Spektakuläre Grönland-Expedition: Extremkletterer Alex Honnold: „Werden Klimawandel nur durch Fortschritt lösen“

Alex Honnold wurde mit atemberaubenden Kletter-Stunts berühmt, sein Film „Free Solo“ gewann 2019 einen Oscar. Jetzt will er mit einer Grönland-Tour die Gefahren des Klimawandels dokumentieren.

Herr Honnold, Sie sind für Ihre spektakuläre und hochriskante Kletterei bekannt. In Ihrer aktuellen Tour nach Grönland geht es um ein ganz anderes Risiko: den Klimawandel. Wann kam der Wunsch auf, mehr zu sein als bloß besonders wagemutig?
Alex Honnold: Mir war die Umwelt immer ein großes Anliegen. Wer sich, wie ich, mit der Natur beschäftigt und neugierig ist, stößt früher oder später auf deren wissenschaftliche Seite. Ich hatte bloß nie die Gelegenheit, beides in einem Projekt miteinander zu verbinden und in eine Expedition umzusetzen. Aber es stimmt, es hat auch damit zu tun, dass ich erwachsener geworden bin und sich der Blick auf größere Zusammenhänge richtet als bloß die eigenen sportlichen Erfolge. 

Ohne Seil und doppelten Boden: Extremkletterer Alex Honnold
© National Geographic

Sie haben für „In arktischen Höhen“ ein Team aus Kletterern, Filmleuten, und einer bedeutenden Glaziologin zusammengestellt. War es schwierig, die richtigen Leute zu finden? 
Es war die wichtigste Herausforderung. Die meisten sind langjährige Freunde, das Kamerateam besteht hauptsächlich aus Freunden von Freunden. Heïdi Sevestre als absolute Expertin für Klimawandel und Gletscherschmelze war der perfekte Fit für mich. Sie ist die eigentlich wesentliche Person dieser Expedition.

Sie haben atemberaubende Aufnahmen heimgebracht, die .200 Meter hohe, majestätische Meeresklippe Ingmikortilaq erstbestiegen, aber wie bedeutend sind die Forschungsergebnisse?
Was Heïdi tut, ist mit der Arbeit von Astronauten auf der ISS zu vergleichen. Da schicken auch Wissenschaftler unterschiedlichster Metiers Dinge hoch, die im Weltall getestet werden. Heïdi hatte Aufgaben von zwölf unterschiedlichen Universitäten aus der ganzen Welt dabei, um Versuche vor Ort zu machen, wo sonst einfach kein Forscher hinkommt. Es ging darum, Daten zu sammeln, Messgeräte zu installieren, um Temperaturveränderungen aufzuzeichnen und ein Gesamtbild zu bekommen.

Auf seiner Expedition dokumentieren Honnold und sein Team den Schwund des Eises

Wir Europäer können die Veränderung unserer Gletscher mit freiem Auge feststellen. Wann haben Sie persönlich die Dimension des Klimawandel begriffen?
Als Kletterer ist es einem permanent bewusst, man sieht die Gletscher ständig und überall schmelzen und schwinden. Auf meiner Alaska-Tour vergangenen Sommer hatte ich den Vergleich, es war frappierend, wie stark sich der Zustand der Gletscher in zehn Jahren verändert hat. Plötzlich riesige Felsen herausbrachen, wo früher alles nur weiß war. In Europa ist es offensichtlicher, weil die Menschen nah am Berg leben. In Chamonix kann sich jeder daran erinnern, dass der Gletscher bis ins Tal reichte. Ich fürchte, wir haben in den USA deshalb so viele Klimawandel-Leugner, weil sie es noch nicht so deutlich vor Augen haben.

Angst und Panik sind nie gute Berater, sie motivieren die Menschen nicht, konstruktiv Probleme zu lösen.“

Sie gelten als furchtlos, macht Ihnen diese Entwicklung dennoch Angst?
Angst ist nicht das richtige Wort, ich bin deprimiert, ich bin besorgt. Es ist doch so: Ich lebe in einem klimatisierten Haus, und im Ernstfall kann ich jederzeit umziehen. Die Herausforderung ist, dass sich die Menschheit jetzt um das Überleben aller kümmern muss und sich den eigenen Fehler stellen muss. Angst und Panik sind nie gute Berater, sie motivieren die Menschen nicht, konstruktiv Probleme zu lösen. Ich bevorzuge es, mit Optimismus solche Herausforderungen anzugehen. 

Forscher warnen aktuell, dass wir „verheerende Kipppunkte“ erreichen, 2023 war das wärmste Jahr seit rund 100.000 Jahren. Woher nehmen Sie den Optimismus?
Weil ich davon ausgehe, dass wir es hinbekommen. Wir stehen vor dieser gigantischen Herausforderung und der Möglichkeit, als Menschheit gemeinsam zu agieren. Wenn wir die Probleme lösen, die den Klimawandel verursachen, werden wir insgesamt eine bessere Gesellschaft haben. Wir werden den Zugang zu Energie weltweit demokratisieren, eine insgesamt humanere Welt haben. Der Klimawandel könnte der Auslöser dafür sein, dass wir uns weiterentwickeln. Vielleicht ist es unsere Chance, besser zu werden.

Wir werden das Problem nur durch Fortschritt lösen, nicht durch Rückschritt.“

Ihre Karriere ist auf Superlativen gebaut:  Sie bestiegen ohne technische Hilfsmittel und ohne Sicherung den El Capitan, bewältigten die 884 Meter lange Route „Freerider“ in 3:56 Stunden, es heißt, dies sei  „Die Mondlandung des Free-Solo-Kletterns“ gewesen. Ein Dokumentarfilm über Sie wurde mit dem Oscar prämiert, es geht immer ums Höher, Schneller, Weiter. Fällt es Ihnen schwer, plötzlich in Limits zu denken, die der Klimawandel erfordert?
Tja, interessante Frage. Auch das ist eine These am Umweltschutz, mit der ich nicht völlig übereinstimme. Wir werden weiterhin Energie verbrauchen, weil wir Computer haben, uns fortbewegen müssen, unsere Wohnungen klimatisieren. Dieser „Zurück zur Natur“-Gedanke ist nicht sinnvoll, sie werden nicht neun Milliarden Menschen dazu bekommen, freiwillig wie Landwirte im 19. Jahrhundert zu leben. Dafür hat die Erde auch nicht ausreichend Platz. Wir werden das Problem nur durch Fortschritt lösen, nicht durch Rückschritt. Wir stehen, wo wir stehen, von hier aus müssen wir weiterkommen.

Schlafplatz in schwindelerregender Höhe

Ihr Kollege Reinhold Messner beklagt seit langem, dass die Bergwelt von Touristen überrannt wird. Ist es ein Paradoxon, dass Ihre Filme die Menschen animieren, diese letzten unberührten Orte aufzusuchen?
Ich glaube nach wie vor, dass es gut ist, wenn möglichst viele Menschen eigene Naturerfahrungen machen. Nur wer die unglaubliche Schönheit der Berge und der Natur erlebt, weiß um die Wichtigkeit, sie zu schützen. Dass Menschen den Drang empfinden, rauszugehen, Abenteuer zu erleben, die Natur zu genießen, ist eine gute Nachricht für das Überleben dieses Planeten.

„In arktische Höhen mit Alex Honnold“ ist am 12. und am 19. Februar 2024 um 21 Uhr auf National Geographic zu sehen.

 

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