Terrorismus: RAF-Anwalt von Plottnitz: Entschuldigungen? „Kann man nicht erzwingen“

Rupert von Plottnitz verteidigte in Stammheim das RAF-Mitglied Jan-Carl Raspe und erlebte die Entstehung der „Stadtguerilla“ in der 68er-Bewegung hautnah. Die Festnahme von Daniela Klette und die Großfahndung nach weiteren Ex-Terroristen erinnern ihn an eine bleierne Zeit, als Anschläge und Attentate ganz Deutschland in Atem hielten.

Nach der Festnahme von Daniela Klette läuft jetzt die Fahndung nach zwei weiteren ehemaligen RAF-Terroristen auf Hochtouren. Frage an Sie als Anwalt: Würden Sie Burkhard Garweg und Volker Staub raten, sich zu stellen?
Mit Ratschlägen, ohne, dass mich irgendjemand dazu beauftragt hat, bin ich zurückhaltend. Das müssen die beiden schon selbst wissen. Ich habe aus der Ferne niemandem Ratschläge in solchen Fragen zu geben.

Immer noch gibt es in der linken Szene gewisse Sympathien für die RAF. In Berlin und auch vor der Haftanstalt in Vechta, wo Daniela Klette einsitzt, gab es Solidaritätsdemos. In deutschen Großstädten tauchten Matratzen auf, auf denen stand „viel Kraft für alle Untergetauchten“ oder „viel Glück Burkhard & Volker“. Können Sie das nachvollziehen?
Es ist ein Stück weit auch hier die Rückkehr der alten Rituale aus der alten Bundesrepublik. In diesen Kreisen scheint es große Schwierigkeiten zu geben, zu akzeptieren, dass die RAF längst Geschichte ist und für die Gegenwart eigentlich keine politische Relevanz mehr hat.

Biokasten von Plottnitz

Massive Polizeiaufgebote mit SEK und Panzerwagen, Hausdursuchungen, Personenüberprüfungen: Haben Sie als Zeitzeuge der frühen RAF-Phase manchmal das Gefühl, die Gespenster der Vergangenheit tauchen wieder auf?
Es ist schon kurios. Die RAF ist inzwischen seit einem Vierteljahrhundert Geschichte. Und wenn man jetzt die Berichte verfolgt über die Festnahme von Daniela Klette in Berlin, die massiven Durchsuchungsaktionen, diese ganze Großfahndung – da hat man schon das Gefühl, dass der Mythos RAF aus der alten Bundesrepublik auch heute noch sehr wirkmächtig ist.

Wie erklären Sie sich das?
Da kann man nur spekulieren. Die Auseinandersetzung mit der RAF war eine vergleichsweise übersichtliche Angelegenheit, beschränkt auf das Gebiet der alten Bundesrepublik. Heute muss sich die Gesellschaft mit einer Vielzahl von sehr komplexen Problemen auseinandersetzen: Antisemitismus, Krieg in Gaza, russischer Angriffskrieg in der Ukraine. Das fördert vielleicht die Sehnsucht nach alten Zeiten, in denen alles nicht so kompliziert schien. Heinrich Böll hat ja damals angesichts der Großfahndungen nach den Angehörigen der RAF den Begriff geprägt, es wäre ein Kampf „sechs gegen 60 Millionen“.

Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Es gab damals Formen der Strafverfolgung, die aus heutiger Sicht doch ziemlich exzessiv erscheinen: Sondergesetze, Sonderhaftgebäude, Sonderregelungen für die Haft. Wie da im Umgang mit den betroffenen Beschuldigten agiert worden ist, da kann man sich schon fragen, ob das nicht eine Überreaktion vonseiten der alten Bundesrepublik war.

Als Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) haben Sie um das Jahr 1968 herum die Radikalisierung von Teilen der Studentenbewegung, die dann im Terror mündete, hautnah miterlebt. Welche Atmosphäre herrschte damals an den Unis?
Vorsicht, der SDS war nicht die RAF. Das muss man schon unterscheiden. Aber der SDS war schon prototypisch für eine radikale Kritik an bestimmten Seiten der alten Bundesrepublik. Seilschaften aus den Zeiten des Nazi-Regimes waren in erheblichem Umfang an der Besetzung von wichtigen Positionen in Staat und Verwaltung beteiligt. Das fanden wir unerträglich. Und das hat auf die Studentenbewegung und auch auf mich um das Jahr 1968 herum unglaublich mobilisierend gewirkt. 

Haben Sie selbst damals Menschen erlebt, die plötzlich verschwunden sind, weil sie in den Untergrund gingen und sich der RAF angeschlossen haben? Bekannte, Freunde?
Ich habe diese Leute eigentlich erst nach Erteilung entsprechender Verteidigungsmandate als Rechtsanwalt erlebt. Davor gab es nur einmal eine flüchtige Begegnung, mit Baader und anderen, in einer WG von Freunden, hier irgendwo im Westend. Nach einem Brandanschlag auf ein Kaufhaus in Frankfurt am Main waren sie in Haft geraten. Als sie wieder draußen waren, hatten sie dort offenbar erst mal eine Bleibe gefunden. Das muss etwa 1971 gewesen sein. Außerdem habe ich Kollegen erlebt, die noch vor Beginn der Hauptverhandlung in Stammheim von der Verteidigerbank in die Reihen der RAF gewechselt sind.

Welchen Eindruck machten Baader und die anderen RAF-Leute auf Sie?
Ich hatte zu wenig persönlichen Kontakt, um Ihnen das zu sagen. Es ist auch sehr lange her. Ich nehme an, die waren erst mal nur erleichtert, dass sie nicht mehr im Knast saßen.

Wie groß waren damals in der Frühphase der RAF im linken Milieu die Sympathien für die Terroristen? 
Es gab damals die These vom sogenannten „Sympathisantensumpf“. So wurde das genannt, vor allem von Seiten von Strafverfolgungsbehörden. Aber nach meiner Erinnerung war auch innerhalb der außerparlamentarischen radikalen Linken wenig Sympathie für den Weg, für den sich die RAF und ihre Mitglieder entschieden hatten, also den bewaffneten Kampf gegen die Verhältnisse in der Bundesrepublik. Es gab allerdings heftige Kritik an Art und Umfang der Strafverfolgungsmaßnahmen und der Gesetze, die verabschiedet worden sind. Und diese Kritik allein reichte damals schon, um Leute zu stigmatisieren: als Anhänger der RAF.

Das heißt, es war eine sehr polarisierte Atmosphäre.
Das kann man wohl sagen. Es wurde sehr schnell mit Freund-Feind-Kategorien gearbeitet. Gegen den sogenannten „Sympathisantensumpf“ richteten sich ja auch viele Strafverfolgungsmaßnahmen, Hausdurchsuchungen, Festnahmen. Dieser enorme Druck, dem man ausgesetzt war, der spielte im linken Milieu schon eine wichtige Rolle.

Die meisten Terroristen der RAF stammten aus dem gut situierten Bildungsbürgertum – Söhne und Töchter „aus gutem Hause“, wie man früher sagte. Wie konnten daraus eiskalte Killer werden, die zum Beispiel beim Attentat auf Hanns-Martin Schleyer aus nächster Nähe völlig seelenlos über hundert Schüsse aus Schnellfeuerwaffen auf Fahrer und Begleitschützer abfeuerten? Können Sie sich das erklären?
Sie haben Recht mit ihrer Beschreibung, aber eine vernünftige Antwort habe ich auch nicht. Diejenigen, die an dem Anschlag auf Herrn Schleyer und seine Begleitpersonen beteiligt waren, die habe ich ja gar nicht mehr erlebt. Ich habe nur die sogenannte erste Generation erlebt, also Baader, Raspe, Ensslin und andere. Und bei denen weiß ich nicht, inwieweit die Bezeichnung „eiskalte Killer“ gerechtfertigt ist oder nicht. 

Warum?
Man muss schon den gesamten Zusammenhang sehen. Es gab damals ein umstrittenes Thema. Das war der Vietnamkrieg und das Vorgehen der USA dort. Das war auch völkerrechtlich sehr kritisch zu sehen. Vor diesem Hintergrund gab es ja auch zwei Anschläge auf militärische Einrichtungen der USA in Heidelberg und Frankfurt. Natürlich kann man sich fragen, ob die Bundesrepublik der richtige Ort ist, um das auf diese Weise hier auszutragen. Aber der Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Vorgehen der USA in Vietnam und vielen, vielen Menschenrechtsverletzungen, die dabei begangen worden sind, der war unübersehbar. Und der spielte in der Wahrnehmung solcher Anschläge auch in der Linken von damals eine Rolle.

STERN PAID RAF Nacht von Stammheim 12.22

Als Pflichtverteidiger von Jan-Carl Raspe waren Sie auch beim großen RAF-Prozess in der sogenannten Mehrzweckhalle in Stuttgart-Stammheim beteiligt. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Mammutverfahren?
Es war eine giftige Atmosphäre im Saal, es ging hart zur Sache. Vor allem ging es um die Rechte der Verteidigung, die prozessualen Rechte der Angeklagten. Ich war aber nur in der Anfangsphase des Verfahrens als Verteidiger beteiligt, weil ich bereits nach sechs oder sieben Monaten als Pflichtverteidiger dann wieder entpflichtet worden bin, auf eine Verfügung des Vorsitzenden Richters, Theodor Prinzing, hin. 

Warum wurden Sie von Prinzing „entpflichtet“?
Aus Sicht des Senats und des Vorsitzenden bot die Art und Weise meines Verhaltens im Prozess keine Gewähr mehr für eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung.

Was sollen Sie Schlimmes gemacht haben? 
Das bezog sich alles auf Äußerungen in diesem Verfahren. Wie gesagt, es ging heiß und hitzig her von allen Seiten. Und da hat man sich natürlich auch in einer Weise geäußert, die zum Teil sehr aggressiv war. 

Gab es eine bestimmte Äußerung von Ihnen, die den Vorsitzenden besonders gegen Sie aufgebracht hat?
Es gab viele Äußerungen, die zumindest grenzwertig waren. Und eine, die ich inzwischen selbst auch als deplatziert empfinden würde. Da habe ich gerufen: „Heil, Dr. Prinzing!“ 

Eine Anspielung auf Roland Freisler, als Präsident des Volksgerichthofes im Nazi-Regime verantwortlich für Tausende Todesurteile.
Meine Äußerung war daneben, weil sie letztlich auf eine Verharmlosung der Verhältnisse im Nationalsozialismus hinausgelaufen ist. Später habe ich mal in einem Dokumentarfilm gesehen, dass die Tochter von Dr. Prinzing offenbar beteiligt war an Protestaktionen gegen die Prozessführung und die Haftbedingungen für die Gefangenen der RAF in Stammheim. Da dachte ich mir: Die müssen am Abendbrottisch aber schwierige Gespräche geführt haben.

RAF Garweg Staub15.24

Haben Sie Ihren Mandanten in Stammheim, den RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe, während des Verfahrens näher kennengelernt? Was für ein Mensch war er?
Was ich intern mit Mandanten besprochen habe, darüber kann ich leider nicht reden. Das unterliegt der Schweigepflicht. Die Motivation für seine Taten hat er ja dann zusammen mit den anderen Gefangenen im Prozess mit einer sogenannten Erklärung zur Sache deutlich gemacht. 

Hinter dem Gedanken, mit einer kleinen Guerillatruppe einen hochgerüsteten Staat in die Knie zwingen zu wollen, steckt eine gewaltige Hybris. Haben Sie mit Raspe nie darüber gesprochen?
Ich darf nur über das sprechen, was auch in der Hauptverhandlung öffentlich erörtert wurde. Und daraus ergab sich für mich der Eindruck, dass Raspe, wie auch Baader, Meinhof und Ensslin fest überzeugt waren von der Richtigkeit ihrer Auffassung und ihres politischen Weges.

Die RAF hat maßgeblich von einer moralischen Abgrenzung gegenüber der Elterngeneration gelebt – gegenüber den Vätern und Müttern, die während der Nazi-Zeit entweder Mitläufer oder gar Täter waren. 
Für die ganze Generation, die man heute als „68er“ bezeichnet, spielte dieses Thema eine sehr große Rolle. 

Ist es dann nicht eine historische Tragödie, dass am Ende die Terroristen der RAF auf erschreckende Weise den Tätern aus der Nazi-Zeit ähnlich wurden? Mit ihrer Genickschussmentalität, mit der völligen Entmenschlichung der Opfer?
Wenn Sie mit Tätern diejenigen meinen, die an den Massenverbrechen der Nazis mitgewirkt haben oder im Militär, der Justiz oder der Verwaltung in diese Massenverbrechen mit verstrickt waren, dann halte ich diese ganzen Vergleichsversuche für ziemlich verfehlt. Gemessen an den Menschheitsverbrechen, für die das Nazireich verantwortlich war, ist das, was man der RAF zuschreiben kann oder muss, historisch und politisch doch nicht vergleichbar.

Es fällt vielen Ehemaligen aus der RAF schwer, über ihre Taten zu sprechen oder sogar in einen Dialog zu treten mit den Opfern beziehungsweise deren Angehörigen. Können Sie sich das erklären?
Dazu kenne ich die Psychologie der Beteiligten zu wenig. Es gab auch einige Ausnahmen, Silke Maier-Witt zum Beispiel oder auch Klaus Jünschke. Warum es andere vorgezogen haben, zu schweigen? Was damals geschah, ist jetzt alles historisch. Vielleicht sehen Ehemalige aus der RAF das ähnlich und haben keine Lust mehr, das, was Geschichte ist, noch mal selbst wiederzubeleben.

Interview Michael Buback 06.11

Das haben die Väter aus der Nazizeit ihren Kindern auch immer gesagt. Das ist alles Geschichte. Ich will darüber nicht mehr reden. Der berühmte „Schlussstrich“. 
Das kann man so sehen. Aber ich würde trotzdem sagen, die Verbrechen der Nazi-Zeit mit denen der RAF zu vergleichen, das wäre ein großer Fehler. Das läuft auf eine Relativierung und Verharmlosung des Nationalsozialismus hinaus.

Was halten Sie von der Forderung, Täter aus der RAF sollten sich bei den Opfern oder deren Angehörigen entschuldigen?
Das sind aus Sicht der Betroffenen verständliche Forderungen. Aber ich glaube, sie sind relativ fruchtlos. So was kann man ja nicht erzwingen. Und ich weiß auch nicht, ob es Opfern unbedingt helfen würde, wenn sie solche Entschuldigungen hören würden.

Viele sind bis heute schwer traumatisiert. Ihr Leben wurde zerstört. Die Bereitschaft zum Gespräch würde vielleicht helfen. Vielleicht auch einfach nur eine Bitte um Verzeihung.
Können Entschuldigungen an der Traumatisierung etwas ändern? Ich weiß es nicht. Ich bin zu wenig Psychologe, um das beurteilen zu können.

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