Forschenden ist es gelungen, Proteine im Blut zu identifizieren, die eine Demenz sogar bis zu 15 Jahre vor der klinischen Diagnose voraussagen können. Die Hoffnung: Frühere Diagnosen, die eine präventive Behandlung ermöglichen.
Millionen Menschen leiden weltweit an Demenz. Heilbar ist die Krankheit bislang nicht. Eine Behandlung kann jedoch die damit verbundenen Beschwerden lindern und die Lebensqualität der Erkrankten verbessern. Entscheidend ist dabei eine frühzeitige Diagnose. Diese wird jedoch in der Regel erst nach dem Auftreten der ersten Symptome gestellt. Das könnte sich künftig womöglich ändern. Forschenden ist es nun gelungen, Proteine im Blut zu identifizieren, die eine Demenz sogar bis zu 15 Jahre vor der klinischen Diagnose voraussagen können.
STERN PAID Kolumne Demenzstation 1215
Für ihre Studie, die im Fachmagazin „Nature Aging“ erschienen ist, untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of Warwick und der Fudan University in Shanghai das Blut von mehr als 50.000 gesunden Erwachsenen. Die Proben wurden 2006 und 2010 gesammelt. In den folgenden Jahren erkrankten insgesamt 1417 der Teilnehmer an Demenz.
Auf diese vier Proteine kommt es an
Das Ergebnis: Anhand der Jahre zuvor entnommenen Proben identifizierten die Forschenden auffällige Protein-Biomarker – die sich schon damals im Blut zeigten. So waren höhere Werte der vier Proteine GFAP, NEFL, GDF15 und LTBP2 Warnzeichen der späteren Demenz-Erkrankung.
Entzündungen im Gehirn können Zellen, sogenannte Astrozyten, zu einer Überproduktion von GFAP veranlassen. Bei Menschen mit erhöhten GFAP-Werten war laut Studie die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen mit niedrigeren Werten. Das Blutprotein NEFL steht mit der Schädigung der Nervenfasern in Verbindung, während erhöhte GDF15-Werte nach einer Blutgefäßverletzung des Gehirns auftreten können.
In Kombination mit konventionelleren Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung und genetischer Anfälligkeit ermöglichten die Proteinprofile den Studienautoren eine Vorhersage von Alzheimer und vaskulärer Demenz mit einer Genauigkeit von 90 Prozent, fast 15 Jahre bevor die Krankheit klinisch bestätigt wurde. „Studien wie diese sind erforderlich, wenn wir mit krankheitsmodifizierenden Therapien im frühesten Stadium der Demenz eingreifen wollen“, sagt Amanda Heslegrave vom University College London. Die Neurowissenschaftlerin war nicht an der Studie beteiligt
Hoffnungen auf Revolution in der Diagnostik
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben derzeit weltweit mehr als 55 Millionen Menschen mit Demenz – eine Zahl, die bis zum Jahr 2030 voraussichtlich auf 78 Millionen ansteigen wird. Die Diagnose wird oft erst gestellt, wenn die Betroffenen Gedächtnisprobleme oder andere Symptome bemerken. Zu diesem Zeitpunkt kann die Krankheit bereits seit Jahren fortgeschritten sein. „Wenn wir sie erst einmal diagnostiziert haben, ist es fast zu spät“, sagt der Mitautor der Studie, Jian-Feng Feng, ein Computerbiologe an der Fudan-Universität. „Und es ist unmöglich, es rückgängig zu machen.“
Er und seine Kollegen hoffen, dass der Bluttest die Diagnose von Demenz revolutionieren und zu einer früheren und präventiven Behandlung führen kann. So könnten künftig Medikamente entwickelt werden, die mit den identifizierten Proteinen interagieren. Zudem wollen sie die Tests in Zusammenarbeit mit Unternehmen weiterentwickeln. Die Kosten für den Bluttest beliefen sich derzeit auf mehrere Hundert Dollar und müssten noch behördlich geprüft werden.
Warnsignale für Demenz
In Deutschland leben Schätzungen zufolge 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Die meisten von ihnen leiden an Alzheimer, der häufigsten Form von Demenz. Die Erkrankung beginnt schleichend, meist mit Gedächtnis- und Orientierungsproblemen. Das Bundesgesundheitsministerium nennt folgende Warnsignale für Demenz:
Vergessen kurz zurückliegender EreignisseSchwierigkeiten, gewohnte Tätigkeiten auszuführenSprachstörungennachlassendes Interesse an Arbeit, Hobbys und KontaktenSchwierigkeiten, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufindenfehlender Überblick über finanzielle AngelegenheitenFehleinschätzung von Gefahrenungekannte Stimmungsschwankungen, andauernde Ängstlichkeit, Reizbarkeit und Misstrauenhartnäckiges Abstreiten von Fehlern, Irrtümern oder Verwechslungen
Die genannten Symptome können auch andere Ursachen haben, etwa Stress, psychische Belastungen, eine Umstellung des Hormonhaushalts oder eine andere Erkrankung. Auch Vergesslichkeit kann bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Dennoch: Bei einem Verdacht auf Demenz sollte dringend der Hausarzt aufgesucht werden.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de