Diskussion um Agrardiesel: Bauernpräsident Rukwied über Proteste: „Wir behalten uns weitere Aktionen vor“

Der Bundesrat hat am Freitag zugestimmt, dass der Agrardiesel für Bauern gestrichen werden soll. Bedeutet das neue Proteste? Der stern sprach mit Bauernpräsident Joachim Rukwied. 

Herr Rukwied, es ist März, die Bauern müssen wieder auf die Felder, ist die Luft bei den Protesten raus? 
Wir haben über tausend Aktionen in ganz Deutschland organisiert, darunter zwei Großdemonstrationen in Berlin. Am 8. Januar brachten wir 100.000 Traktoren auf die Straßen. Wir waren in den Medien sehr präsent und hatten bereits einen wichtigen Teil unserer Forderungen umgesetzt, die Bundesregierung hat die Einführung der Kraftfahrzeugsteuer vom Tisch genommen. Seit Februar setzen wir auf Kampagnen, beispielsweise für Bürokratieabbau. Und auf Verhandlungen mit der Bundesregierung.

Heißt, erstmal keine Traktor-Demos mehr? 
Die aktive Demonstrationstätigkeit haben wir ab Ende Januar Stück für Stück auslaufen lassen. Wir behalten uns aber auch weiterhin einzelne Aktionen vor. 

Zur Person Ruckwied

Nachdem der Bundesrat am vergangenen Freitag der Streichung beim Agrardiesel zustimmte, was heißt das konkret? 
Die deutsche Landwirtschaft wird im europäischen Wettbewerb deutlich geschwächt. Wir werden das Thema „Agrardiesel“ in der politischen Debatte halten und in Richtung Bundestagswahl wieder intensivieren.

Was brachte so viele Bäuerinnen und Bauern auf die Straße?
Ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Wir mussten davor schon Kürzungen hinnehmen, da blieben wir noch ruhig. Aber die Kürzungen beim Agrardiesel plus Einführung der Kraftfahrzeugsteuer für landwirtschaftliche Maschinen haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Beim Agrardiesel ging es um die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, die macht aber nur Sinn, wenn ich Alternativtechniken habe, die den Diesel ersetzen könnten. Die haben wir aber in den nächsten zehn, 15 Jahren nicht. Die Kürzungen hätten eine Milliarde zusätzliche Steuerbelastung für die Landwirtschaft bedeutet – das war nicht nur ein Tropfen, sondern ein Schwall, der das Fass zum Überlaufen brachte. 

War es ein strategischer Fehler der Ampelkoalition, dass diese Kürzungen alle trafen: Gemüsebauern, Winzer, Rinderzüchter, Biobetriebe ebenso wie konventionell wirtschaftende Höfe? 
Die Kürzungen waren ein Kardinalfehler der Bundesregierung, denn man kann nicht eine Berufsgruppe über Gebühr belasten. Zum Frust trug bei, dass wir in der Borchert-Kommission und in der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ Konzepte für die Landwirtschaft erarbeitet haben, beispielsweise für mehr Tierwohl, doch fast nichts wurde umgesetzt. Auf der anderen Seite ständig steigende Bürokratie. Wir waren der Verband, der als erster „Ja“ gesagt hat zu einer grüneren Agrarpolitik. Davon mussten wir auch unseren Berufsstand überzeugen, das waren herausfordernde Diskussionen. Fast die Hälfte der Gelder für Ökoregelungen wurden aber nicht abgerufen, weil die Kosten höher lagen als die Ausgleichszahlungen. Daraus ist Frust entstanden. Die Politik selbst hat die Bauern auf die Straße gebracht. 

Vor ein paar Tagen hieß es, dass der Deutsche Bauernverband nun doch zu Kompromissen bereit sei – ausgerechnet beim Agrardiesel. Der Bauernbund Sachsen-Anhalt kritisierte darauf, dass der Deutsche Bauernverband „kleinlaut zurückrudert“?
Da wurde eine Aussage aus dem Bauernverband falsch interpretiert. Um es klar zu sagen: Unsere Forderung von Dezember bleibt: Auch einen schrittweisen Ausstieg aus dem Agrardiesel werden wir nicht akzeptieren. Wir haben im Januar in einem Offenen Brief an den Bundeskanzler betont, dass wir auf den Agrardiesel pochen. Wir sind immer zu Gesprächen bereit. Aber dann müsste die Bundesregierung ein Angebot bringen mit genau demselben steuerlichen Entlastungseffekt. Das liegt nicht vor. Insofern ist der Stand derselbe.

Laut Ihrem Leitbild vertreten Sie als Bauernpräsident „die Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit“. Ein Alleinvertretungsanspruch? Was ist mit den anderen Verbänden?
Der Deutsche Bauernverband ist die starke Interessensvertretung der deutschen Landwirtschaft, wir sind die Dachorganisation von 18 Landesbauernverbänden, wir haben in den alten Bundesländern einen Organisationsgrad unter Bauern von etwa neunzig Prozent, die Mitgliedschaft im Kreisverband oder Landesverband ist freiwillig. In den neuen Bundesländern ist der Organisationsgrad geringer. Dort gibt es auch große Agrarunternehmen, die von Stakeholdern getragen werden und nicht bei uns Mitglied sind. 

Dieter Rucht Interview Demos gegen rechts 08:50

Wie stehen Sie zu der Initiative „Land schafft Verbindung“, die beispielsweise in Sachsen weiter zu Blockaden aufrufen? 
Bei den beiden Großdemonstrationen in Berlin und zahlreichen Aktionen vor Ort waren andere Verbände wie beispielsweise der LSV mit eingebunden. 

Der LSV gilt als radikaler als der Bauernverband. Wie grenzen Sie sich ab?
Wir sind ein demokratischer Verband, der von unten nach oben organisiert ist. Heißt, dass wir unsere Positionen im Deutschen Bauernverband gemeinsam erarbeiten. Wenn der Diskussionsprozess abgeschlossen und entschieden ist, dann ist das die Position, die wir von der Ortsebene bis nach Brüssel vertreten. 

Täuscht der Eindruck, dass die anfängliche Einigkeit der Bauernvertretungen zersplittert? 
Es gibt so wenig „die Bauer““, wie es die Journalisten oder die Lehrerinnen und Lehrer gibt. Unsere gemeinsamen Positionen gegen die Kürzungspläne bestehen nach wie vor.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Anthony Lee, Sprecher des LSV und Bauern-Influencer, der für eine Radikalisierung der Proteste steht? 
Man hat mir das Vertrauen ausgesprochen, den Deutschen Bauernverband als Präsident vertreten zu dürfen. Meine Ansprechpartner sind die Vizepräsidentin, die anderen Landesbauernpräsidenten und die Delegierten. Das sind meine Sparringspartner, da tauschen wir uns aus, und erarbeiten unsere Position.

Als langjähriger Verbandsfunktionär sind Sie es gewohnt, mit Politikern Kompromisse auszuhandeln. Wie schwer ist es, wütenden Bauern Kompromisse nahe zu bringen?
Am Ende zählt das Ergebnis. Wir haben sehr viel erreicht, aber das ist noch nicht genug. Wir haben die Steuereinführung für landwirtschaftliche Maschinen, sowie den sofortigen Ausstieg beim Agrardiesel verhindert.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen? 
Das Entscheidende ist der Agrardiesel, die Diskussion darüber läuft, wir werden dieses Thema in den nächsten anderthalb Jahren immer wieder platzieren. Priorität eins ist, dass die Agrardiesel-Rückerstattung weiterläuft.

Also so wie bisher – das ist aber kein Kompromiss.
Wir werden beim Agrardiesel weiterhin hart bleiben – hart bleiben müssen. Sonst tragen Bauern zukünftig eine Steuerlast pro Liter Diesel von rund 50 Cent. Wenn ein Landwirt 20.000 Liter Diesel im Jahr verfährt, sind es 10.000 Euro mehr Steuerbelastung beispielsweise gegenüber einem belgischen Kollegen. Das hat nichts mehr mit Chancengleichheit der Bauern in Europa zu tun.

Manche Landwirte sagen, sie stören sich mehr an der Bürokratie und weniger an den Dieselkosten, 15.000 Euro pro Jahr brächten sie nicht um. Ist der Kampf um den Fortbestand des Agrardiesel vor allem Symbolpolitik?
Bringen sie nicht um? 15.000 Euro höhere Steuerbelastung sind 15.000 Euro Wettbewerbsnachteil pro Jahr. Ein betriebswirtschaftlich orientierter Betriebsleiter macht keine solche Aussage. 

Von Beginn an standen die Bauernproteste im Verdacht, von Rechtsextremen unterwandert und als Plattform genutzt zu werden. Im Dezember hatten Sie erklärt: „Rechtsextreme Gruppierungen, Verschwörungstheoretiker und andere Radikale haben bei uns keinen Platz.“ Wie erfolgreich war Ihre Abgrenzung?
Absolut erfolgreich. Bei unseren Demonstrationen – die waren angemeldet und genehmigt – gab es keine Zwischenfälle. Vereinzelt haben Rechtsextreme versucht, sie zu unterwandern. Die wurden von unseren Leuten weggeschickt, weil sie dort unerwünscht waren. Unsere Veranstaltungen sind absolut sauber gelaufen. Wir stehen zur Verfassung, zum Grundgesetz. Wir sind überzeugte Demokraten. Es ging uns darum, unsere Interessen zu vertreten. 

Zuletzt eskalierten die Proteste in Biberach, die Grünen sagten ihren Politischen Aschermittwoch ab. Inwieweit fühlen Sie sich dafür mitverantwortlich?
Der Bauernverband Biberach-Sigmaringen hatte schon am Wochenende zuvor klargemacht, dass er an dieser Aktion nicht teilnehmen werde und am selben Tag ein Gespräch mit Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir und weiteren Vertretern der Grünen plane. Dieser Austausch mit mehreren Bauernverbänden im Landratsamt Biberach hat dann auch stattgefunden.

Bauern Biberach Interview10.21

Sie hatten im Dezember Protest angedroht, „wie ihn das Land noch nicht erlebt hat“. Kann es sein, dass diese Ankündigung manche ermutigt hat, auf den Putz zu hauen? 
Es war ein Risiko, auch für mich persönlich, die Proteste anzuführen. Es ist uns gelungen, dass diese Proteste geregelt und friedlich verlaufen sind. Flächendeckend über tausend Demonstrationen, hunderttausende Teilnehmer – das gab es seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Und insofern haben wir das, was ich gesagt habe, auch umgesetzt  –  auf unserer Rechtsordnung fußend.

Die Gewerkschaft der Polizei forderte nach Biberach ein Verbot von Traktoren auf Demos. Wie sehen Sie das?
Ich sehe keine Handlungsnotwendigkeit. Wir haben unsere Demos ordnungsgemäß in Absprache mit der Polizei durchgeführt. Wir hatten intensiven Kontakt mit den Veranstaltern vor Ort, haben Hinweise gegeben, zur Rechtslage oder wie beispielsweise die Rettungsgassen freizuhalten sind. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft bestätigte uns, dass die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert. Diese Rückmeldungen haben wir auch von Feuerwehren und Rettungsdiensten. Unsere Traktoren nutzen wir, um unseren friedlichen Protest zum Ausdruck zu bringen. 

Wohin gehen die Proteste? Muss man damit rechnen, dass sie weiter eskalieren?
Wir machen im Moment „Campaigning“ und sprechen mit Politikern. Die eine oder andere Aktion behalten wir uns weiterhin vor.

Anfangs gab es in Umfragen bis zu 80 Prozent Zustimmung für die Anliegen der Bauern. Wie hoch schätzen Sie die Zustimmung der Bevölkerung jetzt ein? 
Wir hatten eine sehr hohe Zustimmung, auf dem Land bis zu 90 Prozent. Das hängt sicherlich mit den friedlichen Demonstrationen einerseits zusammen, andererseits auch damit, dass ein hoher Anteil der Bevölkerung weiß, wie wichtig Bauernfamilien für den ländlichen Raum sind, für die Ernährungssicherung in einer immer fragiler werdenden Welt. Dieses Vertrauen dürfen wir nicht verspielen. 

Wohin geht die Wut der Bauern, wenn sie ihre Forderungen nicht erfüllt sehen?
Wir sind in einem Diskussionsprozess, und ich hoffe, dass die Politik noch Angebote macht. Wenn beim Agrardiesel keine Lösung kommt, wird uns das Thema weiter beschäftigen, weil es ein signifikanter Wettbewerbsnachteil ist.

Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Cem Özdemir, dem Sie auch in mehreren Verwaltungsräten begegnen. Hat es sich durch die Bauernproteste verändert?
Nein. Wir gehen professionell, fair und vertrauensvoll miteinander um. Den letzten Austausch gab es beispielsweise am Freitagnachmittag.

Die Grünen wappnen ihre Veranstaltungen jetzt mit mehr Sicherheitsaufwand und Polizei. Haben die Auswüchse bei Bauerndemos der demokratischen Kultur geschadet? 
Nochmals: Unsere Demonstrationen, also die vom Deutschen Bauernverband, verliefen friedlich. Die Bauern haben in der Breite gezeigt, dass sie in der politischen Mitte dieser Gesellschaft stehen und fest auf dem Boden der Demokratie verankert sind.

Sie sind seit 12 Jahren Bauernpräsident, in diesem Jahr stehen Wahlen an. Treten Sie nochmals an? 
Ich hoffe nicht, dass ich den Eindruck erwecke, dass ich amtsmüde bin. Ich habe noch. genügend Energie. Zudem: Spannende Herausforderungen gibt es momentan genug. 

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