Indien macht es vor: Künstliche Intelligenz kann politische Reden in Echtzeit in die verschiedensten Sprachen übersetzen. Das ist nicht nur für Hubert Aiwanger eine gute Nachricht, findet stern-Kolumnist Nico Fried.
Diese Kolumne beginnt in Indien. Dass sie mit dem Computer dort allerhand anstellen können, ist in Deutschland bekannt, seit Gerhard Schröder einst eine Art Greencard eingeführt hat, um IT-Spezialisten von dort anzuwerben. Ein mäßiger Erfolg, was auch daran gelegen haben könnte, dass ein Land für Fachkräfte nicht besonders attraktiv erschien, in dem mit dem Slogan „Kinder statt Inder“ Landtagswahlkampf gemacht wurde, zum Glück mit noch mäßigerem Erfolg.
Möglicherweise waren es jene Inder, die damals dachten: „Och nö, nach Deutschland gehe ich lieber nicht“, die jetzt ein Programm geschrieben haben, das sich der amtierende Premierminister Modi zunutze machen will. Es handelt sich um künstliche Intelligenz, also eine KI. (Die Abkürzung geht uns Deutschen längst so locker von der Zunge wie Haribo und BMW.) Diese KI, so entnahmen wir es einem interessanten Artikel im „Handelsblatt“, heißt „Bhashini“, beherrscht 14 indische Sprachen und kann die TV-Reden Modis simultan übersetzen.
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Nun wollen wir uns aber nicht schlechter machen als wir sind. Denn in Deutschland gibt es auch eine KI, mit deren Hilfe die Werbeagentur Jung von Matt und die hessische Initiative „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung e. V.“ zumindest nachträglich die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten in zwölf Sprachen übersetzt haben. Hintergedanke war, die Rede des Staatsoberhaupts auch Menschen mit Migrationshintergrund zuteilwerden zu lassen, deren Sprachkenntnisse nicht dafür reichen, sie auf Deutsch zu verstehen, und die deshalb vermutlich an jedem bisherigen Weihnachtsabend traurig auf ihren Fernseher schauten. Zumindest ein paar von ihnen. Das Besondere an den Übersetzungen: Es klingt immer wie Frank-Walter Steinmeier, auch auf Griechisch, Polnisch oder Arabisch. Steinmeier sieht auch immer aus wie Steinmeier.
Liegen die Beispiele nicht auf der Hand?
Halten wir fest: Die KI wird die politische Kommunikation verändern, vor allem die indische KI die deutsche Kommunikation, umgekehrt eher nicht. Liegen die Beispiele nicht auf der Hand? Wenn Hubert Aiwanger sein niederbayerisches Idiom, in dem die Hasen immer Hosen hoaßen, pardon: heißen, mit Modis Bhashini simultan ins Hochdeutsche übersetzen lassen könnte, stünde einem Einzug seiner Freien Wähler in den nächsten Bundestag fast nichts mehr im Wege. Weitere Nutznießer könnten sich im Alemannischen finden, wobei herauszufinden wäre, ob Bhashini auch mit polylingualen Ausdrücken zurechtkäme wie dem legendären „Isch over“ von Wolfgang Schäuble.
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Kann man über KI schreiben, ohne vor den Gefahren zu warnen? Natürlich nicht. Sie entwickelt sich immer weiter. Friedrich Merz zum Beispiel könnte einige Inder, die damals gesagt haben: „Ach komm, was schert uns ein bescheuerter Wahlkampfslogan, wir gehen nach Deutschland“, jetzt darum bitten, in Bhashini eine zusätzliche Funktion zu integrieren. Wenn Merz im Wahlkampf einen raushaut wie „die kleinen Paschas“, mildert das Programm den Begriff automatisch in „die niedlichen Racker“ ab. Oder ein Schachtelsatz von Olaf Scholz zur Energiewende bekommt eine schillernde Anmutung: „Heute muss das Windrad werden. Frisch, Gesellen, seid zur Hand.“
Den nächsten Satz habe ich versuchsweise schon mal von Bhashini entschärfen lassen: „Wenn es nach mir geht, soll Annalena Baerbock wieder Kanzlerkandidatin der Grünen werden.“ Sie dürfen dazu das Original erraten. Und von wem es stammt. Kleiner Tipp: Es ist nicht Hubert Aiwanger.