Die USA könnte statt China bald zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner werden. Dahinter steckt nicht nur eine Wachablösung – sondern möglicherweise auch eine Erklärung für die schwächelnde deutsche Wirtschaft.
Zugegeben, das Sprichwort ist nicht neu, aber immer mal wieder modern – gerade jetzt. „China hustet und Deutschland bekommt eine Erkältung“, heißt es und wurde spätestens durch den Ausbruch der Coronakrise vom sprachlichen zum realen Bild – auch, und vor allem konjunkturell gesprochen. Bis heute hat sich daran wenig geändert. Noch immer steckt China in einer Wachstumskrise, obwohl dem Land eine v-förmige Rückkehr aus der Coronazeit prophezeit worden war. Stattdessen ebbt das Interesse nach chinesischen Waren ab, und Chinesen kaufen ihrerseits weniger Waren im Ausland.
Die Krise wird auch zunehmend für Deutschland zum Problem, das eng mit dem Land verflochten ist. Nach neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes lag Deutschlands Handelsvolumen mit China im vergangenen Jahr nur noch bei 253 Milliarden Euro. Die Lieferungen nach China brachen um fast neun Prozent auf gut 97 Milliarden Euro ein, maßgeblich getrieben durch die Absatzschwäche bei Autos und chemischen Erzeugnissen – aber auch durch Bemühungen der Chinesen, Produkte im eigenen Land herzustellen. Auf der Importseite fiel der Einbruch sogar noch deutlicher aus. 20 Prozent oder 39 Milliarden Euro weniger Waren wurden aus der Volksrepublik nach Deutschland eingeführt. Vor allem Maschinen und Datenverarbeitungsgeräte waren weniger nachgefragt. Das Gesamtvolumen betrug 156 Milliarden Euro.
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China bleibt damit zwar zum achten Mal in Folge der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Doch es zeichnet sich bereits eine geopolitische Zeitenwende ab. Das Handelsvolumen mit den USA, Deutschlands zweitwichtigstem Partner, ist im vergangenen Jahr nämlich auf 252,3 Milliarden Euro gestiegen – liegt also nur noch 700 Millionen Euro unter dem mit China. „Setzen sich die Handelsentwicklungen des letzten Jahres fort, dann überholen die USA China als wichtigsten deutschen Handelspartner spätestens im Jahr 2025“, sagte der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Ökonomen wie Klaus-Jürgen Gern vom IfW Kiel halten diese Entwicklung nicht unbedingt für dramatisch: „Die Handelszahlen sind nominal, daher sind Verschiebungen häufig auch durch Preisveränderungen bedingt und Rückschlüsse auf reale Entwicklungen sind nur mit Vorsicht zu ziehen“, sagte Gern Capital. Der Rückgang sei vor allem auf die Importe Deutschlands zurückzuführen, weil die Sondernachfrage durch Corona nachlasse.
Die chinesische Wirtschaft sei in erster Linie ein Verlierer der globalen Normalisierung. Während Corona sei die Nachfrage nach handelbaren Gütern, wie Kleidung, Fahrrädern oder Möbel, besonders hoch gewesen. Jetzt gebe es eine Rückverschiebung zugunsten von Dienstleistungen. Darunter leidet der Welthandel insgesamt und die Nachfrage nach chinesischen Gütern im Besonderen. Die Handelsbilanz zwischen Deutschland und den USA ist hiervon weniger betroffen, da beide Seiten schon immer viele Dienstleistungen austauschten und gleichzeitig große Mengen Energie nach Europa verkauft wurden.
Deflation in China
Ein wichtiger Grund für die chinesische Schwäche sind die Verbraucherpreise, die sich seit vier Monaten negativ entwickeln. Sprich: In China herrscht Deflation. Im Januar fielen die Preise um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr – der stärkste Rückgang seit 15 Jahren. Von Reuters befragte Analysten hatten lediglich mit 0,5 Prozent gerechnet, nachdem die Preise bereits im Dezember um 0,3 Prozent gefallen waren. Zwar war die Kerninflation, ohne Energie und Lebensmittel, mit 0,3 Prozent noch leicht positiv. Doch auch diese lag unter den Erwartungen der Analysten, die einen Anstieg von 0,4 Prozent erwartet hatten.
Deflation ist für eine Volkswirtschaft deshalb gefährlich, weil sie Investitions- und Konsumanreize mindert. Wenn das Geld künftig mehr wert ist, schieben die Menschen Ausgaben vor sich her in der Gewissheit, dass die Preise sinken. Gesamtwirtschaftlich führt das zu geringerem Wachstum und damit letztlich zu Verteilungskonflikten innerhalb einer Gesellschaft. Deshalb kann es auch nicht im Sinne der chinesischen Regierung sein, der Deflation freien Lauf zu lassen.
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Für die Deflation gibt es zahlreiche Gründe. In erster Linie hat sie mit der Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt zu tun. Dazu kommt ein schwächelnder Aktienmarkt, der durch die Deflation immer tiefer in die roten Zahlen rutscht. China hat zwar schon Unterstützungskäufe angeordnet und am Mittwoch den Chef der Börsenaufsicht Yi Huiman entlassen. Doch so richtig geholfen hat das bislang alles nichts.
„Chinas anhaltende Deflation und die schwächelnden Aktienmärkte deuten darauf hin, dass die Nachfrage der Haushalte und das Vertrauen des privaten Sektors nach wie vor schwach sind, was erhebliche Risiken für die Wachstumsaussichten der Wirtschaft birgt“, sagte Eswar Prasad, Ökonom an der Cornell Universität gegenüber der Financial Times. „Da sich die Deflation in China festsetzt, wird immer schwieriger werdende politischer Anstrengungen erforderlich sein, um das Vertrauen wiederherzustellen und die Wirtschaft aus dem Sumpf zu ziehen.“
Kommt ein Konjunkturpaket?
Ähnlich sieht es auch IfW-Ökonom Gern. „Die Deflation führt zu verstärktem Druck auf den Weltmärkten. Chinesische Produzenten versuchen gerade mit aller Macht ihre Überproduktion abzustoßen. Dies wird aber wohl handelspolitische Spannungen tendenziell verschärfen.“ Ein Beispiel dafür ist der Markt für Solarmodule, der in Europa gerade mit billigen chinesischen Produkten geflutet wird. Innerhalb der EU gibt es deshalb schon Überlegungen, Strafzölle einführen. „Das dürfte also kein nachhaltiger Weg zur Stabilisierung der Konjunktur sein“, meint Gern.
Nachdem geldpolitische Maßnahmen zuletzt ins Leere gelaufen sind, rechnet Gern nun mit einem Konjunkturpaket der chinesichen Regierung. In der Vergangenheit habe das zwar zur Überhitzung und strukturellen Fehlentwicklungen geführt. Doch der Handlungsdruck für die chinesische Regierung sei unübersehbar.
In China selbst, versucht man die Situation als Chance zu bewerten. Yu Yongding, ehemaliger Präsident der Chinesischen Gesellschaft für Weltwirtschaft und Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Politik an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, malt die Entwicklung in einem Gastbeitrag beim Project Syndicate schön. „Die quasi-deflationäre Phase ermöglicht es den politischen Entscheidungsträgern, erhebliche fiskalische Anreize zu setzen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ohne sich zumindest kurzfristig Sorgen um die Inflation machen zu müssen“, schreibt Yongding.
Er plädiert für Zinssenkungen und Infrastrukturinvestitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln. „Im Gegensatz zu den Behauptungen einiger Ökonomen, hat China nicht mit exzessiven Infrastrukturinvestitionen zu kämpfen. Tatsächlich hat das Land immer noch eine große Infrastrukturlücke, die es schließen muss. Vor allem in kritischen Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Altenpflege, Bildung, Forschung, Stadtentwicklung und Verkehr“, so Yongding.
Unabhängig von der Reaktion sei die Entwicklung für Deutschland klar, meint IfW-Ökonom Gern. „Die Zeiten der starken Zuwächse im Außenhandel mit China sind zunächst einmal vorbei.“ Beide Seiten wollen die Abhängigkeiten verringern. Die USA bauen derzeit in vielen Bereichen Fertigungskapazitäten auf, die auch die Nachfrage aus Europa bedienen könnten. „Von daher könnten die USA ihre (eigentlich traditionelle) Rolle als größter deutsche Handelspartner bereits in Kürze wiedererlangen“, meint Gern.
Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin „Capital“, das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.