Start-up Cowboy: Das Tesla der Fahrradwelt sucht den Ausweg aus der Branchenkrise

Das Start-up Cowboy wollte mit E-Bikes Tesla nacheifern und genauso erfolgreich werden. Doch es war mit dieser Idee nicht allein. 

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Als Adrien Roose mit seinen Partnern das Start-up Cowboy für E-Bikes gründete, hatten sie nicht viel Ahnung von Fahrrädern. Das bekennt Roose, der heute CEO bei der Marke ist, ganz unumwunden. Dennoch waren sie damals 2017 sicher, dass sie das Zeug hätten, den Fahrradmarkt umzukrempeln, so wie es Tesla im Autogeschäft gemacht hat. 

Denn Elektro-Fahrräder waren „armselig designt und zu teuer“ so die Analyse der Gründer, wie Roose es heute erzählt. „Irgendwo zwischen Rad und Rollstuhl“ verortbar seien sie gewesen, nur was für alte Leute und vor allem überhaupt noch nicht digital. Sie wollten ein Fahrrad bauen, das über Software gesteuert werden konnte, nämlich per App. Denn da, so erzählt Roose, trauten sie sich durchaus ein bisschen Kompetenz zu: Wie man Tech-Anwendungen entwickelt, wie man sie vermarktet, wie man dafür Millionen bei Investoren einsammelt.

Der Belgier Roose war nicht der Einzige, der die Teslarisierung des E-Fahrrads im Sinn hatte. Am bekanntesten wurde das niederländische Start-up vanMoof, das im vergangenen Sommer Insolvenz anmelden musste und später vom britischen Tech-Unternehmen MacLaren Applied gekauft wurde. Die Cowboy-Gründer konnten mit ihrem Versprechen fast 150 Mio. Dollar bei Investoren lockermachen, so besagen es Zahlen des Datensammlers Crunchbase. Die letzte, eher kleine Finanzierung floss demnach im vergangenen Frühjahr.

Überkapazitäten und volle Lager

Doch heute ist das Überleben für Start-ups im Fahrradmarkt schwierig geworden. Das zeigt nicht nur das Schicksal von vanMoof. Auch Roose gibt es im Gespräch freimütig zu: Der Kapitalmarkt sei praktisch ausgetrocknet, der Fahrradmarkt durch Überkapazitäten beziehungsweise übervolle Lager verdorben, die Kunden teilweise nach der Erfahrung der vanMoof-Pleite skeptisch gegenüber rein online vermarkteten Rädern. 

Dennoch tue man alles, um durchzuhalten, sagt der CEO. „Man versucht mit dem Geld zu überleben, das man hat“ – Roose sagt das generell über die Start-ups, deren Finanzierungsquellen versiegt sind, fügt dann aber hinzu, dass das auch seine Strategie sei. Im laufenden Jahr soll Cowboy nach seinen Aussagen erstmals auf Jahresbasis ein ausgeglichenes Ergebnis erreichen und im kommenden Jahr profitabel sein – trotz der schwierigen Marktsituation. Damit das gelingt, bringen sie in diesen Tagen zwei neue Räder auf den Markt.

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Gleichzeitig versuchen sie, ihren Kunden nicht nur Fahrräder, sondern auch Dienstleistungsabos zu verkaufen etwa für Reparatur und Wartung für monatlich 20 Euro oder für eine Versicherung, die mit 10 Euro pro Monat zu Buche schlägt. Schließlich verabschieden sie sich von ihrem Dasein als reine Internetmarke und kurbeln die Zusammenarbeit mit etablierten Fahrradhändlern für Verkauf und Service an.

Da leiden sie aber unter „schlechtem Timing“, wie Roose angesichts der Fahrradmarktkrise zugibt. Die übervollen Radläden „gucken gerade nicht nach noch mehr Ware“. Fast 30 Prozent der Kundschaft kommen derzeit über Leasing zu Cowboy und da oft über steuerbegünstigtes Arbeitnehmerleasing wie sie zum Beispiel Jobrad.de anbietet. Aber um die Kundenbasis auszubauen und vor allem den Service in der Breite garantieren zu können, sollen die Fahrradläden helfen.

E-Bikes überholen konventionelle Räder

Immerhin, trotz allem gibt es im E-Bike-Geschäft noch Hoffnung. Nach den Zahlen, die der Branchenverband ZIV Mitte März für Deutschland veröffentlichte, fiel der Absatz von E-Rädern im vergangenen Jahr nur leicht um 100.000 auf 2,1 Millionen Stück. Erstmals wurden damit mehr batterieunterstützte Räder als reine Muskelvelos verkauft. Der Umsatz mit den Stromdingern stieg demnach sogar ein ganz klein wenig, weil der durchschnittliche Stückpreis für ein E-Bike auf 2950 Euro gestiegen ist. 

Der Radmarkt ächzt noch unter den Spätfolgen des Corona-Booms, den Cowboy-Gründer Roose als „verrückte Achterbahnfahrt“ beschreibt. Erst gab es zu viel Nachfrage für zu wenig Fahrräder, als es dann alle bestellten Räder und Teile durch die verstopften Lieferketten geschafft hatten, waren viel zu viele Räder im Angebot – bis heute. 

Das Marktpotenzial aber sei riesig, sagt Hannes Neupert, der als Betreiber eines Testinstituts und Berater die Branche von ihren Anfängen seit über dreißig Jahren begleitet hat. „Der Markt steckt noch immer in den Kinderschuhen“, sagt er. Der Absatz in Europa könnte in wenigen Jahren von unter 5 Millionen Stück im vergangenen Jahr auf mehr als 30 Millionen steigen. Dabei sieht Neupert durchaus Möglichkeit für Disruption. „Wer hier Disruptor ist, kann den Markt in fünf Jahren völlig drehen“, sagt er. Das liegt unter anderem an der riesigen Dominanz des Zulieferers Bosch, der das Gros der hierzulande verkauften E-Bike-Antriebe liefert. 

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Diese Dominanz lasse viel Raum für Innovation, sagt Neupert. Noch habe aber kein Anbieter, auch kein Start-up, es geschafft, diesen Raum zu nutzen. „Niemand im Fahrradbereich hat das Level von Tesla“, sagt Neupert. Schlechter Service, abbrechende Kommunikation mit den Kunden, unterschätzte Kosten für die Kundenbetreuung hätten viele der neuen Anbieter diskreditiert – was umso mehr Lücken ließe, weil auch die klassischen Fahrradhersteller und -händler das E-Bike-Thema immer noch nicht erfasst hätten. 

Nach der vanMoof-Pleite haben viele Kunden erlebt, dass sie den Zugriff auf ihr teures Rad verlieren können, wenn die App nicht mehr betreut wird. Tatsächlich ist dass die Achillesferse des digital gesteuerten Rades, wie es auch Cowboy anbietet. Es gibt keinen Ein/Aus-Knopf, keinen Schalter, ohne die App wird das Rad zum fast unbrauchbaren Schrott.

E-Bike-Nutzer Patrick Sánchez del Solar hat sich auch Sorgen gemacht, als er von den Leiden der vanMoof-Besitzer hörte. Er aber hat ein Cowboy-Rad und bei ihm habe in der Regel alles funktioniert, sagt er. Er hat seit August 2022 fast 2000 Kilometer mit seinem Cowboy-Rad zurückgelegt, die meisten in Hamburg und Berlin. Hier seien die Fahrradmechaniker des Herstellers rasch zur Stelle gewesen, wenn er sie per App anfordert. „Das funktioniert tadellos“, resümiert Sánchez del Solar.

Servicekosten plagen alle

Alles entscheide sich am Service, sagt Branchenexperte Neupert. „Jegliches Geschäftsmodell der Online-Anbieter wird zerstört durch die üblen Servicekosten.“ Das habe noch kein Start-up in den Griff bekommen. „Das Problem war, dass Investorengeld immer leichter zu haben war als Kundengeld“, sagt er – dadurch sei Orientierung an der Kundschaft immer zweitrangig gewesen. 

Das ist jetzt anders, möglicherweise gelingt es den Cowboys aus Belgien die Kurve zu kriegen. Auch wenn Neupert das Aufweichen auf den etablierten Fahrradhandel eher als „Verzweiflungstat“ beschreibt. Adrien Roose will jetzt seine beiden neuen Räder vorstellen, sie heißen Cruiser, haben dicke Reifen, erstmals gibt es einen Gepäckträger und eine einfache Möglichkeit zur Kindersitzmontage. Man denke jetzt auch über Lastenräder nach, bestätigt Roose en passant und wendet sich dann wieder seinen „Cruise“-Modellen zu. Räder zum Herumgurken in der Stadt, wie der Cowboy-CEO sagt. Vielleicht bringt ihn der Frühling dem Break-Even näher.

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