Regierungserklärung : Der Kanzlerkandidat – wie Olaf Scholz schon mal Wahlkampf übt

Eine Regierungserklärung zu Europa sollte Olaf Scholz am Mittwoch abgeben. Dabei fand er Wege, vor allem die eigene Politik zu loben.

Es sind harte Zeiten für Olaf Scholz. Die Debatte über seine Weigerung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, ebbt nicht ab. Die Grünen sind sauer, weil sie sich von ihm als „Kriegsbefürworter“ diskreditiert sehen. Der zweite Koalitionspartner, die FDP, ist unberechenbar, weil er um den Klassenerhalt kämpft. Und in Sachsen, wo im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird, ist Scholz‘ mitregierende SPD laut jüngster Insa-Umfrage erneut abgerutscht: auf sechs Prozent. Sie könnte dort aus dem Landtag fliegen.

In dieser Situation trat der Kanzler am Mittwoch im Bundestag zur Regierungserklärung an. Das offizielle Thema: der Europäische Rat am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Eigentlich also eher ein Stoff für Politik-Nerds, die selbst den oft dröge wirkenden Treffen der Staats- und Regierungschefs noch etwas abgewinnen können (auch wenn diese in Zeiten des Krieges an Brisanz gewonnen haben).

Doch Olaf Scholz nutzte drei Tricks, um den aktuellen Anlass in eine Werberede für seine Regierungspolitik umzumünzen. Fast wirkte es, als übe er schon mal ein bisschen Bundestagswahlkampf, als spiele er Kanzlerkandidat.STERN PAID 12_24 Scholz Pistorius7.57

Die Tricks des Olaf Scholz: Lehren aus der Vergangenheit

Gleich zu Beginn seiner Rede verglich Scholz den heutigen Zustand der Europäischen Union mit dem vor vier Jahren. Damals hatte Großbritannien gerade das Bündnis verlassen, andere drohten, dem Beispiel zu folgen. Der Ausbruch der Corona-Pandemie erschütterte die EU noch mehr und führte zu permanenten Streitigkeiten, erst über Corona-Gelder, dann über die Impfstoffverteilung. 

„Viele hatten zu der Zeit nichts darauf gegeben, dass die Europäische Union sich stärken, weiterentwickeln und wachsen würde“, resümierte Scholz: „Aber genau das ist jetzt passiert.“ Man habe nach der Pandemie den Wiederaufbau organisiert, man stehe bei den Ukraine-Hilfen geschlossen und treibe die Erweiterung des Bündnisses voran (indem man Moldau und Georgien eine Perspektive eröffnet habe).

Formal ging es also nur um die EU. Aber abgesehen davon, dass Deutschland immer noch eine Führungsrolle im Bündnis hat und damit für die Entwicklung wesentlich verantwortlich ist, sind die Parallelen zur derzeitigen Situation im eigenen Land offenkundig. 

Die Botschaft des Kanzlers: Mag momentan auch vieles hoffnungslos und festgefahren aussehen, mag die Wirtschaft gerade stagnieren – in ein paar Jahren wird die Lage wieder viel besser sein. Man muss nur daran glauben.

Der Trick mit dem Herrschaftswissen

In seiner Regierungserklärung pries Scholz die Einigkeit zwischen Deutschland und Frankreich. Er habe „sehr intensiv mit meinem Freund Emmanuel Macron“ über die aktuellen Herausforderungen gesprochen, unter anderem beim Treffen mit ihm und dem polnischen Premier Donald Tusk im Rahmen des „Weimarer Dreieck“-Formats vergangene Woche in Berlin. Es sei ein „gutes Zeichen“ mit „sehr guten klaren gemeinsamen Vorstellungen“ gewesen: „Wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie das nötig ist. Wir werden gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass die Nato in diesem Konflikt keine Kriegspartei wird. Und wir werden keinen Diktatfrieden zu Lasten der Ukraine akzeptieren.“ 

Scholz Macron Kulinarik9.13

Nicht wenige Zuhörer werden sich die Ohren gerieben haben bei diesen Worten. War da nicht gerade etwas gewesen? Das Zerwürfnis zwischen Macron und Scholz, weil Ersterer gegen den Willen des Kanzlers öffentlich über den Einsatz von westlichen Bodentruppen in der Ukraine spekulierte? 

Es gehe nicht darum, „sich pressewirksam auf die Schulter zu klopfen“, hielt Scholz dem vorsorglich bei seinem Auftritt im Bundestag entgegen: „Wir stehen zusammen, Deutschland und Frankreich.“ 

Die Botschaft: Mögen die Medien auch rauf- und runterschreiben, wie zerrüttet die deutsch-französische Achse gerade ist – die Wahrheit kennt nur Olaf Scholz. Und sein Freund Emmanuel natürlich.

Der Trick mit der Selbstvergewisserung

Gegen Ende seiner Regierungserklärung schlug Olaf Scholz in rasantem Tempo den Bogen von der Sicherheit der Ukraine und Europas zur „Sicherheit für die Bürger und Bürgerinnen“ Deutschlands, konkret: zur Rente. Der Kanzler lobte das Rentenpaket der Ampel, mit dem verhindert werden soll, dass das Rentenniveau unter 48 Prozent sinkt.STERN PAID 02_24 Forsa Vertrauen 12.06

Das mag auf den ersten Blick plump wirken (wie es kurz danach auch Oppositionsführer Friedrich Merz dem Kanzler vorwarf). Auf den zweiten Blick setzte Scholz damit aber ein Thema auf die Agenda, das für seine Partei mit viel Selbstvergewisserung verbunden ist. Das Versprechen einer stabilen Rente ist ein Klassiker des sozialdemokratischen Repertoires. Und ist durch die jüngste Nachricht, dass die Renten zum 1. Juli um fast fünf Prozent steigen, gerade doppelt positiv besetzt. 

Die Botschaft: Wer der SPD vertraut, hat eine sichere Rente.

Nicht zuletzt dürfte Scholz bei diesem Schachzug die Europawahlen im Juni fest im Blick gehabt haben. Denn die wurden schon beim letzten Mal in Deutschland vor allem von älteren Menschen entschieden. Laut Statistik waren damals mehr als ein Drittel (37,9 Prozent) der Wahlberechtigten hierzulande 60 Jahre oder älter.

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