Eurovision Song Contest: ESC-Vorentscheid 2024: Isaak hält dem Druck stand – das wird was in Malmö! Oder?

Acht Acts waren angetreten, sogar eine internationale Jury wurde zu Rate gezogen. Am Ende machte mit Isaaks „Always On The Run“ echtes ESC-Material das Rennen in einer zum Teil starken Konkurrenz.

Wie hieß es einst so tröstend bei Humphrey Bogart und Ingrid Bergman? Uns bleibt immer noch Paris. Nun ist das ARD-Studio nicht ganz Casablanca, aber nach einer so kurzweiligen Vorentscheid-Sause könnte man durchaus sagen: Egal, was in Malmö passiert – uns bleibt immer noch Berlin. Anders ausgedrückt: Die gut zwei Stunden ESC-Vorentscheid am späten Freitagabend wären auch eine prima Show gewesen, wenn es am Ende nicht um das Ticket zum Finale des Eurovision Song Contests 2024 gegangen wäre.

Florian Silbereisen machte nach post-dentaler Ibuprofen-Zufuhr einen ebenso entspannten Eindruck wie Ricardo Simonetti, der irgendwann sogar seine rote Unterhose zeigte, zumindest ein kleines Stück davon. Mary Roos, die Grande Dame des Grand Prix, lobte den ESC als „die friedvollste Veranstaltung der Welt“ und bewahrte ihre blendende Laune sogar, als sie im Einspieler noch einmal in ihrem legendären Topflappenkleid aus den 70ern zu sehen war. „Das ist jetzt wieder modern“, ihr trockener Kommentar. Grandios zudem, wie sie von ESC-Nostalgie zu pragmatischer Expertise wechselte. Als das Gespräch auf das Streben der Kombattanten nach einem Plattenvertrag kam, hatte sie spontan den wichtigsten Rat parat: „Leute, nehmt euch einen Anwalt!“. Nur die Liebe lässt uns leben? Ein guter Ratschlag mit Sicherheit auch.

Eher „Unter meinem Bett“ als Phoenix aus der Asche

Alli Neumann komplettierte die Runde, ihre Haarfärbung passend zur Couture der Conferencieuse des Abends, Barbara Schöneberger, die in einem Kleid antrat, das aussah, als hätte man Asterix’ Kupferkessel zu einem Kleidungsstück umgeschmolzen, mit anderen Worten: Superb. Überhaupt schien die ESC-Erprobte vom Trauerspiel der vergangenen Jahre nicht nur einigermaßen unberührt, man bekam vielmehr den Eindruck, hier hat mittlerweile wohltuendes Laissez-Faire Einzug gehalten. Waren die letzten Jahre immer noch von so einem subtilen „Europa, warum tust du uns das an?“ durchwirkt, nahm sie, nahm man, nahm der ganze Laden den Vorentscheid mit einer atmosphärischen Mischung aus ZDF-Hitparade, „Immer wieder sonntags“ und Green Room kurz nach dem dritten Piccolöchen, anders gesagt: locker aus der Hüfte.

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Und es gab ja auch noch das Teilnehmerfeld der acht Aspiranten, die sich anschickten, die Nachfolge von Lord Of The Lost anzutreten, die auch noch kurz reinschauten. Vor allem wohl, um klarzumachen, dass das olympische Motto auch für den ESC gilt. Der nächste Grand Prix ist immer der schwerste. Willst du Deutschland oben sehen, musst du das Tableauchen drehen – damit könnte es im Mai in Malmö womöglich vorbei sein.

Aber der Reihe nach: Ninetynines „Love On A Budget“ eröffnete das Starterfeld, mit Paisley-Gitarre und Prince-Tattoo, Middle-of-the-Road-Pop zwischen Phoenix und Pohlmann, gefolgt von Leona in einem rosa Regencape und mit „Undream You“ letztlich vielleicht doch etwas zu verträumt. Ganz im Gegensatz dazu Isaak, der mit „Always On The Run“ umso besser wusste, was eine ESC-Harke ist: eine Prise Rag’n’Boneman, ein bisschen Future-Islands-Growl und ein Chorus, der sich in einer Halle voller Eurovision-Ekstase womöglich behaupten sollte. Da könnte was gehen, das war gleich zu ahnen. Das Duo Galant bot qua Selbstbezichtigung „retrofuturistischen Elektropop“, der musikalisch gehörig Potential hatte, ein cooler Mix aus NDW und Hausmacher-Industrial, textlich aber – miau-miau – dann doch eher „Unter meinem Bett“ als Phoenix aus der Asche. 

Newcomer siegt beim „schwulen Superbowl“

Apropos, auch Conchita Wurst und Rea Garvey gaben sich ein Stelldichein. Die beiden hatten in ihrer Docutainment-Serie „Ich will zum ESC!“ in den letzten Wochen eine Wildcard ersingen lassen. Den Zuschlag bekam Floryan, dessen „Scars“ so ein wenig unter demselben Symptom litt, wie Ryk mit seinem grandios-opulenten „Oh Boy“ – ohne ESC-Vorreiter wie Duncan Lawrence oder Gjon’s Tears hätten ihre furiosen Falsette womöglich zu mehr getaugt. So aber war das ein bisschen Konfetti von gestern, in Teilen wirklich hochklassig, aber eben auch schon mal dagewesen. Wobei auch das nicht immer ein Ausschlussmerkmal sein muss. 

Der Mann mit dem Hut, Max Mutzke, konnte ein Lied davon singen. 20 Jahre nach seinem achten Platz in Istanbul versuchte er es ein weiteres Mal, sein „Forever Strong“ solider Soulstoff Marke „Wird schon wieder“. Zwei weibliche Stimmen aus unterschiedlichen Ressorts probierten es ebenfalls. Zum einen die bezaubernde Bodine Monet, barfuß wie Sandy Shaw, mit „Tears Like Rain“ eine Art Shakira in der märchenhaften Folkversion. Und Marie Reim, auf den Spuren ihrer Eltern Michelle und Mathias Reim unterwegs, mit dem Schlager „Naiv“ angemessen ambitioniert, aber am Ende machtlos.

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Mit dem Voting wurde es dann noch etwas wild. Unklar, warum nun ausgerechnet diese acht Nationen, unter anderem Spanien, Litauen und Schweiz, ihre Stimmen abgaben, warum die Punktzahl 7 entfiel und warum man, in Gottes Namen, Barbara Schöneberger das Endergebnis in so derart kleingedruckter Schrift überreichen musste. Irgendwie meisterte sie aber auch das so souverän, wie zuvor die Sache mit dem unkomfortablen Bauchladen, mit ihrem Dekolleté –  „den hängenden Gärten von Semiramis“ – und dem Wiegenfest von Ricardo Simonetti. Der feierte live in der Sendung seinen 31. und bekam dazu eine Torte überreicht, die aussah, als wäre sie beim Lego Masters nicht ganz fertig geworden. Happy Birthday noch einmal von dieser Stelle.

Und Glückwunsch natürlich an Isaak, der sich früh an die Spitze gesetzt hatte und diese Position bis zum Schluss vor Max Mutzke und Ryk verteidigen konnte. Großer Jubel am Schluss des „schwulen Superbowl“ (O-Ton Simonetti), ein Sieger, der den Fluch der vergangenen Jahre durchaus brechen könnte, nur das mit der Trinkmenge muss er bis dahin noch auf die Reihe bringen. „Ich muss so pinkeln, das kannst du dir nicht vorstellen“, seine Worte zu Barbara Schöneberger, unmittelbar bevor er seinen Siegersong noch einmal performen sollte. Isaak jedoch hielt dem (Blasen)druck stand. Das Finale kann kommen.

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