Seit die USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen sind, hat kaum noch jemand einen Einblick in das Atomprogramm. Ein Fehler, so Iran-Expertin Azadeh Zamirirad im stern. Denn nun sei das Land ein „nuklearer Schwellenstaat“.
Macht der Iran nun offiziell, was er nach Ansicht vieler Experten ohnehin schon lange plant: den Bau einer Atombombe? Etwas verklausuliert – aber deutlich genug – hat sich der Kommandeur für nukleare Sicherheit Irans, Ahmad Hagh Taleb, jetzt geäußert: Eine „Überprüfung der nuklearen Doktrin der Islamischen Republik“ sei „möglich und denkbar“, sagte er der Nachrichtenagentur Tasnim – für den Fall, dass Israel iranische Atomanlagen angreifen werde oder damit drohe.
Hat Israel Isfahan angegriffen?
Möglicherweise ist genau das in der Nacht zum Freitag passiert. Iranischen Staatsmedien zufolge, hat es drei Explosionen in der Region Isfahan, jedoch keine größeren Schäden gegeben. US-Sender berichten, dass es sich um die angekündigte israelische Vergeltungsaktion für den massiven Angriff des Iran gehandelt habe. Abdolrahim Mussawi, der Armeechef des Landes, sagte, die Vorfälle würden untersucht. Sicher ist: In der nordiranischen Stadt Isfahan befindet sich das wichtigste Nuklear-Forschungszentrum des Landes – wo, so viele Beobachter – das Land an der Atombombe arbeitet.
Erklärstück Iran: Warum Isfahan? 12:02
Zwar betonen die Machthaber in Teheran, dass ihr Nuklearprogramm allein der zivilen Nutzung diene, doch erst vor rund einem Jahr waren Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) auf 60 Prozent angereichertes Uran gestoßen, sogar kleine Mengen von auf bis zu 84 Prozent angereichertes Spaltmaterial seien gefunden worden. Uran dieser Konzentration wird aber nicht für Atomkraftwerke, sondern für Atomwaffen benötigt.
„Atomprogramm entzieht sich unserer Kontrolle“
Wie weit das iranische Atomprogramm genau ist, „lässt sich nicht mit absoluter Gewissheit beurteilen, da es keiner weitreichenden internationalen Kontrolle mehr unterliegt“, sagt die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Politik und Wissenschaft dem stern. „Aber sicher ist: Iran ist schon jetzt ein nuklearer Schwellenstaat.“ Genau diesen Status aber, das Land auf dem Sprung zur Atommacht, wurde jahrelang versucht zu verhindern. Nicht nur, aber vor allem von Israel, erklärter Erzfeind des Mullah-Regimes, fürchtet die nukleare Bedrohung.
Analyse Angriff Israel Isfahan 10:25
2015 hatten die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland sowie Russland und China mit dem Iran ein Abkommen abgeschlossen, das eine atomare Bewaffnung des Iran verhindern sollte. Kritiker des Papiers, darunter Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, bemängelten jedoch, dass die Forscher trotz aller Kontrollen durch die IAEO an der Bombe weiterarbeiten würden und das ebenfalls gefährliche Raketenprogramm erst gar nicht Teil der Verträge sei. 2018 dann kündigte der damalige US-Präsident Donald Trump die Vereinbarung einseitig auf. Seitdem hat kaum noch jemand von außen einen Einblick in das Atomprogramm.
Atomabkommen-Ausstieg war „fundamentaler Fehler“
Azadeh Zamirirad sagt, der Rückzug der Amerikaner aus dem Atomabkommen sei „ein fundamentaler politischer und strategischer Fehler“ gewesen. „Wir haben jetzt einen Iran, dessen Atomprogramm weder technisch limitiert ist noch unter internationaler Kontrolle steht – zwei Dinge, die die Atomvereinbarung damals sichergestellt hatte.“ Im vergangenen Sommer aber gab es wieder zarte Anbahnungsversuche auf diplomatischer Ebene. Doch der Angriff der vom Iran unterstützten palästinensischen Hamas auf Israel und der folgende Vergeltungskrieg im Gazastreifen bereitete der Annäherung ein Ende.
Als Ende des Jahres israelische Soldaten die Kämpfer des iranischen Verbündeten in zermürbendem Straßenkampf zu Leibe rückten, waren aus den Wiener Büros der Atomkontrolleure besorgte Stimmen zu hören: Die nuklearen Fortschritte Irans würden deutlich zunehmen, die Entwicklung sei heikel und die Zeit dränge, sagte der Chef der Behörde, Rafael Grossi. Zwei Dinge würden ihm Sorgen bereiten: Der mangelnde Kooperationswille des Teheraner Regimes, sowie das fehlende Bewusstsein des Westens für das, was in den Isfahaner Zentrifugen und Reaktoren vor sich gehe.
Bis zur Bombe kann es noch dauern
Auch wenn der Iran nachweislich über angereichertes Material verfügt, rätseln die Experten darüber, wie schnell das Militär in der Lage ist, daraus eine echte Waffe zu bauen. „Vom Spaltmaterial bis zur Bombe braucht es eine Weile“, sagt Zamirirad, „Schätzungen reichen hier von sechs bis 18 Monaten“. Sorgen bereitet der Iran-Kennerin aber nicht nur, dass das Land mittlerweile über technisches Wissen verfügt, das ihm nicht mehr zu nehmen sei.
Problematisch könne auch die ineinander verhakte Gesamtsituation im Nahen Osten werden: „Mit einer weiteren Eskalation in der Region könnte Irans Abschreckungspotenzial und das seiner Verbündeten deutlich abnehmen. Damit steigt die Gefahr, dass Teheran versuchen wird, mit eigenen Atombomben dieses verlorengegangene Abschreckungspotenzial zu kompensieren“, so Azadeh Zamirirad.
Quellen: DPA, AFP, Reuters