Im Fall der Ahrflut von 2021 stellt die Staatsanwaltschaft Koblenz die Ermittlungen gegen den damaligen Landrat Jürgen Pföhler nun ein. Das ist nicht weniger als eine Bankrotterklärung der Justiz.
Nach Katastrophen stellt sich schnell die Frage nach Verantwortung und Schuld. Das war bei dem schweren Unglück bei einer Flugshow 1988 im rheinland-pfälzischen Ramstein so und natürlich auch nach der verhängnisvollen Loveparade 2010 in Duisburg. Und das ist nun an der Ahr nicht anders: Seit beinahe drei Jahren quält die Menschen dort, ob jemand zur Rechenschaft gezogen wird für 135 Opfer, die in den Wassermassen am Abend des 14. Juli 2021 den Tod fanden.
Denn die sogenannte Jahrtausendflut war zwar gewaltig, erreichte viele Orte aber erst mit erheblicher Verzögerung. Über neun Stunden schob sich das Wasser durch das enge Tal, riss Autos, Häuser, Brücken mit. Neun Stunden sind eine verdammt lange Zeit. Der Mensch gelangt schneller zur Weltraumstation ISS als die Wassermassen benötigten, um die Ahrmündung bei Sinzig in den Rhein zu erreichen. Dennoch ertranken in dem Städtchen, am Ende der Welle also, noch spät in der Nacht zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung. Man hätte sie rechtzeitig warnen und evakuieren müssen. Wie so viele Bewohner auf der gut 40 Kilometer langen Strecke der Verwüstung.
Klarer kann man den Totalausfall kaum benennen
Das kollektive Behördenversagen in jener Nacht ist also augenfällig. Doch wie schon in Ramstein und Duisburg, soll das Drama auch hier ohne strafrechtliche Konsequenz bleiben. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen den damaligen Landrat Jürgen Pföhler nun ein. Pföhler hatte sich – nach einem Fototermin mit dem Innenminister des Landes – am Abend vornehmlich um seine eigene Sicherheit und die seiner unmittelbaren Nachbarn gekümmert. Es gebe „so gut wie keine Anzeichen, dass der Landrat proaktiv daran beteiligt war, die Folgen der Flut abzuwenden“, hatte ein Polizeibeamter vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Mainz ausgesagt, der sich ebenfalls mit der Ahrflut befasste. Klarer kann man den Totalausfall kaum benennen. Dennoch: Die Staatsanwaltschaft sieht Unvermögen und Eigennutz nicht als strafbar an.
Gegen den Landrat wurde wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen ermittelt, und es stimmt: Der Vorwurf ist juristisch schwer zu greifen. Denn eine Anklage muss konkret nachzeichnen, dass durch beherztes Handeln mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Leben hätte gerettet werden können. Dass frühere Warnungen und besserer Katastrophenschutz die Chance auf Rettung signifikant erhört hätten, räumt die Staatsabnwaltschaft ein. Aber: „Mit Wahrscheinlichkeiten können wir kein Strafrecht machen.“ Opferfamilien bezweifeln, dass ein solcher Nachweis tatsächlich nicht zu führen war.
Das Regierungspersonal irrte tatenlos durch die Horrornacht
Von den Ermittlungen geht so ein verheerendes Signal aus. Denn die Staatsanwaltschaft in Koblenz hatte sich verrannt. Sie schoss sich von Beginn an auf nur zwei Personen ein, statt das Geschehen wirklich aufzuklären – neben dem Landrat noch auf einen Einsatzleiter im Kreisamt. Andere wurden derweil geschont. Einen Landesinnenminister vernahm die Polizei nur äußerst sanft, als Zeuge wohlgemerkt. Durchsuchungen in Landesbehörden unterblieben. Dabei war auch das gesamte Regierungspersonal tatenlos durch diese Horrornacht geirrt. Trotz vieler Warnungen. Und trotz Hubschrauber-Videos, die hilfesuchenden Menschen in ihren überschwemmten Häusern zeigen und die auch das Kabinett erreichten. Landesmutter Malu Dreyer (SPD) kann bis heute nicht erklären, warum sie alarmierende Nachrichten erst am nächsten Morgen wahrnahm. Gäbe es ein Gerichtsverfahren, könnte sie zumindest als Zeugin vorgeladen werden.
Im Fall der Loveparade wurde der Prozess nach zehn Jahren ohne Schuldspruch eingestellt, aber die Zeugenvernehmungen brachten immerhin Aufklärung über die verhängnisvollen Abläufe. In einem Rechtsstaat ist das eine gewichtige Erkenntnis und Funktion. Allein deshalb wäre ein Gerichtsverfahren auch an der Ahr dringend notwendig. Sonst bleibt hier das ungute Gefühl zurück, Dinge würden gezielt unter der Decke gehalten.