Netflix-Serie: Man will sie schütteln und ist gerührt: Haben wir nicht alle eine „Zwei an einem Tag“-Liebe?

Emma und Dexter finden einander sofort toll – und werden trotzdem (lange) kein Paar. Die Netflix-Serie „Zwei an einem Tag“ ist wohl auch deshalb so erfolgreich, weil viele von uns die Frage kennen: Was hätte aus einer verlorenen Liebe unter anderen Umständen werden können?

Vielleicht waren die 90er-Jahre wirklich eine romantischere Zeit. Eine Zeit, in der man sich noch Briefe schrieb und darin die Dinge ausdrückte, die man nicht laut aussprechen konnte. Eine Zeit, in der eine sorgfältig formulierte Nachricht auf dem Anrufbeantworter über die Zukunft einer Liebe entscheiden konnte. Und eine Zeit, in der man in der Liebe auf den Zufall vertrauen musste, weil man nicht mit zwei Klicks herausfinden konnte, was die Ex-Flamme im Leben mittlerweile machte. 

Zumindest geht es in der Netflix-Serie „Zwei an einem Tag“, die zu größten Teilen im Großbritannien der 90er spielt, höchst romantisch zu. Emma Morley (gespielt von Ambika Mod) und Dexter Mayhew (Leo Woodall) lernen sich beim Abschlussfest der Universität in Edinburgh kennen. Sie nimmt ihn mit nach Hause, sie landen im Bett – und unterhalten sich die ganze Nacht lang. Den folgenden Tag verbringen sie gemeinsam, zögern den Start ins „richtige“ Erwachsenenleben, wie Emma sagt, noch ein wenig hinaus, aber auch den Abschied voneinander. Es knistert zwischen ihnen, doch vor jedem Kuss kommt etwas dazwischen. Emmas Mitbewohnerin taucht plötzlich auf, dann Dexters Eltern, und es wird schnell klar, es soll an diesem einen Tag nicht sein, Emmas und Dexters Leben scheinen nicht so recht zusammenzupassen. 

Ein für alle offensichtliches Traumpaar

Aber: Sie versprechen sich, in Kontakt zu bleiben. Dexter kritzelt Emma die Telefonnummer seiner Eltern auf einen Zettel, wie man das in den 90ern eben machte. Und sie verlieren sich nicht aus den Augen, auch wenn ihre Leben in sehr unterschiedliche Richtungen laufen. So lange jedenfalls, bis es Emma und Dexter nicht mehr gelingt, sich einzureden, „nur Freunde“ zu sein.

Die Geschichte eines Paares, das viel zu lange keines sein möchte, das die richtigen Zeitpunkte immer wieder verpasst, miteinander einfach glücklich zu sein, lässt das Publikum auch in der zweiten Verfilmung des Romans von David Nicholls schluchzend vorm Fernseher zurück (zumindest, wenn man den Social-Media-Beteuerungen glauben mag, die sich hin und weg von der Serie zeigen). Klar, die Bilder der Netflix-Romanze sind träumerisch angegilbt, und im Hintergrund dudeln fortwährend die Cranberries oder Radiohead  ­– das allein macht es schwierig, nicht wenigstens kurz ganz fest daran glauben zu wollen, dass es mehr geben muss zwischen zwei Menschen als Dating-Trends von TikTok oder halbherzig umgesetzte Paarberater-Tipps.

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Aber es ist mehr als das. In „Zwei an einem Tag“ wird eine Liebesgeschichte anhand von Schlaglichtern erzählt. Über gut 15 Jahre hinweg, immer am 15. Juli, taucht man kurz ein in die Leben von Emma und Dexter, von 1988 bis in die frühen Nullerjahre. Schon einmal wurde Nicholls von Hollywood verfilmt (damals mit Anne Hathaway in der Hauptrolle). Dass nun erneut Millionen von Zuschauern mit Emma und Dexter um ihre Liebe bangen, liegt nicht nur an der guten Inszenierung. Die Serie spielt mit Gedanken, die wohl alle kennen, die schon mal eine große Liebe aus den Augen verloren haben; die sich aus Vernunftgründen gegen eine Beziehung entschieden haben; die sich so lange nicht bereit fühlten, sich auf was Ernstes einzulassen, bis es zu spät war. Es geht um den nagenden Zweifel: Was wäre gewesen, wenn? Wenn das Timing gepasst hätte, wenn die Umstände andere gewesen wären, wenn man nicht aneinander vorbei geschliddert wäre im Leben? Und es geht um die Hoffnung, dass es eine zweite Chance gibt, dass man sich wiederfindet, dass es nicht zu spät ist.

Der eine Kryptonit-Mensch, den wir alle haben

In der Serie wird dieses Gedankenspiel in ganzen 14 Folgen ausgedehnt. Im Social-Media-Slang ist oft von „Kryptonit-Mensch“ die Rede, wenn es um diese eine Person geht, mit der es einfach nicht so recht klappen will, aber bei der man immer wieder schwach werden würde, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Eine Anspielung auf den fiktiven Mineralstoff, der den sonst unverletzbaren Superman im Marvel-Comic-Universum seiner Kräfte berauben kann. In der Serie sind Emma und Dexter einander dieses Kryptonit, und wie sie nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander können, dieses bittersüße Spielchen macht den Reiz aus, die Serie in einem Rutsch durchzusuchten. 

Immer wieder sind Emma und Dexter kurz davor, sich aufeinander einzulassen – und dann doch nicht. „Ich mag dich wirklich“, sagt Dexter etwa in einem gemeinsamen Urlaub beim nächtlichen Nacktbaden im Mittelmeer, „ich bin nur nicht bereit für eine Beziehung. Wir wollen verschiedene Dinge.“ Emma schwimmt beleidigt ans Ufer, sie glaubt, Dexter wolle sie nur als Option warmhalten. Und schon sind die beiden wieder zurück in der „Friendzone“.

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Bei solchen Szenen möchte man am liebsten durch den Bildschirm klettern und die Beteiligten schütteln: Jetzt traut euch doch mal, he’s a boy, she’s a girl, wie schwer kann’s sein! Dabei werden die Gründe, die die beiden auseinanderhalten, durchaus differenzierter dargestellt als „mal will sie nicht, mal er nicht“. Es geht um unterschiedliche Lebensentwürfe, auch um soziale Ungleichheiten, die Lebensentscheidungen leichter oder schwerer machen. Dexter kommt aus wohlhabendem Elternhaus, er kann sich in seinen 20ern erst mal treiben lassen und landet schließlich beim Fernsehen. Emma hingegen wird Lehrerin, als sie feststellt, dass sie nicht vom Gedichte schreiben und Kellnern leben kann. Auf dem Papier kein Problem, im Alltag eben schon – weil irgendwann, trotz aller Anziehungskraft, zu wenig Verständnis fürs Leben des anderen übrig ist. Kann man noch der oder die „Richtige“ für jemanden sein, wenn man sich in völlig unterschiedlichen Welten bewegt? 

„Zwei an einem Tag“ zeigt, wie Beziehungen an ganz profanen Lebensumständen schon scheitern können, bevor sie überhaupt so richtig angefangen haben. Und doch ist die Serie ein sehr herzig gemachtes Plädoyer für den Mut zur Liebe: Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte, wenn man es doch miteinander versucht? Nach ein paar Serienstunden mit Em und Dex kommen auf diese Frage nicht mehr viele valide Antworten in den Sinn.  

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