Wiederholungswahl in Berlin: „Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass wir für die Demokratie kämpfen müssen“

Nina Stahr sitzt für die Grünen im Bundestag – noch. Bei der Wiederholung der Wahl am 11. Februar könnte sie ihr Mandat verlieren, wenn nicht genügend Berliner an die Urnen gehen. Sie sagt, es stehe noch mehr auf dem Spiel als ihre Zukunft.

Frau Stahr, wie komisch ist es, mitten in der Legislaturperiode Wahlkampf zu führen?
Das ist schon eine herausfordernde Situation, auch weil die Wahl nur in einzelnen Stimmbezirken wiederholt wird. Wir müssen für den Wahlkampf unsere Mitglieder mobilisieren, Plakate aufhängen, Stände besetzen. Aber ich bin wirklich beeindruckt, wie viele mitmachen, insbesondere natürlich in Pankow, wo besonders viel nachgewählt wird, aber auch in anderen Bezirken.

Gibt es Unterschiede zum herkömmlichen Wahlkampf?
Wir machen Info-Stände und Veranstaltungen wie üblich, wenn auch natürlich weniger…

… etwa 550.000 Berlinerinnen und Berliner sind zur Stimmabgabe aufgerufen, ungefähr ein Fünftel aller Wahlberechtigten.
Da wir genau wissen, wo gewählt wird, kann man den Haustürwahlkampf sehr viel gezielter anlegen, um die Menschen anzusprechen und ihnen zu sagen, warum es sich lohnt, zur Wahl zu gehen und dass ihre Stimme eben auch wirklich zählt.

STERN PAID 07_24 Bammel über Berlin

Müssen Sie den Menschen nicht erst einmal erklären, warum schon wieder gewählt wird?
Ja, manche fragen schon, warum jetzt nochmal gewählt wird. Aber die Leute wissen in jedem Fall, ob sie wählen dürfen oder nicht. Man muss vor allem erklären, warum es wichtig ist, wählen zu gehen, auch wenn sich am Gesamtergebnis der letzten Bundestagswahl nichts Entscheidendes ändern wird. Denn es kommt ja auch darauf an, dass die Wahlbeteiligung hoch ist, damit Berlin weiterhin stark vertreten bleibt.

Derzeit sitzen 29 Berliner Abgeordnete im Bundestag. Ob das so bleibt, hängt von der Wahlbeteiligung ab.
Richtig. Und das verstehen die Leute auch. Etwa ein Viertel der Wahlberechtigten hat schon Briefwahl beantragt. Also es tut sich definitiv was.

Für Sie persönlich geht es um Ihre politische Zukunft. Wenn die Wahlbeteiligung zu niedrig ist, könnten die Berliner Grünen ein Mandat an die Grünen in Nordrhein-Westfalen verlieren – dann wäre Ihr Platz im Bundestag futsch. Ist das nicht ein bisschen merkwürdig, wenn man darauf setzen muss, dass viele Leute zur Wahl gehen, egal, welche Partei die dann wählen?
Naja, ganz so ist es ja nicht. Ich muss schon auch möglichst viele Menschen mobilisieren, Grüne zu wählen. Etwa 70 Prozent derjenigen, die in den betroffenen Gebieten beim letzten Mal die Grünen gewählt haben, müssten das jetzt wieder tun. Das sind etwa 80.000 Wählerinnen und Wähler. Und es geht um ein gutes Ergebnis für die demokratischen Parteien insgesamt. Die vergangenen Wochen haben doch gezeigt, dass wir für diese Demokratie kämpfen müssen. Deswegen ist mir wichtig, dass Menschen zur Wahl gehen und eine demokratische Partei wählen, denn so stärken sie die Demokratie insgesamt.

2023 war die Stimmung gegenüber den Grünen ziemlich aufgeheizt. Haben Sie den Eindruck, dass sich das wieder dreht?
Ja. Wir hatten vergangenes Jahr in Berlin die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl. Der Wahlkampf damals war stark polarisiert. Plötzlich hieß es zum Beispiel Auto gegen Fahrrad, was ja gar nicht unser Ziel einer gerechten Verteilung des städtischen Raumes wiedergibt. Da hatten wir extrem viel Gegenwind. Das ist in diesem Wahlkampf definitiv anders.

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Woran machen Sie das fest?
Die Leute sind freundlicher, selbst wenn sie uns sagen, dass die Grünen nicht ihre Partei sind. Sie sagen dann: Ich wähle Euch nicht, aber es ist trotzdem gut, dass es euch gibt. Ich glaube, das hat schon damit zu tun, dass die Leute einfach gemerkt haben: Wir brauchen diese Demokratie. Und wir brauchen unterschiedliche Parteien, die unterschiedliche Interessen verfolgen, aber trotzdem in einem demokratischen Miteinander um die besten Lösungen ringen. Das spiegelt sich auch in unseren Mitgliederzahlen. Bundesweit sind im Januar etwa 3700 Mitglieder dazu gekommen. In Berlin waren es schon 250 in nur wenigen Wochen.

Bekommen Sie denn Unterstützung von Parteiprominenz wie Annalena Baerbock und Robert Habeck?
Ja, wir haben unseren Wahlkampfhöhepunkt am 6. Februar. Da wird Robert Habeck dabei sein. Annalena Baerbock hat auch Unterstützung angeboten. Sie war zum Beispiel schon mit unserem Direktkandidaten in Pankow, Stefan Gelbhaar, zusammen am Infostand.

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Im Berliner Landesverband der Grünen hat es zuletzt heftig geknallt. Sie sind Übergangsvorsitzende, weil man sich nicht auf neue Vorsitzende einigen konnte. Werbewirksam ist das nicht, oder?
Ich glaube, das bewegt vor allem die Grüne Partei. Ja, es gab Unruhe, und es hat geknallt. Das will ich gar nicht wegdiskutieren. Aber wir sind da schon einen großen Schritt weiter, und die Gemüter haben sich beruhigt. Im Wahlkampf begegnet mir das kaum.

Frau Stahr, wenn Sie Ihr Mandat gen Nordrhein-Westfalen verlieren sollten, käme auf der dortigen Landesliste Franziska Krumwiede-Steiner zum Zug, ohne überhaupt Wahlkampf gemacht zu haben. Kennen Sie sich?
Nein, nicht näher. Wir haben einmal darüber gesprochen, was wäre, wenn. Davon gehen wir aber im Moment noch nicht aus und sprechen bei Bedarf nach dem 11. Februar.

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