BSW: Wagenknechts Baustelle Ost: Warum der neuen Partei die Zeit wegläuft

Das BSW hofft auf rasche Erfolge bei den nächsten Wahlen. Doch ausgerechnet in Sachsen, Thüringen und Brandenburg laufen die Vorarbeiten schleppend. Ist die neue Partei nicht schnell genug?

Eigentlich sollte am ersten Maisamstag in Thüringen die Liste des Bündnisses Sahra Wagenknecht für die Landtagswahl aufgestellt werden. Natürlich mit Sahra Wagenknecht. Die erblickte 1969 in Jena das Licht der Welt und ist mithin – das sagt die Berlinerin aus dem Saarland zurzeit gerne und oft – auch eine echte Thüringerin.

Doch der Parteitag in ihrem Geburtsland findet erst einmal nicht statt. Er wurde verschoben. Das sei, heißt es offiziell aus dem BSW, überhaupt kein Problem. Man habe den Listenparteitag auf einen sehr frühen Zeitpunkt gelegt, „damit wir Spielraum haben“, sagt Carsten Leye, der Generalsekretär der Bundespartei, auf Nachfrage dem stern. Jetzt werde eben der Spielraum genutzt. Alles gut also.

Wirklich? 

Was das BSW plant, hat in diesem Tempo zuletzt die AfD versucht. Die Partei hatte sich im Februar 2013 gegründet, um bereits ein gutes halbes Jahr später zur Bundestagswahl anzutreten. Damals scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde und zog erst ein Jahr später erstmals in den sächsischen Landtag ein.  

Wagenknecht muss also gewarnt sein, zumal bei ihr die Zeit noch stärker drängt. Denn es ist Superwahljahr. Parallel zur Europawahl am 9. Juni finden in acht Bundesländern Kommunalwahlen statt, in Thüringen sogar schon zwei Wochen früher. Und dann, knapp drei Monate später, werden am 1. September in Sachsen und Thüringen die Landtage gewählt. Das Brandenburger Landesparlament folgt am 27. September.

Die Europawahl-Kampagne läuft

Bis dahin muss die Wagenknecht-Partei Hunderte Kandidaten aufstellen und die Vorschläge fristgerecht einreichen. Und sie muss Unterschriften sammeln, in den Ländern, aber auch in jedem einzelnen Wahlkreis, wobei die Signaturen jeweils einzeln von den Einwohnermeldeämtern abzugleichen sind.

Immerhin, die Vorbereitungen für die Europawahl scheint die Wagenknecht-Partei zeitgerecht zu absolvieren. Die Spitzenkandidaten Fabio De Masi und Thomas Geisel führen eine lange Liste an. Die Plakate, die vor allem die Namensgeberin zeigen, die gar nicht antritt, sind fertig. Etwa drei Millionen Euro sollen für die Kampagne bereitstehen. Für das EU-Parlament gibt es keine 5-Prozent-Hürde, weshalb es auch nicht dramatisch ist, dass die Umfragewerte zwischen 4 und 7 Prozent schwanken.

Doch in den Landtagswahl-Ländern geht es langsamer voran als ursprünglich geplant. Während in Thüringen die Listenwahl auf den 1. Juni vertagt wurde, ist in Brandenburg noch nicht einmal ein Landesverband gegründet. 

Wir bauen eine Partei von unten auf. Wir hatten nichts an Strukturen da.

Generalsekretär Leye, der Ende 2023 gemeinsam mit Wagenknecht die Linke-Bundestagsfraktion verließ, wirbt um Verständnis. „Wir bauen eine Partei von unten auf“, sagt er. „Wir hatten nichts an Strukturen da.“ Es laufe zwar „sehr gut“, mit „hochmotivierten Mitarbeitern und Unterstützern“. Aber: „Da darf man keine Blumen dran binden, das ist eine Heidenarbeit, die wir uns da machen.“

So sagt es auch Sabine Zimmermann, die in Sachsen den Landesverband führt. „Der Zeitdruck ist enorm.“ Eine besondere Herausforderung sei das Landtagswahlprogramm: „Daran wird Tag und Nacht geschrieben, und das mit der Nacht ist wörtlich gemeint.“

Zimmermann kommt wie Leye, Wagenknecht und die meisten anderen BSW-Spitzenleute aus der Linken, sie saß für ihre alte Partei während der gesamten Angela-Merkel-Ära im Bundestag. Damit ist sie einer der wenigen Profis im sächsischen Landesverband, der nach ihrer Auskunft gerade einmal 65 Mitglieder hat. 

Der Minimalismus gehört zur Strategie. Denn obwohl es, auf das Bundesgebiet gerechnet, Tausende Interessenten gibt, will die Partei langsam und kontrolliert wachsen. Nur so, heißt es, könne man Querulanten und Extremisten aus der Partei heraushalten – wobei als angeblich unbeabsichtigter Nebeneffekt die Konkurrenz bei den Listenwahlen angenehm übersichtlich bleibt. Auch ohne die Begrenzung wirkt das interne Gerangel um die aussichtsreichen Plätze groß genug. 

Die Thüringer BSW-Vorsitzende Katja Wolf (links) zusammen mit Sahra Wagenknecht bei einer Pressekonferenz in Erfurt.
© Chris Emil Janßen

Doch der Preis der streng kuratierten Aufnahme ist, dass Programmarbeit und Parteiaufbau nur einige Dutzend Menschen erledigen müssen. Gleichzeitig fällt es dem BSW schwer, qualifizierte Parteiangestellte zu finden. Der Fachkräftemangel ist im politischen Betrieb besonders groß.

Im diesjährigen Hauptkampfland Thüringen, wo das BSW gegen den Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und den AfD-Anführer Björn Höcke antritt, gehören sogar nur etwas mehr als 40 Mitglieder der Partei an. Die Überforderung ist offensichtlich. Dennoch gibt sich Katja Wolf optimistisch. Die Eisenacher Oberbürgermeisterin, die mehr als zwei Jahrzehnte PDS und Linke angehörte, gilt für das BSW als Glücksfall. Mit ihrem Image als Realpolitikerin mildert sie den Brutalpopulismus Wagenknechts ab und ergänzt ihn mit kommunalpolitischem Pragmatismus. Dank ihrer Amtserfahrung ist Wolf zudem gesprächsfähig in fast alle Richtungen – und verkörpert trotzdem glaubhaft die Abgrenzung zur AfD. 

Die Noch-Oberbürgermeisterin, die für die Spitzenkandidatur als gesetzt gilt, will denn auch in der Verschiebung des Parteitags kein Problem erkennen. „Der Aufbauprozess ist spannend und anstrengend“, sagt sie, aber es laufe „insgesamt gut“. Dass die Listenwahl etwas später stattfinde, habe vor allem damit zu tun, „dass wir die Programmarbeit ernst nehmen und auch mit den Landesverbänden in Sachsen und Brandenburg abstimmen“.

Alternative zur AfD

Auch Generalsekretär Leye spricht davon, dass die Programmatik miteinander harmonisiert werden müsse. Wenn die Partei im Land 1 etwas völlig anderes als im Land 2 oder im Land 3 wolle,  „wäre das“, sagt Leye, „natürlich hoch unprofessionell.“

Was die Partei motiviert, ist die aktuelle politische Thermik. In den Umfragen wird das BSW in Sachsen und in Brandenburg bei 11 Prozent gemessen. In Thüringen sind es sogar bis zu 17 Prozent. 

Am Ende setzt Wagenknecht sowieso weniger auf Programmatik, sondern auf sich selbst als Person und auf den Protest gegen die Ampel in Berlin. Dabei stilisiert sie sich zur Alternative zur AfD, die gerade ihren skandalumtosten EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah im Wahlkampf verstecken muss. 

„Das BSW gibt den Wählern die Möglichkeit, gegen diese schlechte Politik zu protestieren, ohne eine Partei wählen zu müssen, in der es Neonazis und Rechtsextremisten gibt“, sagte die Vorsitzende der Partei, die ihren Namen trägt, diese Woche bei der Vorstellung der EU-Wahlkampagne. Während sie den Satz vortrug, war hinter Wagenknecht ein überlebensgroßes Porträt von ihr eingeblendet.

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