Ein Ex-Staatsanwalt steht in Lübeck vor Gericht, weil er seinen Sohn missbraucht haben soll. Der Jurist gab an, in der betreffenden Nacht geschlafwandelt zu sein. Hält das Gericht ihn für schuldfähig?
Hat ein früherer Staatsanwalt beim Schlafwandeln seinen Sohn missbraucht? In einem ungewöhnlichen Prozess muss sich ein früherer Anklagevertreter seit Ende Januar wegen schweren sexuellen Missbrauchs vor dem Landgericht Lübeck verantworten. Der Fall ist komplex. Am Mittwoch (9.00 Uhr) will die 7. große Strafkammer in der Hansestadt ihr Urteil verkünden.
Während der vergangenen Verhandlungstage im Saal 163 des Landgerichts wollte sich der Jurist nicht zu den Vorwürfen äußern – anders als während der Ermittlungen. Damals hatte er angegeben, sich an die mutmaßliche Tat Ende März 2019 nicht zu erinnern. Später behauptete er, in der Nacht geschlafwandelt zu sein.
Der Staatsanwalt und die Verteidigung des Angeklagten forderten am 8. Februar jeweils einen Freispruch in dem Fall. Die Nebenklage plädierte in ihrem Schlussantrag dagegen auf eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs, aber ohne konkretes Strafmaß. Der Ausgang des Prozesses hängt maßgeblich davon ab, ob die Kammer glaubt, dass der Angeklagte in jener Nacht geschlafwandelt ist. Dann könnte er im rechtlichen Sinne als nicht schuldfähig gelten.
Grundsätzlich sei es möglich, beim Schlafwandeln Dinge zu tun, die im wachen Zustand nicht dem eigenen moralischen Kompass entsprechen würden, sagte Thomas Pollmächer, Direktor des schlafmedizinischen Zentrums im Klinikum Ingolstadt, der Deutschen Presse-Agentur. Beim Schlafwandeln kommt es aus dem Schlaf heraus zu motorischen Aktivitäten, ohne dass die Person richtig wach ist.
Laut Anklage soll der Angeklagte, der mit seinem damals acht Jahre alten Sohn in einem Bett schlief, Ende März 2019 an dem Kind sexuelle Handlungen vorgenommen haben. „Er fasste in die Pyjamahose des Jungen, berührte dessen Geschlechtsteil und auch den Anus des Jungen“, heißt es in der Anklage. Kurz darauf soll der Vater das Schlafzimmer verlassen haben. Als ihn seine Ehefrau am nächsten Morgen mit den Vorwürfen konfrontierte, habe der Angeklagte keine Erinnerung mehr an den Vorfall gehabt. Später zeigte sich selbst an. Seine Frau reichte die Scheidung ein.
Dass sich das Landgericht überhaupt mit dem Fall beschäftigt, liegt an der Nebenklage. Früheren Angaben der Kieler Staatsanwaltschaft zufolge sah sowohl sie selbst als auch die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein eine Verurteilung als nicht wahrscheinlich an. Unbestritten war laut Behörde aber, dass eine Handlung stattgefunden hat. Erst nach einem erfolgreichen sogenannten Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht musste die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Die Mutter des Kindes hatte prüfen lassen, ob die Einstellung des Verfahrens richtig war.