Julian Nagelsmann bleibt bis 2026 Bundestrainer. Das ist vor allem ein Verdienst von Sportdirektor Völler, der dem jungen Coach jene Wärme gibt, die er einst in München vermisst hatte.
Es ist erst vier Wochen her, da saß Julian Nagelsmann in einem Besprechungsraum des DFB in der Frankfurter Schwarzwaldstraße und sagte Sätze, die man selten hört in der Fußballbranche. Nämlich, dass er nicht wisse, wie es für ihn beruflich weitergehe, dass er für die Zeit nach der Europameisterschaft noch kein Angebot vorliegen habe, „keinen Zettel“, wie er das nannte.
Verstörende Worte waren das, denn der Fußball funktioniert nach anderen Gesetzen. Wohlplatzierte Gerüchte, Andeutungen und Selbstverknappung – das sind die Mittel, mit denen die Akteure gemeinhin ihren Marktwert zu steigern versuchen. Aber dass ein amtierender deutscher Bundestrainer wie Nagelsmann sagt: Ich hab nix, mich will im Moment keiner – das war in seiner Offenheit schon eine kleine Sensation.
Die Niederlagen im November – schon vergessen
Als Nagelsmann diese Worte sprach, ahnte er wohl kaum, dass Angebote und Zettel nur so niederregnen würden auf ihn wenige Tage später. Dass er, der doch gerade erst öffentlich ein Stellengesuch aufgegeben hatte, würde wählen können zwischen lauter attraktiven Arbeitgebern.
Zwei Spiele im März haben die Welt des Julian Nagelsmann völlig verändert. Es war das 2:0 der Deutschen gegen den WM-Zweiten Frankreich und das 2:1 gegen die Niederlande, eine der spielstärksten Mannschaften Europas. Seit diesen Partien ist Nagelsmann in der Wahrnehmung der Branche plötzlich ein anderer. Vergessen ist der düstere November, in dem das DFB-Team unter seiner Anleitung gegen die Türkei und Österreich verlor. Der Fußball verzeiht schnell.
EIL Nagelsmann bleibt Bundestrainer 11:02
An diesem Freitag hat der DFB verkündet, Nagelsmanns Vertrag über die Europameisterschaft hinaus bis zum Sommer 2026 auszudehnen. Nagelsmann hält jetzt also jenen Zettel in Händen, den er sich noch im März so sehr gewünscht hatte. Doch nicht nur dem Trainer ist zu dem Papier zu gratulieren, sondern vor allem dem DFB. Nagelsmann in diesen Tagen für sich zu gewinnen, da er neben Xabi Alonso zu einem der begehrtesten Fußtrainer des Kontinents aufgestiegen ist – das darf schon als meisterhafte Leistung bezeichnet werden.
Und doch erzählt die Personalie Nagelsmann auch einiges über den Wankelmut des deutschen Fußballs. Anfang des Jahres hieß es noch, der DFB würde zwar gern die Zusammenarbeit mit Nagelsmann fortsetzen, aber noch die EM abwarten wollen. Man hatte schlechte Erfahrungen damit gemacht, Cheftrainern vor großen Turnieren neue Arbeitspapiere zu geben. Joachim Löw (WM 2018) und Frauen-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (WM 2023) scheiterten jeweils früh, nachdem der DFB mit ihnen verlängert hatte. Von Voss-Tecklenburg trennte sich der DFB schließlich und musste sie teuer abfinden. Ein solches Szenario wollte der finanziell klamme Verband im Fall Nagelsmann unbedingt vermeiden.
Sehnsucht nach Sicherheit
Doch am Plan, erst nach der EM mit Nagelsmann zu sprechen, konnte der DFB nicht festhalten. Überall, wo es einen Trainerstuhl im europäischen Spitzenfußball zu besetzen gilt, wurde Nagelsmann als Kandidat gehandelt in den vergangenen Wochen. Sogar beim FC Bayern, der ihn erst im März 2023 entlassen hatte.
Der DFB hat nun seine Prinzipien über Bord geworfen und Nagelsmann schon jetzt einen mittelfristigen Vertrag gegeben. Eine kluge Entscheidung, gerade auch mit Blick auf die EM im Sommer, denn das gesamte Turnier wäre belastet worden mit der Frage nach der Zukunft des Trainers. Zudem wäre jede von Nagelsmanns Personalentscheidungen als Politikum gelesen worden: Lässt er Leon Goretzka zu Hause, weil er ihn auch als künftiger Bayern-Trainer nicht mehr braucht? Hat er Ilkay Gündogan zum Kapitän der Nationalmannschaft gemacht, weil er, Nagelsmann, bereits beim FC Barcelona im Wort steht, und Gündogan stärken will für die anschließende gemeinsame Zeit in Katalonien?
All diese Diskussionen hat der DFB nun abgeräumt. Nagelsmann geht nicht als Bundestrainer auf Abruf in die EM, sondern als Trainer mit Perspektive.
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Die Vertragsverlängerung mit Nagelsmann ist der erste große Erfolg von DFB-Sportdirektor Rudi Völler und Geschäftsführer Andreas Rettig, die nach der missratenen WM 2022 übernommen hatten. Vor allem Völlers Anteil am Coup ist nicht zu unterschätzen. Nagelsmann und er haben beim DFB schnell ein enges, vertrauensvolles Verhältnis zueinander entwickelt. Völler blickt mit väterlicher Nachsicht auf Nagelsmann; er legte den Arm um ihn, als die Partien gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) daneben gingen, weil Nagelsmann wilde Experimente gewagt hatte.
Völler gibt Nagelsmann jene Wärme, die dieser einst beim FC Bayern vermisst hatte. Auch deshalb, das darf mit einigem Recht behauptet werden, hat sich Nagelsmann für den DFB und gegen eine Rückkehr nach München entschieden. Nagelsmann, der noch im November strauchelte, braucht Sicherheit. Und der DFB, der vor der Heim-EM steht, dem wichtigsten Turnier seit Jahren, ebenfalls.