Die Berlinale soll mit dem für „Oppenheimer“ oscarnominierten Cilian Murphy auf dem Roten Teppich starten und Martin Scorsese kommt auch. Doch ob es den Bedeutungsverlust noch abwenden kann, wird sich erst später zeigen.
Fast sieht es aus wie immer vor dem Festivalpalast, der eigentlich ein zeitweise leerstehendes ehemaliges Musicaltheater ist, das davon lebt, dass es sich Leute wie Dieter Bohlen für ihre Geburtstagsfeier mieten können. Jetzt aber laufen Arbeiter durch den Berliner Nieselregen am Potsdamer Platz und errichten eine Überdachung für den roten Teppich der Berlinale, damit die Stars nicht nass werden, falls denn in diesem Jahr viele kommen. Aber die diesbezüglichen Ankündigungen sehen gar nicht so schlecht aus. Bereits heute Abend soll zur Eröffnung des Festivals der für „Oppenheimer“ oscarnominierte Star Cilian Murphy unter dem Regenschutz durchmarschieren und den irischen Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ präsentieren. Matt Damon, der das Ganze koproduziert hat, ist auch angekündigt. Das fängt doch gar nicht schlecht an.
Trotz der Aussichten für einen standesgemäßen Beginn sind die Perspektiven für das wichtigste Branchenereignis in Deutschland eher düster. Seit Jahren schon müht sich die Berlinale mit Profilschwäche, Budgetkürzungen, Sponsorenabkehr und offenen Führungsfragen herum. Nur das Publikum bleibt überraschend treu, das ist und bleibt ein großes Asset. Als Großstadtfestival mit vielen begeisterten Kinogängern kann die Berlinale wenigstens punkten in einer Zeit, in der das Kino Probleme hat und der Streamingboom vorerst vorbei ist, der die Filmbranche für einige Jahre euphorisiert hatte. Trotz der Treue des Publikums ist unübersehbar, dass die Konkurrenten in Cannes und Venedig den Abstand zu Berlin vergrößert haben.
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Ein Hinweis darauf waren die Jubelmeldungen, die die Festivals aus Frankreich und Italien Ende Januar geschickt haben, als in Los Angeles die Oscar-Nominierungen bekanntgegeben wurden. Cannes meldete, dass neun Filme aus der offiziellen Auswahl des Festival es in die Liste für den Hollywood-Preis geschafft haben und dass diese 26 Nominierungen eingesammelt haben – darunter sind die zwei Filme mit Sandra Hüller: Justine Triets „Anatomie eines Falls“, der die Goldene Palme gewann und das Auschwitz-Drama „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer. Venedig meldete ebenso stolz sieben Filme und 24 Nominierungen – vor allem Yorgos Lanthimos‘ furiose Frankenstein-Farce „Poor Things“, Gewinnerfilm des Goldenen Löwen mit Emma Stone in der Hauptrolle. Selbst wenn die genannten Titel keinen Oscar holen sollten, sie markieren zweifellos die herausragenden Filme des Jahres und belegen die Rolle der beiden Mittelmeerfestival als Entdecker und Setzer von Tends.
Die Berlinale schickte hingegen keine Pressemitteilung zu der Oscar-Liste. Sie hatte im vergangenen ohnehin nur einen Film daraus als Premiere, „Das Lehrerzimmer“, den deutschen Kandidaten für den Oscar in der Kategorie „bester ausländischer Film“. Und der Berlinale-Sieger von 2023, ein französischer Dokumentarfilm über eine Tagesklinik in Paris mit dem Titel „Sur L’Adamant“, hat im Filmjahr wenig Erinnerungen hinterlassen. Auch das diesjährige Wettbewerbsprogamm dokumentiert, dass die Berlinale an Relevanz eingebüßt hat. Große Namen, lange erwartete Filme fehlen in der Liste. Das liegt zum Teil am unglücklichen Termin des deutschen Festivals im Jahreskalender. Und selbst für die anderen Festivalchefs ist es nicht einfacher geworden, solche Ansprüche zu erfüllen. Berlin aber sah in den letzten Jahren oft so aus, als hätten sie hier sogar die Ambition aufgegeben, das zu tun.
Immerhin, das könnte sich womöglich ändern. Im Dezember gab Kulturstaatsministerin Claudia Roth als letztlich Verantwortliche für das Festival eine überraschende Personalie bekannt, die ein Hoffnungszeichen sein könnte. Ab 2025 wird demnach Tricia Tuttle die Berlinale leiten, gebürtige Amerikanerin und langjährige Leiterin des London Film Festivals. Die künftige Chefin genießt einen guten Ruf in der Branche und betonte bei ihrer Vorstellung das Potenzial der Berlinale. Aber sie fängt eben erst 2025 an.
César-Nominierungen für Sandra Hüller und Wim Wenders7.32
Glücklose Festivalleitung
Dieses Jahr ist noch das glücklose Duo aus Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek verantwortlich, das fünf Jahre amtierte, viel Pech hatte (so verhinderte die Coronapandemie zwei Festivalausgaben weitgehend), aber das auch nicht vermochte, wirklich Impulse zu geben. Die Bundespolitik, also zuletzt Staatsministerin Roth, hat zudem lange wenig getan, um die Abwärtsspirale zu stoppen. Dabei ist die Berlinale das einzige international ausstrahlende Kulturereignis in Deutschland (neben der Documenta) und es macht es nicht besser, dass aktuell beide in der Krise sind und die Bundespolitik sich dazu nur schwerfällig verhalten hat.
Bei der Berlinale kam dazu, dass die Regierung auch noch das Geld für die Berlinale kürzte in einer Zeit, in der diese ohnehin unter Kostensteigerungen leidet. Weniger Geld, weniger Sponsoren, weniger Glanz, weniger Anziehungskraft, so ein Branchentreffpunkt ist rasch heruntergewirtschaftet. Vielleicht aber gelingt es der neuen Chefin, diese Entwicklung umzukehren, zumal Roth auch wieder mehr Geld zugesagt hat.
Aber es wird ein langer Weg und das Abschiedsfestival unter Chatrian und Rissenbeek bleibt ein Fest im Übergang, das im Programm noch einmal die ganze Unentschlossenheit der vergangenen Jahre zu spiegeln scheint. Chatrian las bei der Präsentation dieses Programms seine Filmliste und deren Inhalte vor, als handele es sich um ein Regierungskommuniqué. Nicht so leicht, Vorfreude zu entwickeln, wenn schon die Macher keine verströmen. Dabei ist die Berlinale nicht nur kulturell von Bedeutung, sie begleitet ein großer Filmmarkt, dem ebenso ein paar Erweckungsanstöße gut täten und zahllose Branchenevents.
Auf dem roten Teppich und wenn die Filme dann laufen, wenn sie auch überzeugen zumal, lässt sich die Tristesse vielleicht vergessen. Die Filmkunst und die Filmbranche brauchen zu dringend diese Gelegenheit, auch einmal jenseits ihrer Sphären bemerkt zu werden, als dass sie die Tage von Berlin ungenutzt ließen. Und Chatrian hat immerhin für den kommenden Dienstag Martin Scorsese nach Berlin geholt, um diesem einen Goldenen Ehrenbären zu überreichen, das Festival zeigt dann dessen Klassiker „Departed – Unter Feinden“. Scorsese war der prominenteste Name auf einer Liste von Filmschaffenden, die sich gegen den Wechsel an der Berlinale-Spitze (und damit für Chatrians Verbleib) ausgesprochen hatten, als im vergangenen Jahr klar wurde, dass Roth die Festivalleitung austauschen wollte. Immerhin, auch die scheidenden Berlinale-Chefs wollen sich nicht ohne Glanzpunkt verabschieden.