TransnetBW-Chef Werner Götz: Strom-Manager: „Wir müssen zurück zur Freileitung“

Die Energiewende stockt – auch, weil der Ausbau der nötigen Stromnetze nur langsam vorankommt. Der Chef des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW fordert die Bundesregierung auf, radikal umzusteuern und wieder auf Freileitungen zu setzen.

Herr Götz, sie sind einer der führenden deutschen Stromnetz-Manager. Beim Netzausbau gibt es seit Jahren Widerstand aus der Bevölkerung. Haben Sie überhaupt noch Lust auf Energiewende
Ich sage es deutlich: Wir bei TransnetBW und ich persönlich sind Fans der Energiewende. Ich kämpfe aus Überzeugung dafür. Aber sie ist ein Generationenprojekt, das uns viel abverlangen wird. Und wir müssen aufpassen, die Bevölkerung auf dem Weg zum Ziel nicht zu verlieren.

Teils hängen wir beim Ausbau der Stromleitungen um Jahre zurück. Können wir unsere selbst gesetzten Klimaziele, Kohleausstieg 2030 und CO2-Neutralität 2045, überhaupt noch erreichen?
Wir sollten nicht dauernd versuchen, uns bei den Prognosen, wann die Energiewende geschafft ist, zu übertreffen. Es geht nicht um ein Jahr mehr oder weniger. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen und aufpassen, dass wir auf dem Weg nicht ins Stolpern geraten. Bislang sind wir gut vorangekommen, auch wenn wir an vielen Stellen noch schneller sein könnten. 

Woran genau befinden Sie, dass wir gut vorankommen?
Zum Beispiel fällt die CO2-Bilanz für das vergangene Jahr gut aus, Deutschland hat 10,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingespart…

… leider zum großen Teil, weil die Wirtschaft und die Nachfrage stocken. Wo könnte es ambitionierter vorangehen?
Ich würde mir in vielen Punkten mehr Pragmatismus und Umsetzungsgeschwindigkeit wünschen. Aber angesichts der Dimension der Aufgabe bin ich dennoch zuversichtlich. Die Politik hat in den letzten zwei Jahren viele gesetzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht, die uns den Weg für das Gelingen der Energiewende vereinfachen. Einiges davon wird auch sicherlich noch seine Wirkung deutlicher entfalten.

Werner Götz

Zuversichtlich? Eine der entscheidenden Nord-Süd-Stromautobahnen, „SuedLink“, sollte längst fertig sein. Der erste Spatenstich aber erfolgte erst im vergangenen Sommer. Ist das nicht trostlos?
Nein, trostlos sicher nicht, aber Suedlink ist in der Tat ein Beispiel, was auf der Reise zur Klimaneutralität in einem Großprojekt alles passieren kann. Die vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer und dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Gabriel betriebene Entscheidung 2015, für Gleichstromleitungen keine Freileitungen, sondern nur noch Erdkabel vorzuschreiben, hat uns zwei bis drei Jahre Zeit gekostet. Man muss zudem sagen, dass die Akzeptanzvorteile, die sich die Politik durch den Technologiewechsel erhofft hatte, so nicht eingetreten sind. Ich kann das auch nachvollziehen, denn der Umbau, den wir aktuell anstreben, ist in seiner Dimension durchaus bemerkenswert und führt zu zahlreichen persönlichen Betroffenheiten. Die können sie nicht einfach wegdiskutieren, die kriegen Sie auch nicht mit maximaler Transparenz auf über 700 Infoveranstaltungen vor Ort vollständig aufgelöst. Dennoch ist es wichtig und richtig, im Gespräch zu bleiben. Das ist für uns ein wichtiger Baustein, um die Netzausbauvorhaben umzusetzen.

Widerstand an den geplanten Trassen gab und gibt es nahezu im ganzen Land, hier am ehemaligen Grenzübergang zwischen Bayern und Thüringen
© Michael Reichel/

Wie weit werden sie zusätzlich durch die Behörden ausgebremst?
Die Zuständigkeiten in Deutschland sind sehr komplex. Wir haben es bei der Energiewende mit etwa 15.000 Gesetzen und Verordnungen zu tun. Wenn unsere Kolleginnen und Kollegen mit einem Genehmigungsantrag zur Bonner Genehmigungsbehörde, der Bundesnetzagentur, fahren, dann kommen sie nicht mit drei, vier Blatt Papier in der Tasche, sondern sie kommen mit dem LKW und laden Paletten mit Antragsordnern aus. Hier sehen wir aber in Zukunft Entlastung durch die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die den Umfang der Unterlagen deutlich reduzieren werden.

Welche Möglichkeiten hätten wir noch, den Ausbau deutlich schneller voranzutreiben? Es heißt schließlich: Ohne Netzausbau kein Kohleausstieg.
Wir müssen für künftige Stromleitungen wie NordWestLink und SuedWestLink zurück zur Freileitung. Es geht schließlich auch um die Bezahlbarkeit der Energiewende und damit um deren öffentliche Akzeptanz. Wenn wir die Technologie wieder Richtung Freileitung ändern, spart das künftig etwa 1 bis 1,5 Milliarden Euro Netzentgelte – jedes Jahr. Das käme allen Haushalten in Deutschland zugute, denn alle entrichten die Netzentgelte über ihren Strompreis.

Wäre bei einer Rolle rückwärts nicht noch mehr Zeit verloren?
Wir haben das durchkalkuliert. Wir würden in der Planung ein Jahr durch den Technologieschwenk verlieren, könnten aber in der Bauphase zwei Jahre rausholen, sodass wir NordWestLink und SuedWestLink in Summe ein Jahr früher in Betrieb nehmen könnten. 

Und was geschieht bei den laufenden, genehmigten Leitungsprojekten?
Da bleibt es bei Erdkabeln für die Gleichstromverbindungen wie SuedLink. Wir haben sie so genehmigt bekommen, die Kabel sind bestellt und werden seit über einem Jahr in unsere Zwischenlager geliefert. Der Tiefbau wird gerade sukzessive für die Bauabschnitte beauftragt. Da gibt es keine Diskussion mehr. Hier liegt nun unser Fokus darauf termingerecht, zu bauen und beispielsweise SuedLink 2028 auch in Betrieb zu nehmen. Für die neuen Leitungsprojekte ist nun aber die Politik gefordert, Freileitungen zu ermöglichen.  Wie gesagt, es geht um viel Geld und es geht um die Akzeptanz der Energiewende in der Gesellschaft.

Wie groß sind die Chancen, dass ihr Vorschlag im Bundestag umgesetzt wird?
Ich denke, fifty-fifty. Ich führe derzeit sehr viele Gespräche und es gibt in allen demokratischen Fraktionen Abgeordnete, die sich hierzu positiv positionieren. Im Übrigen ziehen wir hier auch mit unseren Projektpartnern 50Hertz und TenneT an einem Strang: Für SuedWestLink, NordWestLink und OstWestLink fordern wir gemeinsam eine Abkehr vom Erdkabelvorrang.

2015 hatte sich die CSU bei den Erdkabel durchgesetzt. Haben Sie mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schon gesprochen, ob er wieder Freileitungen akzeptieren würde?
Ich verspüre auch in Bayern ein deutliches Umdenken. 2015 ist mit 2024 nicht vergleichbar, die Energiewende war damals so noch nicht sichtbar. Weitere Gründe dafür sind wahrscheinlich auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und das neue Bewusstsein für die Abhängigkeit von fossilem Erdgas. Mit dem Bewusstsein, dass Bayern schnell eine deutlich höhere Anbindung an die Energiequellen im Norden benötigt, wächst auch dort die Zustimmung zum Netzausbau – und hoffentlich auch zur kostengünstigeren und schnelleren Lösung der Freileitung. STERN Analyse Rückgang CO211.29

Wie schnell müsste Berlin denn die Freileitung wieder zulassen?
Lieber heute als morgen. Anfang des nächsten Quartals spätestens muss diese Entscheidung fallen.

Wie ist ihre Prognose: Werden wir am Ende ein deutsches Stromnetz haben, das stark genug ist, um alle Elektroautos und Wärmepumpen zu versorgen?
Ein klares Ja! Wir von TransnetBW werden zusammen mit unseren Partnern dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

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