehr als acht Monate vor der US-Präsidentschaftswahl.

Olaf Scholz Sicherheitskonferenz

Bundeskanzler Olaf Scholz betonte tags darauf, Deutschland sei Europameister bei der Unterstützung der Ukraine und erfülle das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Dabei gelingt selbst das noch immer nur mit buchhalterischen Klimmzügen. Pensionszahlungen an ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee tragen wenig zur Schlagkräftigkeit des transatlantischen Bündnisses bei.

Dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj gelang immerhin, trotz der zunehmend desolaten Lage auf dem Schlachtfeld, noch ein kleiner Show-Effekt: Vom Rednerpult aus lud er Donald Trump zum gemeinsamen Frontbesuch ein.

Münchner Sicherheitskonferenz : kein Aufbruch, nirgends

Ansonsten: Ratlose Gesichter. Kein Aufbruch, nirgends.

Auch deswegen konnte vor allem Chinas Außenminister Wang Yi halbwegs überzeugend als Stimme für Kontinuität und globalen Interessensausgleich zu punkten. Er verband diese Rolle mit einem Appell für die Rechte der Palästinenser. Die Vertreter des Westens hatten ihm bei diesem Thema, abgesehen von Floskeln, weitgehend das Feld überlassen.

Überhaupt war bemerkenswert, wer und was fehlte auf dieser 60. Sicherheitskonferenz. 

Ein Plan B für die Ukraine zum Beispiel. „Vergangenes Jahr fand ich hier in München den Optimismus mit Blick auf die Ukraine etwas unrealistisch“, sagte am Samstagnachmittag Charles Kupchan, Professor für Internationale Beziehungen an der renommierten Georgetown University, bei einem Gespräch mit dem stern. „Ich hatte erwartet, dass in der Zwischenzeit etwas mehr nachgedacht worden wäre. Dass es einen Plan B geben würde. Aber alle sind nur deprimiert.“ 

„Kollektive Realitätsverweigerung“

Schon vor Monaten hatte der ehemalige Obama-Berater in einem viel beachteten Artikel gefordert, die Ukraine müsse ihre Strategie anpassen, von Offensive auf Defensive umstellen, und parallel Möglichkeiten für einen Waffenstillstand ausloten. Dass die Debatte in München noch immer vor allem um Waffengattungen und gegenseitige Vorwürfe unter den Nato-Alliierten kreiste, empfand Kupchan als „kollektive Realitätsverweigerung“.

München Sicherheitskonferenz Roundup

Auch ein starkes Signal der Unterstützung für die Ukraine ist von dieser Sicherheitskonferenz nicht ausgegangen. Zwar hatte Präsident Selenskyj vor seinem Auftritt in München am Samstagmorgen binnen 24 Stunden erst in Berlin und dann in Paris je ein bilaterales Verteidigungsabkommen unterzeichnet. Doch die Gelegenheit für einen demonstrativen Schulterschluss der großen europäischen Staaten mit der Ukraine auf offener Bühne in München blieb ungenutzt. Auch weil sowohl Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als auch Polens Premier Donald Tusk nicht angereist waren.

„Frieden durch Dialog“? – nicht für den Gazastreifen

Noch eine große Lücke auf der Konferenz-Agenda: Zumindest der Beginn einer Debatte über Konzepte für den Wiederaufbau und eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen. Dabei fehlte es nicht an hochrangigen Gästen, die viel zu diesem Thema hätten beitragen können – von Israels Präsident über den König von Jordanien bis hin zum katarischen Premierminister. „Frieden durch Dialog“ heißt das Motto der Sicherheitskonferenz. Mit Blick auf den Nahen Osten hat diese Sicherheitskonferenz es nicht erfüllt.

„Wir suchen einen Silberstreif am Horizont“, hatte Christoph Heusgen, Vorsitzender der Sicherheitskonferenz, in seiner Eröffnungsrede am Freitag gesagt. Entdeckt hat den in München dieses Jahr wohl niemand.

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