Wahrzeichen Kopenhagens: Die Börse brannte schon. Sie rannten trotzdem hinein – und retteten so Kunstschätze vor dem Inferno

Die historische Börse von Kopenhagen ist zu großen Teilen abgebrannt. Ein Schock für viele Dänen, hat die „Børsen“ doch eine kulturhistorische Bedeutung. Durch das mutige Eingreifen von Passanten und Mitarbeitern konnten wenigstens wertvolle Gemälde gerettet werden.

Wären sie nicht gewesen, wären viele wertvolle Gemälde für immer verloren gewesen. Die historische Kopenhagener Börse stand am Dienstagmorgen bereits lichterloh in Flammen, da eilten ein paar Passanten hinein. Sie retteten etliche alte Gemälde – und bewahrten damit auch ein Stück dänische Geschichte, dänische Identität vor der Zerstörung.

Kurz nach 7.30 Uhr war der Alarm bei den Rettungsdiensten eingegangen: Die „Børsen“ brennt. Ein Großaufgebot von Feuerwehr und Polizei rückte an. Kopenhagener, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und täglich an dem Wahrzeichen vorbeikommen, hielten an und sahen ungläubig zu, wie ein Monument der Nation von dichtem Rauch umhüllt wurde. Dänemark erlebte seinen „Notre-Dame-Moment“.Die „Børsen“ in Kopenhagen: Ein Stück dänisches Kulturerbe in Flammen 12.35

Passanten laufen in die „Børsen“ und werden zu Kunstrettern

Die „Børsen“ wurde im 17. Jahrhundert auf Veranlassung des damaligen Königs Christian IV. erbaut. Er wollte Kopenhagen mit der Warenbörse zu einem internationalen Handelszentrum machen. Das Gebäude, ein Beispiel der niederländischen Renaissance, wurde zum Treffpunkt des Großbürgertums. Man kam hierher, um zu sehen und gesehen zu werden. Um 1800 endete die Blütezeit als Warenbörse, in den 1970er-Jahren zog auch die Kopenhagener Fondsbörse aus. Heute beherbergt das fast 400 Jahre alte Gebäude die dänische Handelskammer – und einen großen Kunstschatz, der mit einem Male dem Inferno zum Opfer zu fallen drohte.

Während die Feuerwehr mit den Löscharbeiten begann und Passanten schockiert die Zerstörungswut des Feuers verfolgten, fassten sich andere Zuschauer ein Herz. Sie eilten zusammen mit Einsatzkräften in die „Børsen“. Eine kühne, eine irrsinnige Entscheidung? Bilder des dänischen Rundfunks DR zeigten, wie Männer und Frauen mit Rucksäcken und Handtaschen unter dem Arm in das Gebäude hasteten, die Polizei hatte den Brandort da bereits abgesperrt. Die mutigen Retter sollten wenig später mit mehreren Gemälden wieder herauskommen, manche davon so mächtig und schwer, dass sie von mehreren Personen getragen werden mussten. Historische Gemälde werden aus dem brennenden Gebäude getragen
© Ida Marie Odgaard/Ritzau Scanpix Foto/AP

Einer der Menschen, die zur „Børsen“ eilten, ist Klavs Lockwood. Der Zeitung „B.T.“ erzählt er, er sei zum Brandort gelaufen, weil sein Auto in der Nähe geparkt war. „Plötzlich rief mir jemand zu: ‚Komm und hilf‘. Ich rannte dorthin und zur Børsen, wo wir einige der Gemälde retten mussten.“ Nachdem er eines der Bilder in das benachbarte Schloss Christiansborg gebracht hatte, wollte er zurückkehren, doch da war die „Børsen“ bereits von den Rettungskräften abgeriegelt worden. Wo sein Wagen jetzt steht, wisse er nicht. „Mein Auto ist eine Bagatelle.“Die „Børsen“ in Kopenhagen: Ein Stück dänisches Kulturerbe in Flammen 12.35

Vieles konnte gerettet werden – „aber nicht alles“

Zu den geretteten Kunstschätzen gehört unter anderem das Gemälde „Von der Kopenhagener Börse“ von P.S. Krøyer aus dem Jahr 1895. Es zeigt eine Vielzahl der damals wichtigsten Börsenleute im Saal, darunter den Geschäftsmann C.F. Tietgen.

Zu den Kopenhagener Kunstrettern wiederum gehört auch der Chef der dänischen Handelskammer selbst, Brian Mikkelsen. „Heute Morgen habe ich geweint“, sagte er der Zeitung „Berlingske“ am Dienstag. Es sei wohl der tragischste Tag seines Lebens. Brian Mikkelsen (l.) packt selbst mit an
© Ida Marie Odgaard / Ritzau Scanpix

Nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, setzte sich Mikkelsen auf den Steinboden, um in einem Ringordner voller Dokumente zu blättern. Er versuchte, die wichtigsten Werke zu identifizieren – auch für erfahrene Kunstkenner keine leichte Aufgabe.

Dann griff der Direktor der Handelskammer selbst ein, mit Brecheisen und im Verbund mit anderen. „Wir stürmten hinein und nahmen einige der wichtigsten Dinge mit, die für die Geschichte wichtig sind. Von Christian IV. und den Krøyer-Gemälden.“ Vieles konnte gerettet werden, „sehr viel“ sogar – „aber nicht alles“.STERN PAID 17_23 Norte Dame Paris Die Wiedergeburt Fotostrecke 11.48

Rettungsplan für Kunstschätze in der historischen Börse von Kopenhagen

Zu den Kunstgegenständen, die nicht ins Freie gebracht werden konnten, gehört eine große Statue von Christian IV. – dem dänischen König, der die „Børsen“ in Auftrag gegeben hatte, schreibt „Berlingske“. Auf viele Dänen musste es so wirken, als sei der Kapitän mit seinem Schiff untergegangen.

Noch am Dienstag hatten die herbeigeeilten Experten des Dänischen Nationalmuseums Mühe, sich einen genauen Überblick zu verschaffen, was von Rauch und Flammen verschont geblieben ist – und was für immer verloren sein dürfte. Dass überhaupt vieles gerettet werden konnte, ist nicht nur dem Eingreifen von Passanten zu verdanken, sondern auch einem eigens für solche Fälle ausgearbeiteten Rettungsplan.

„Für Gebäude mit wertvollem Kulturerbe gibt es einen Wertrettungsplan, bei dem die Evakuierung nach dem höchsten Wert erfolgt“, erklärte Camilla Bastholm vom Nationalmuseum der „Berlingske“. „Die Leute sind zuerst ins Gebäude gegangen und haben mitgenommen, was sie konnten.“ Das Werk „Von der Kopenhagener Börse“ stand nach ihren Worten ganz oben auf dem Rettungsplan.

„Ein kleines Licht in der Dunkelheit“

Mehrere hundert Kunstwerke – darunter Spiegel, Leuchter, Skulpturen und Uhren – seien am Dienstagnachmittag in Sicherheit gebracht worden, so Bastholm auf einer Pressekonferenz. Ihr Team werde versuchen, die durch Wasser und Rauch beschädigten Werke zu restaurieren. 

Seit Dienstagnachmittag ist der Brand unter Kontrolle. Die Feuerwehr rechnet allerdings damit, dass die Löscharbeiten noch mindestens einen Tag dauern werden. Auch die Brandursache muss noch ermittelt werden. Anlässlich der bevorstehenden 400-Jahr-Feier fanden Restaurierungsarbeiten im „Børsen“ statt, die eine Rolle gespielt haben könnten.

Eine gute Nachricht gab es am Mittwoch doch noch: Obwohl der ikonische Spiralturm, die sogenannte Drachenspitze, während des Infernos eingestürzt war, konnte die unbeschädigte Spitze an Brian Mikkelsen übergeben werden. Eigentlich sollten die vier Drachen, so die Erzählung, die „Børsen“ vor Feuer schützen. 400 Jahre lang ist ihnen das gelungen. Bis gestern.

„Ein kleines Licht in der Dunkelheit“, schrieb Mikkelsen über die gerettete Spitze auf der Plattform X. „Das gibt mir einen Hoffnungsschimmer. Denn sie wird unseren schönen Arbeitsplatz und Kopenhagen wieder schmücken.“

Quellen: Danmarks Radio, „Berlingske“, „Politiken“, „B.T.“, TV2, Nachrichtenagentur DPA

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