CDU-Chef Friedrich Merz will das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abschaffen – und seine Partei zieht mit. Jetzt springt ihm sogar der Arbeitnehmerflügel bei. Warum?
Auch in der CDU lässt sich über vieles streiten, das ist keine exklusive Angewohnheit der Ampel-Parteien. So können sich längst nicht alle Christdemokraten dahinter versammeln, im neuen Grundsatzprogramm eine deutsche „Leitkultur“ einzufordern. Oder die geltenden Schuldenregeln bloß nicht anzufassen. Auch die Analyse, die Grünen seien der „Hauptgegner“ in der Bundesregierung, wird nicht ausnahmslos geteilt.
Bei einem Thema jedoch tritt die CDU geschlossen wie selten auf und verfolgt eine gemeinsame Linie: Das Bürgergeld, in seiner aktuellen Ausgestaltung, muss grundüberholt werden. Selbst CDA-Chef Karl-Josef Laumann, das sozialpolitische Gewissen der CDU, spricht sich jetzt entschieden für eine Reform aus. „Das Bürgergeld ist in dieser Form gescheitert“, sagte Laumann dem stern.
Damit zeichnet sich dreierlei ab. Erstens: Zumindest in dieser Frage ist kein Dissens zu CDU-Chef Friedrich Merz gewünscht. Zweitens: Die größte Oppositionsfraktion im Bundestag dürfte die Sozialpolitik zu einem ihrer Hauptthemen im Wahlkampf machen. Drittens: Nach der Wahl könnte es kompliziert werden.
CDA-Chef Laumann: „Das Bürgergeld ist in dieser Form gescheitert“
Wie radikal die CDU das Bürgergeld möglicherweise umbauen will, ist in den Details noch nicht bekannt. Der Bundesparteitag im Mai könnte Klarheit schaffen. Dann soll auch das neue Grundsatzprogramm beschlossen werden, in dem die christdemokratische Maxime zu Sozialleistungen definiert ist: „Wer arbeiten kann, soll arbeiten!“ Der Grundsatz von „Fördern und Fordern“ müsse immer gelten.
Das sei aktuell nicht der Fall, argumentieren CDU-Chef Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann. Sie führen unter anderem die kräftige Anhebung der Regelsätze zum Jahreswechsel an – bedingt durch eine Neuberechnung –, die das Arbeiten im Niedriglohnsektor immer weniger attraktiv mache. Generell sieht die CDU das Lohnabstandsgebot nicht gewahrt. Sie stellt also infrage, ob Leistungsempfänger genug Anreiz haben, doch lieber einer regulären Arbeit nachzugehen.
Das Bürgergeld „in der jetzigen Form“ werde man daher „abschaffen“, kündigte Generalsekretär Linnemann an. Es sei das „erste große Reformprojekt“ der Union für den Fall einer künftigen Regierungsbeteiligung. Dabei erhält Linnemann nun Unterstützung vom Arbeitnehmerflügel der Partei, der die Einführung des Bürgergelds einst ausdrücklich begrüßt hatte.
In Zeiten von Arbeitskräftemangel sei es Irrsinn, findet CDA-Chef Laumann, wenn ein gesunder Mensch keiner Arbeit nachgehe. Das treffe zwar nur auf einen Teil der Empfänger zu. „Ich denke aber schon, dass mit dem Bürgergeld falsche Anreize gesetzt wurden“, sagte Laumann, der auch Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen ist. Das Fördern stehe nicht mehr im Gleichgewicht mit dem Fordern. „Es fehlt der Rückhalt aus der Bevölkerung für solch ein Sozialsystem.“
Aktuell gibt es 5,4 Millionen Bürgergeld-Empfänger. Das klingt nach einer großen Zahl, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in Deutschland. Allerdings muss hier differenziert werden, nicht zuletzt zwischen sogenannten „erwerbsfähigen“ und „nicht erwerbsfähigen“ Leistungsbeziehern. Denn viele Bürgergeld-Empfänger können oder dürfen nicht arbeiten. Weil sie noch Kinder sind, zum Beispiel, oder aufgrund einer Krankheit oder Behinderung. Grob vereinfacht gesagt.
Unter dem Strich bleiben rund 1,7 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die arbeitslos sind – also arbeiten können, es aber nicht tun. Die Gründe dafür sind statistisch schwer zu erfassen. Auch gibt es keine belastbaren Daten darüber, inwieweit das Bürgergeld selbst zu dieser Zahl beiträgt.
Eine Berechnung des Münchner ifo-Instituts ergab jedoch kürzlich, dass Arbeit in Deutschland immer zu höheren Einkommen führe als Nichtstun. Die Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, sei „schlicht falsch“, teilten die Forscher mit.
Trotzdem ist das Bürgergeld umstritten. Ist es gerecht? Schafft es tatsächlich falsche Anreize? Das sind auch ideologische Fragen, die entsprechend kontrovers diskutiert werden.
Die Mehrheit der Deutschen (64 Prozent) ist jedenfalls der Ansicht, dass die kürzliche Erhöhung der Regelsätze einen Anreiz schaffe, keine reguläre Arbeit aufzunehmen. Das ergab eine stern-Umfrage von November. Daraus ließe sich eine grundlegendere Skepsis gegenüber der Sozialleistung herauslesen. Mit Folgen? Vor einigen Wochen hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, die Sanktionen für sogenannte „Totalverweigerer“ verschärft (mehr dazu lesen Sie hier). Weil die Regierung sparen wollte – aber wohl auch wegen des öffentlichen Drucks.
Die SPD reagiert betont gelassen
„Wir müssen aufpassen, dass die Akzeptanz für die solidarische Grundsicherung nicht kippt“, mahnt CDU-Politiker Laumann. „Als Union werden wir eine Reform des Bürgergelds angehen.“ Er denke dabei etwa an Sanktionen, Hinzuverdienstgrenzen und die Arbeitsweise der Jobcenter. „Klar ist aber auch: Wer Hilfe wirklich braucht, muss sie erhalten und das in angemessener Höhe.“ Die jetzige Erhöhung sei daher richtig gewesen. Grundlegend müssten die Menschen für den Arbeitsmarkt befähigt werden, meint Laumann. „Eine Maßnahme nach der anderen ist aber der falsche Weg.“ Die Jobcenter müssten jetzt in erster Linie vermitteln und Perspektiven aufzeigen.
CDU-Chef Merz langt da schon deutlicher zu. Er sieht bei dem Thema offenkundig Potenzial, die Arbeiterschicht für seine Partei zu mobilisieren und all jene, die mit Argwohn auf das Bürgergeld blicken. In der Generaldebatte vergangenen Mittwoch warf Merz der SPD vor, mittlerweile „eine Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit“ geworden zu sein und nicht mehr eine Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Soll wohl im Umkehrschluss heißen: Das sei jetzt die CDU. Auch jenseits des Bürgergelds versucht Merz gerade, sich maximal von der unbeliebten Regierung zu distanzieren. So seien die Union und die Ampel-Parteien „in allen wesentlichen Fragen“ unterschiedlicher Ansicht, sagte Merz im Bundestag, und zwar „nicht im Detail, sondern im Grundsatz“. Eine Zusammenarbeit mit der Ampel-Koalition schloss er prinzipiell aus.
Die deutlichen Worte lassen eine harte Auseinandersetzung im Wahlkampf erwarten. Und schwierige Gespräche danach. Sollte die Union ihre Umfrageprozente in Wahlergebnisse ummünzen können, würde sie die Bundestagswahl gewinnen und könnte damit auch auf die SPD als Koalitionspartner angewiesen sein.
Ifo-Institut zu Bürgergeld vs Niedriglohn18.17
Für die SPD ist das Bürgergeld sinnstiftend. Es gilt als Befreiungsschlag von der Agenda-Politik und dem harten Sanktionsregime der vorherigen Hartz-IV-Regelungen. Aber auch als Ausweis und Beleg, das „Respekt“-Versprechen aus dem Wahlkampf eingelöst zu haben. Hier setzt die CDU an und versucht, aus dem Gewinner- ein Verliererthema zu machen.
Daher mal andersherum gefragt: Möchte die SPD überhaupt noch mit der CDU zusammenarbeiten?
Co-Chefin Saskia Esken gibt sich betont gelassen. „Wir sind stolz auf dieses Bürgergeldgesetz“, sagte Esken am Montagvormittag im Atrium der SPD-Parteizentrale. Die Einführung und kürzliche Neuberechnung sei „genau der richtige Weg“ gewesen. Und was eine mögliche Zusammenarbeit mit der Union betreffe: Da habe die Sozialdemokratin unterschiedliche Signale vernommen.
Am Wochenende hatte Merz in seinem wöchentlichen Newsletter „MerzMail“ mögliche Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl ausbuchstabiert. Eine Koalition mit der AfD schließt er weiter entschieden aus. Offen zeigte er sich für Bündnisse mit SPD, FDP oder auch den Grünen. Unter Führung der Union, natürlich. „Ganz offensichtlich ist das tagesformabhängig“, sagte Esken, „deswegen würde ich nicht allzu viel darauf geben“. Merz‘ Meinung zum SPD-Prestigeprojekt Bürgergeld ist hingegen eindeutig.