Weil ihm die Antwort „Bochum“ nicht reichte, fragte ein Polizist bei einer Kontrolle in Berlin noch einmal nach. Das ist Rassismus, entschied jetzt ein Gericht.
Die Frage eines Polizeibeamten nach der „wirklichen“ Herkunft ist diskriminierend. Das hat das Amtsgericht Berlin-Mitte am Montag nach einem dreijährigen Prozess entschieden. Zur Entschädigung soll das Land Berlin nun 750 Euro an den Kläger zahlen, schreibt das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADN). Das Gericht bestätigt das Urteil. Zum ersten Mal wurde die Berliner Polizei nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) verurteilt. Innerhalb eines Monats kann die Behörde in Berufung gehen.
Geklagt hatte der Student Syed N. Er war im Sommer 2020 mit einem Bekannten auf dem Fahrrad unterwegs, der Berliner „Tagesspiegel“ dokumentierte den Fall. Als beide Männer bei Grün eine Ampel überquerten, habe die Polizei sie angehalten. Der Polizei zufolge hätte N. während der Fahrt telefoniert. N. und sein Bekannter bestritten das. Bei der Identitätskontrolle habe N. auf die Frage nach seiner Herkunft mit „Bochum“ geantwortet. Daraufhin habe einer der Polizeibeamten ihn nachgeäfft und gefragt, woher er denn „eigentlich“ oder „wirklich“ herkomme.
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N. erkannte das als rassistische Zuschreibung. Er reichte zunächst Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Die sei, dem „Tagesspiegel“ zufolge, abgelehnt worden, weil N. „aufbrausend“ aufgetreten sei. Er habe „wegen seiner Emotionalität“ die Situation falsch eingeschätzt, hieß es in einem Schreiben. Erst nachdem sich die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle der Justizverwaltung einschaltete, lenkte die Polizei ein. In einer schriftlichen Entschuldigung hieß es Berichten zufolge, die Kontrolle habe „diskriminierend“ und „belästigend“ gewirkt.
Gesetz schützt vor Rassismus durch Behörden
Diese Entschuldigung habe die Richterin im Verfahren nun als nicht ausreichend bezeichnet und die Polizei zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt, schreibt das ADN. Im Vorfeld hatte N. eine außergerichtliche Entschädigung in Höhe von 100 Euro abgelehnt. Auch die Polizei habe mehrere Vergleichsangebote ausgeschlagen.
Das LADG war 2020 nach langer Debatte in Kraft getreten, als bundesweit erstes seiner Art. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte es als „im Grunde ein Wahnsinn“ bezeichnet. Das LADG sollte Diskriminierung durch staatliche Stellen bekämpfen. Wer in Berlin von öffentlichen Stellen diskriminiert wird, kann klagen – und hat möglicherweise Anspruch auf eine Entschädigung. Es greift bei der Ticketkontrolle in der U-Bahn wie beim Gang auf die Ausländerbehörde oder in Schulen.
Im Jahr 2023 führte das Gesetz zu einer Rekordzahl von 1359 Fällen. Am häufigsten sei es um rassistische Diskriminierung gegangen. Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, habe bei vielen Beschwerden keine Diskriminierung festgestellt werden können. In einigen Verfahren wurden allerdings hohe Summen fällig. Vor dem Arbeitsgericht bekam ein Mitarbeiter beispielsweise 11.785 Euro zugesprochen – wegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität.
Quellen:Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin, „Tagesspiegel„, „Welt“.