Die USA im Kampf gegen sich selbst: Regisseur Alex Garland lässt in „Civil War“ einen Bürgerkrieg ausbrechen. Ist es schlau, den Film in einer derart angespannten Zeit ins Kino zu bringen?
Manche Künstler beschäftigen sich am liebsten mit sich selbst – Musiker und Schriftsteller etwa. Andere Künstler sind am großen Ganzen interessiert, der Zukunft der Menschheit möglicherweise und ihrem Wohlergehen.
Kaum ein anderer Autor und Filmemacher hat zuletzt so treffsicher und intellektuell brillant ins Morgenland geblickt wie Alex Garland. Der „Hollywood Reporter“ adelte den 53-jährigen Briten gleich zum „Regisseur der großen Ideen“. Bereits sein erster Roman – der Weltbestseller „Der Strand“ von 1996, später verfilmt mit Leonardo DiCaprio – beschäftigte sich mit den zerstörerischen Folgen des Massentourismus. In Science-Fiction-Werken wie „Ex Machina“ und der Fernsehserie „Devs“ ging es ihm um die Gefahren künstlicher Intelligenz: Warum es vielleicht keine so gute Idee ist, Technologieunternehmen zu viel Macht zu überlassen. „Wir hoffen immer, dass diese Genies großartige Entscheidungen treffen“, sagt Garland im stern-Interview. „Dabei handeln sie in Wirklichkeit vielleicht nur eigennützig als Unternehmer.“
Ein Prophet: Garland beim Dreh von „Civil War“
© Murray Close / Miller Avenue Productions LLC
Um die Folgen von zu viel Macht dreht sich auch „Civil War“. Für seinen bislang teuersten Film, das Budget soll bei rund 50 Millionen Dollar liegen, wagt Garland eine politische Vision, die sich beklemmend nah an der Wirklichkeit einhakt.
Die USA ziehen in den Krieg, ausnahmsweise nicht gegen Erzfeinde wie den Iran oder Nordkorea, sondern gegen sich selbst. Als der Präsident nach zwei Amtszeiten nicht abtreten will, die Verfassung ändert und das FBI abschafft, sagen sich 19 Bundesstaaten los von den ehemals Vereinigten Staaten, darunter Florida. Selbst die üblichen politischen Grabenkämpfe werden überwunden. Während der faschistische Führer Panzer und Düsenjäger auf seine Bürger loslässt, gründen Texas und Kalifornien eine Allianz.
Mitten in den Kriegswirren versucht derweil eine Gruppe von Fotojournalisten (gespielt von Kirsten Dunst, Wagner Moura und der gerade als „Priscilla“ bekannt gewordenen Newcomerin Cailee Spaeny), nach Washington, D.C. zu gelangen, wo sie dem herrschsüchtigen Präsidenten ein letztes Interview abringen wollen. Es wäre eine Bombenstory.
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Den Namen Trump nimmt Garland nicht in den Mund
„Ich erzähle von etwas, das noch nicht passiert ist und hoffentlich nie passieren wird“, sagt Garland im Interview, seine Lesebrille wie beim Dreh die ganze Zeit nach oben geschoben. Die Quelle der Angst dahinter sei jedoch keine Fiktion. „Sie existiert. Nicht nur bei mir, sondern bei vielen Menschen“, sagt er. Als Beispiel nennt er seine eigene Heimat Großbritannien. „Mein Land wurde unglaublich gespalten von einer populistischen Politik von schlimmen Typen wie Boris Johnson.“ Populistische Politik führe über kurz oder lang zum Extremismus und einer Erosion der Gewaltenteilung. Das geschehe gerade in Europa und im Nahen Osten, aber nur die USA seien so groß und einflussreich, dass die Auswirkungen kolossal wären. „Es erscheint für mich als Filmemacher also sinnvoll, dorthin zu schauen“, sagt Garland.
Erdacht und geschrieben hat er die Geschichte bereits 2020. Wegen der Pandemie und des Streiks der Schauspieler bricht sein Bürgerkrieg erst jetzt in den Kinos aus, wenige Monate vor der US-Wahl. Ins Rennen geht ein Republikaner, der seine Anhänger nach der letzten Niederlage mit Verschwörungstheorien fütterte und zum Sturm aufs Kapitol anstachelte.
Den Namen Trump nimmt Garland während des gesamten Gesprächs nicht in den Mund. Die Ähnlichkeiten sind einfach zu naheliegend; als Künstler zündet er lieber inhaltliche Nebelkerzen und regt das Denken der Zuschauer an. „Das aktuelle Geschehen in den USA konnte ich damals gar nicht vorhersehen“, sagt er.
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Eine Frage, die man trotzdem stellen muss: Ist es schlau, den Film in einer derart angespannten Zeit ins Kino zu bringen? Kritiker warfen ihm vor, mit seiner Handlung rechten Gruppen eine Vorlage zu liefern für einen Gang zu den Waffen. „Darauf weiß ich keine Antwort“, sagt Garland. Genauso riskant findet er es jedoch, sich selbst zum Schweigen zu verdonnern. „Sollte man sein Verhalten, seine Denkprozesse auf der Grundlage der Reaktion von Extremisten ändern? Ich denke, nicht“.
Die Helden von „Civil War“ sind nicht Soldaten, sondern Journalisten. Garlands Vater Nicholas hat als Zeitungskarikaturist gearbeitet, seit seiner Kindheit bewundert Garland Auslandskorrespondenten. Warum er selbst keiner geworden ist? „Ich fand das Schreiben von wahren Geschichten viel schwieriger als Fiktion“, sagt er.